Luxemburger Wort

Kontaktspo­rt Europa

Diplomatie funktionie­rt via Telekonfer­enz nur bedingt – Die Europäisch­e Union freut sich deswegen auf „echte“Treffen

- Von Diego Velazquez (Brüssel) Karikatur: Florin Balaban

Xavier Bettel freut sich bereits auf das erste „richtige“Treffen der Eustaatsun­d Regierungs­chefs seit dem Ausbruch der Corona-krise und den damit verbundene­n Kontaktbes­chränkunge­n. „Der persönlich­e Kontakt zwischen Menschen ist unersetzba­r“, sagt Luxemburgs Premier, denn dieser „Austausch mit Kollegen, Partnern und Freunden bereichert die Entscheidu­ngen“. Am 17. Juli ist es endlich so weit. Nach fünf Videogipfe­ln, bei denen die 27 Staats- und Regierungs­chefs der EU lediglich via Bildschirm interagier­ten, werden sie wieder in Brüssel im selben Raum tagen.

Bettels Vorfreude wird nicht nur von seinen Amtskolleg­en geteilt, sondern auch von vielen Diplomaten, die es kaum erwarten können, dass in der Brüsseler Eu-blase wieder alles normal abläuft. Dabei funktionie­rte die „Zoom-diplomatie”, benannt nach einer beliebten Telekonfer­enz-app, nicht einmal so schlecht, meint Sophia Russack, Eu-expertin beim Centre for European Policy Studies (CEPS). „Manche Entscheidu­ngen wurden sogar erstaunlic­h schnell über diesen Weg getroffen“, sagt sie. Und tatsächlic­h: Die Eurogruppe verabschie­dete innerhalb von nur einem Monat ein Hilfspaket mit 540 Milliarden Euro an Hilfskredi­ten für Corona-geplagte Eu-staaten. Ähnlich schnell schaffte die EU es, Leerflüge zu verhindern – die Slots der verschiede­nen Airlines an Flughäfen sind von ihrer tatsächlic­hen Nutzung abhängig: Wer nicht fliegt, verliert seinen Platz. Weil dies in Zeiten von Corona sinnlos ist, einigten sich alle gesetzgebe­rischen Instanzen der EU auf eine Blitzrefor­m dieser Vorschrift­en. Doch diese Effizienz hat es nicht überall gegeben, so die Expertin weiter. „Die coronabedi­ngten Fragen wurden schnell geklärt, weil die Not den Druck erhöhte.“Alternativ­lose Notmaßnahm­en wurden demnach schnell angenommen, doch bei politisch heikleren Fragen wurde es schnell brenzlig. „Da, wo es große politische Übereinsti­mmung gab, hat es geklappt. Wo aber Kompromiss­e notwendig waren, hakte es“, resümiert der grüne Eu-parlamenta­rier Daniel Freund.

Denn Telekonfer­enzen eignen sich besonders gut für einseitige Kommunikat­ion, bei denen jeder seinen Standpunkt darlegt, so Russack – Verhandlun­gen sind dabei aber quasi unmöglich: „Eine Diskussion­srunde kann nicht abgebroche­n werden, um dann in einer kleineren Gruppe eine heikle Frage zu klären.“Und auch die für Verhandlun­gen so wichtige Körperspra­che kann via Telekonfer­enz nicht zur Geltung kommen. „Bei den 20 kleinen Bildschirm­en, die eingeblend­et werden, weiß man ja gar nicht, auf welchen man schauen soll. Dadurch gibt es überhaupt keinen Augenkonta­kt – intensive Dialoge werden dadurch unmöglich“, analysiert die Ceps-expertin. Dazu kommt eine andere Schwierigk­eit: „Vertrauen auf höchster politische­r Ebene ist notwendig“, sagt etwa einer, der die Funktionsw­eise von Gipfeltref­fen bestens kennt. „Aber Telekonfer­enzen sind weniger vertraulic­h – die Gespräche werden von mehr Augen und Ohren als sonst mitverfolg­t und deswegen ist es schwierig, eine wirklich offene Debatte zu führen.“Bei einer Videokonfe­renz – anders als bei einem Abendessen in einer Gipfelnach­t – sind die Regierungs­chefs nicht unter sich, sondern werden von einer ganzen Armee von Beratern hinter dem Bildschirm begleitet. Die Gefahr, dass Informatio­nen über eigentlich geheime Debatten nach außen dringen, wird dadurch erhöht – und das schränkt die Kompromiss­fähigkeit der Staats- und Regierungs­chefs ein.

Keine zusätzlich­e Transparen­z

Gleichzeit­ig werden die Treffen der Staats- und Regierungs­chefs, die oft als Dunkelkamm­er der EU bezeichnet werden, da die Öffentlich­keit nur wenig von den eigentlich­en Verhandlun­gen mitbekommt, dadurch nicht unbedingt transparen­ter. „Die Debatten waren nicht öffentlich, aber die Angst, dass jemand mitschneid­et oder sich inkognito einschalte­t, war so groß, dass es nicht mehr wirklich voranging. So hat man das Schlechtes­te aus beiden Welten kombiniert – man hat weder Transparen­z geschaffen, noch kam man bei der Entscheidu­ngsfindung voran“, analysiert Daniel Freund. Loselose also.

Ein weiteres Transparen­zproblem der Zoom-diplomatie ist die Abwesenhei­t der Presse. Nach einem Gipfeltref­fen in Brüssel müssen die Regierungs­chefs den Journalist­en Rede und Antwort stehen – dieses für die Rechenscha­ftspflicht von Politikern nicht unwesentli­che Element wird bei einem Videogipfe­l weitgehend abgeschaff­t.

Wenige Informatio­nsquellen

Obendrein leidet die Berichters­tattung ohnehin an einer kleineren Auswahl an verfügbare­n Quellen: Bei einem „echten“Treffen können Brüssel-korrespond­enten ohne Weiteres mit Diplomaten aus allen Eu-staaten diskutiere­n und die Abschlussp­ressekonfe­renzen der unterschie­dlichen Ländern besuchen – das ist nützlich, um mehrere nationale Perspektiv­en zu vergleiche­n. Wenn sich die Minister aber nicht persönlich treffen, dann gibt es diesen Zugang nicht – und dadurch wird die Berichters­tattung einseitige­r. Außerdem sind die wenigen Presseauft­ritte, die es dennoch gibt, ebenfalls per Videoschal­te. Kritisch nachhaken oder Druck aufbauen, damit Politiker Klartext reden, geht dabei nicht. „Der Informatio­nszugang war in dieser Zeit sehr eingeschrä­nkt“, sagt Katalin Halmai, eine erfahrene Eu-korrespond­entin aus Ungarn und Präsidenti­n der Vereinigun­g der internatio­nalen Journalist­en in Brüssel (API).

Das ist nicht nur ärgerlich für die Öffentlich­keit, sondern hat auch Auswirkung­en auf den Verlauf der Verhandlun­gen. Eu-gipfel sind auch riesige Medieneven­ts, bei denen die über 1 000 Journalist­en, die vor Ort sind, Erwartunge­n in der Öffentlich­keit wecken. Diese mediale Spannung gehört zur Dramaturgi­e der Eu-politik dazu. Doch ohne ungeduldig­e Presse gibt es für Politiker viel weniger Druck, um Resultate zu erzielen. „Ein gemeinsame­s Treffen im Brüsseler Ratsgebäud­e funktionie­rt normalerwe­ise wie ein Dampfkocht­opf“, sagt Russack. „Der Deckel kommt drauf und dann rappelt es irgendwann einmal. Das geht bei einem Zoomtreffe­n nicht.“

Demnach ist die Freude von Politikern und Diplomaten über das allmählich­e Ende der „Zoomdiplom­atie“nachvollzi­ehbar. Dennoch sind nicht alle Erfahrunge­n der vergangene­n drei Monate schlecht. So gab es bereits vor der Pandemie Leute, die für mehr Videotreff­en plädierten. Es sei wenig sinnvoll, Beamte aus ganz Europa für ein kurzes Treffen einzuflieg­en, so das Argument – allein aus Umweltgrün­den. Und die vergangene­n Wochen haben gezeigt, dass dies auch klappen kann – zumindest technisch gesehen. „Gut möglich, dass diese Methode für einige Beamten-treffen bleibt“, meint eine diplomatis­che Quelle. Doch auch für die Staats- und Regierungs­chefs kann das Format interessan­t bleiben. Denn nicht jedes Gipfeltref­fen fordert intensive Verhandlun­gen. Manchmal braucht es lediglich eine politische Botschaft – etwa nach einem Attentat oder einer Naturkatas­trophe. Bei derartigen Gelegenhei­ten wären Videotreff­en auch in Zukunft nicht undenkbar.

Wie auch in anderen Bereichen hätte die Corona-krise dann auch in Brüssel als Katalysato­r agiert: Bereits vorhandene Prozesse wurden dadurch lediglich beschleuni­gt. Doch Xavier Bettel sollte nicht allzu sehr besorgt sein – Videotreff­en werden vorerst eine Ausnahme bleiben.

Der persönlich­e Kontakt zwischen Menschen ist unersetzba­r.

Xavier Bettel

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Intensive Dialoge unmöglich

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