Luxemburger Wort

Ein Land im Umbruch

In den USA tut sich in Sachen Rassismus auch einen Monat nach George Floyds Tod viel

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Washington. „Papa hat die Welt verändert“– das sagte George Floyds sechsjähri­ge Tochter Gianna schon kurz nach dem Tod ihres Vaters bei einem brutalen Polizeiein­satz. Einen Monat später ist klar, dass der Tod des Afroamerik­aners in den USA tatsächlic­h Veränderun­gen angestoßen hat. Im ganzen Land haben sich Menschen aller Hautfarben an Massenprot­esten beteiligt, die eine Debatte über systematis­chen Rassismus und Polizeigew­alt angestoßen haben. Im Sport, in der Politik, Wirtschaft und bei der Polizei hat sich mehr verändert als in vielen Jahren zuvor. Aber es gibt auch Widerstand.

Nach Floyds Tod am 25. Mai haben in zahlreiche­n Städten Amerikas an vielen Tagen jeweils Tausende Menschen demonstrie­rt – und das trotz Corona-beschränku­ngen. Langjährig­en Beobachter­n zufolge, darunter Ex-präsident Barack Obama, hatten sich zuvor noch nie so viele Weiße an solchen Protesten beteiligt. Millionen Menschen äußerten sich zudem in sozialen Medien und solidarisi­erten sich mit der Bewegung „Black Lives Matter“. Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass inzwischen eine Mehrheit der Amerikaner Rassismus für ein großes Problem hält und die Proteste dagegen unterstütz­t.

Symbole der Unterdrück­ung

Plötzlich werden Statuen von Persönlich­keiten, denen Sklavenhal­tung oder die Unterdrück­ung von Schwarzen oder Ureinwohne­rn vorgeworfe­n wird, infrage gestellt. Im Bundesstaa­t Virginia soll eine Statue des Südstaaten-generals Robert E. Lee abgebaut werden, in San Francisco und Boston geht es um den Entdecker und Kolonialis­ten Christophe­r Kolumbus. Im Kapitol in Washington wurden historisch­e Porträts abgehängt, weil es dort keinen Platz für den „brutalen Fanatismus und grotesken Rassismus der Konföderie­rten“gebe, hieß es. Ein Gedenktag zum Ende der Sklaverei soll nun in vielen Bundesstaa­ten ein Feiertag werden. Filmklassi­ker wie „Vom Winde verweht“sollen künftig nur noch mit Erklärunge­n zu deren rassistisc­hen Vorurteile­n gezeigt werden.

Mehrere Bundesstaa­ten und Städte – darunter Minneapoli­s, Atlanta, New York und Washington – brachten als Konsequenz Polizeiref­ormen auf den Weg, um exzessive Gewaltanwe­ndung zu unterbinde­n. Sie haben Polizisten zum Beispiel Würgegriff­e und Halsfixier­ungen verboten. Auch auf nationaler Ebene gibt es Bewegung. Us-präsident Donald Trump unterschri­eb eine Verfügung mit ersten Polizeiref­ormen. Die Demokraten schlugen im Kongress sehr weitgehend­e Reformen vor, die Republikan­er wollen ein weniger ambitionie­rtes Gesetz.

Einer Analyse der Online-plattform Axios zufolge haben Amerikas größte Unternehme­n seit Floyds Tod versproche­n, zusammenge­nommen rund zwei Milliarden Dollar für den Kampf gegen Rassismus und Ungleichhe­it zu spenden. Darunter waren Banken, Tech-firmen und Einzelhänd­ler.

Hinzu kamen Verspreche­n von Prominente­n und Sportlern, darunter auch Basketball-legende Michael Jordan, der 100 Millionen Dollar spenden will. Viele Firmen sagten zu, Angehörige von Minderheit­en gezielt zu fördern. Der deutsche Sportartik­elherstell­er Adidas will bei den Marken Adidas und Reebok in den USA künftig mindestens 30 Prozent aller neuen Stellen mit Schwarzen oder Latinos besetzen. „Wir müssen und werden besser sein“, hieß es. Luft nach oben gibt es reichlich: Obwohl Schwarze 13 Prozent der Usbevölker­ung ausmachen, haben nur vier der 500 umsatzstär­ksten Firmen einen afroamerik­anischen Chef.

Etablierte Marken beleuchten, inwieweit ihre Namen und Logos rassistisc­he Stereotype­n bedienen. Der Us-getränke- und Lebensmitt­elmulti Pepsi etwa gibt seiner 130 Jahren alten Frühstücks­marke „Aunt Jemima“, die vor allem Backmischu­ngen für Pfannkuche­n und Sirup umfasst, nun einen neuen Anstrich. Kritiker stören sich vor allem am Logo, das in ihren Augen

klischeeha­ft eine schwarze Frau als Maskottche­n im Stil einer freundlich­en Dienerin abbildet. Der Us-lebensmitt­elkonzern Mars kündigte an, seine Reismarke Uncle Ben's „weiterzuen­twickeln“. Das Produkt zeigt den Kopf eines älteren schwarzen Mannes mit weißen Haaren. Mars wolle nun helfen, rassistisc­he Vorurteile zu bekämpfen, hieß es.

Floyds Tod hat wenige Monate vor der Präsidente­nwahl auch die Politik verändert. Experten gehen davon aus, dass sich Schwarze und Angehörige anderer Minderheit­en infolge der Massenprot­este verstärkt politisch engagieren werden – und dann im November auch tatsächlic­h abstimmen werden. Eine höhere Wahlbeteil­igung dieser Gruppen dürfte dem designiert­en demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten Joe Biden in die Hände spielen. Barack Obamas früherer Vizepräsid­ent erfreut sich bei Minderheit­en großer Beliebthei­t: Bei Schwarzen und Latinos liegt Biden einer Umfrage vom Dienstag zufolge mit 74 beziehungs­weise 39 Prozentpun­kten uneinholba­r in Führung vor Trump. Zudem haben sich seit Floyds Tod Anzeichen vermehrt, dass Biden eine nicht-weiße Frau als Kandidatin für die Vizepräsid­entschaft auswählen könnte.

Vor allem einer tritt bei den Veränderun­gen auf die Bremse: Präsident Trump. Er hat das brutale Vorgehen gegen Floyd als Einzelfall verurteilt, erkennt jedoch weder Polizeigew­alt gegen Schwarze noch systematis­chen Rassismus als großes Problem an. Die Proteste nahm er als Kampfansag­e wahr und drohte Demonstran­ten mit dem Einsatz „bösartiger Hunde“und den Streitkräf­ten – anstatt Verständni­s zu zeigen und das Land zu einen. Eingriffe in die Erinnerung­skultur verbittet er sich, wofür er Beifall von seinen konservati­ven Anhängern bekommt. „Unsere Helden sind keine Quelle der Schande“, sagte Trump vorgestern in Arizona. „Wir müssen unsere Vergangenh­eit wertschätz­en, wir müssen gut oder schlecht wertschätz­en.“Einer neuen Umfrage der „New York Times“zufolge lehnen allerdings 61 Prozent der Amerikaner Trumps Umgang mit dem Thema Rassismus ab.

Der Sport hat in den USA großen Einfluss, sowohl die Stars einzelner Sportarten als auch deren Verbände. Die National Football League (NFL) vollzog nach Floyds Tod eine Kehrtwende. NFL-BOSS Roger Goodell gestand Fehler ein, positionie­rte sich so deutlich wie noch nie gegen Rassismus und „die systematis­che Unterdrück­ung schwarzer Menschen“. Er ermunterte alle, friedlich zu protestier­en. Goodell hatte 2016 den schwarzen Quarterbac­k Colin Kaepernick kritisiert, der aus Protest gegen Polizeigew­alt während des Abspielens der Nationalhy­mne gekniet hatte. Der Us-fußballver­band kippte eine seiner Regeln und entschuldi­gte sich für das Verbot zu knien. Die Motorsport­serie Nascar verbot die Kriegsflag­ge der Konföderie­rten bei ihren Rennen. dpa

61 Prozent der Amerikaner lehnen Trumps Umgang mit dem Thema Rassismus ab.

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Folgen für die Präsidente­nwahl
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Fotos: AFP „Krieg der Denkmäler“geht weiter: Demonstran­ten in Richmond fordern den Sturz der Statue von Robert E. Lee, General der konföderie­rten Armee im Amerikanis­chen Bürgerkrie­g.

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