Ist Religion problematisch?
Sam Harris, Richard Dawkins, Daniel Dennett und Christopher Hitchens haben Bücher publiziert, die viele als ein „stocked arsenal of anti-religious thought“– so der U.S. News and World Report über Dawkins’ Buch – ansehen. Man bezeichnet diese vier Autoren
Die vier Bücher entstanden zum Teil als Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 und sie richten sich insofern primär gegen den religiösen Fanatismus und dessen menschenverachtende Handlungen. Aber ist es bloß der Fanatismus, der problematisch ist, oder die Religion als solche? Hier findet man unterschiedliche Ansichten bei den vier Autoren, von Christopher Hitchens, der der Religion als solcher gegenüber am feindlichsten eingestellt ist, bis zu Daniel Dennett, der darum bemüht ist, die Religion nicht nur als Gift zu sehen.
Von den vier genannten Autoren ist Hitchens (God is not great) der radikalste, unnuancierteste und philosophisch gesehen schwächste. Er hat durchaus Recht zu behaupten, dass die Religionen Menschenwerk sind (S. 17), und auch seine Behauptung, dass Gott Menschenwerk ist (S. 254) kann man gelten lassen, falls man „Gott“durch „Gottesvorstellungen“ersetzt.
Problematisch wird es aber, wenn Hitchens behauptet, wie es schon im Untertitel des Buches heißt: „Religion poisons everything“(S. 12). Es soll keineswegs bestritten werden, dass durch die Religion vieles vergiftet wurde, aber zu behaupten, dass sie alles vergiftet, darf zumindest hinterfragt werden. Ebenso steht es mit der Behauptung: „The true believer cannot rest until the whole world bows the knee“(S. 31). Handelt es sich um eine Definition des wahren Gläubigen oder ist es eine Aussage, die sich auf Erfahrung stützt? Ich persönlich kenne viele Menschen, die sich selbst als wahre Gläubige bezeichnen würden, die aber keineswegs durch einen Willen zur Macht getrieben werden. Insofern Hitchens aber von der Religion behauptet „it wants power in this [world]“(S. 17), scheinen für ihn Religion und Suche nach irdischer Macht immer zusammenzugehen. Den Beweis für diese These liefert Hitchens aber nicht. Er zeigt nur, dass viele machtgierige Menschen sich der Religion bedient haben, um ihre Macht zu etablieren. Sollte man hier nicht davon ausgehen, dass diese Menschen, wenn sie nicht die Religion vorgefunden hätten, auf etwas anderes zurückgegriffen hätten – die Nation, die Menschenrechte, …? Dass in vielen religiösen Texten Machtansprüche gemacht werden, soll nicht geleugnet werden, und lässt sich am besten durch Hitchens These erklären, die Religionen seien Menschenwerk.
Wie unnuanciert Hitchens Buch ist, zeigt auch seine Kennzeichnung der Religion als „a babyish attempt to meet our inescapable demand for knowledge (as well as for comfort, reassurance, and other infantile needs)“(S. 64). Das Verlangen nach „comfort, reassurance“, usw. gehört zu unserer conditio humana, und es wäre vielleicht gut, wenn der Mensch wieder lernen würde, sich auf sein Kindsein und auf die damit einhergehende Verletzlichkeit zu besinnen, statt sich als unverletzlicher und souveränen Erwachsener zu betrachten.
Für Sam Harris (The End of Faith) ist die Sache klar: Entweder entledigen wir uns der Religion, oder die Welt wird zu Grunde gehen (S. 14). Aus seiner Sicht genügt es also nicht, die Inhalte des Glaubens neu zu definieren, eine fundamentalistische Lektüre der Heiligen Texte durch eine gemäßigte Lektüre zu ersetzen. In der Mäßigung sieht Harris lediglich eine „failure to criticize the unreasonable (and dangerous) certainty of others“(S. 39). Für Harris ist der religiöse Glaube an sich irrational und somit kann eine gemäßigte Lektüre sich nicht als vernünftiger behaupten, was u. a. bedeutet, dass man keine Möglichkeit hat, den Fundamentalisten zu kritisieren – der sich, ebenso wie der Gemäßigte, auf Passagen der Heiligen Schriften beruft – aber auf andere.
Harris fürchtet sich derart vor der Gefährlichkeit bestimmter religiöser Gedanken, dass ihm eine Behauptung wie folgende aus der Feder fließt: „Some propositions are so dangerous that it may even be ethical to kill people for believing them“(S. 52-3). Gegen die religiösen Fanatiker, so Harris, kommt kein Argument an, und wenn man diese Menschen nicht fangen und auf diese Weise unschädlich machen kann, dann sind wir durchaus berechtigt, sie zu töten – er denkt hier etwa an den Militäreinsatz gegen die Taliban.
Harris fasst die Religion in erster Linie als ein System irrationaler Glaubenssätze auf, die der Gläubige dogmatisch akzeptieren muss und nach denen er sein Leben auszurichten hat. Dabei merkt er an einer Stelle an, dass sein Angriff sich gegen die „majority of the faithful in every religious tradition“wendet, nicht aber gegen „Tillich’s blameless parish of one“(S. 65). Es ist dies eine Anspielung auf den Theologen Paul Tillich, der, genauso wie Kant, die abergläubische Dimension der Religion verurteilte.
In seinem Buch geht Harris auch auf die Frage der Spiritualität ein. Wir Menschen spüren in uns etwas, das uns dazu treibt, „[to] surpass our narrow identities as ‚selves‘“(S. 39). Und auch das Heilige ist Harris nicht fremd: „There is clearly a sacred dimension to our existence, and coming to terms with it could well be the highest purpose of human life“(S. 16). Dieses „coming to terms“sollte sich aber nicht in unveränderlichen, als Gottes eigenes Wort dargestellten Texten ausdrücken.
Gleich im Vorwort der Taschenbuchausgabe seines Buches „The God Delusion“stellt Richard Dawkins klar, dass er sich primär gegen den religiösen Fanatismus richtet. Dieser herrscht leider vor, und die Stimme der wenigen – siehe Harris‘ Hinweis auf Tillich –, die eine „understated, decent, revisionist religion“haben, wird übertönt (S. 15). Wie Harris, warnt auch Dawkins vor einer solchen, im Rahmen des Religiösen bleibenden Mäßigung: „Nonfundamentalist, ‚sensible‘ religion may not be doing [what fundamentalism does]. But it is making the world safe for fundamentalism by teaching children, from their earliest years, that unquestioning faith is virtue“(S. 323).
Dawkins macht einen Unterschied zwischen einerseits dem, was er als übernatürliche Religion bezeichnet, und andererseits dem, was er
„Einsteinian religion“nennt – wobei er allerdings selbst zugibt, dass er Schwierigkeiten hat, Letzteres als Religion zu bezeichnen (S. 36). Dawkins zitiert in diesem Kontext Einstein, der den religiösen Aspekt seiner Einstellung zur Welt als „the unbounded admiration for the structure of the world so far as our science can reveal it“(S. 36) bezeichnet. Im Gegensatz zur übernatürlichen Religion, kommt in der „Einsteinian religion“kein Gott vor.
Dawkins Buch will den Glauben an die Existenz eines Gottes oder mehrerer Götter unterminieren und geht dabei in zwei Schritten vor. Einerseits zeigt er, dass man die Existenz Gottes nicht beweisen kann, sodass der Glaube an die Existenz Gottes als unbegründet gelten muss. Dawkins unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen sieben Kategorien von Menschen, beginnend mit dem starken Theisten. Dieser behauptet zu wissen, dass es Gott gibt. Am anderen Ende der Skala steht der starke Atheist, der behauptet zu wissen, dass es Gott nicht gibt. Dawkins selbst bleibt kurz vor dieser extremen Position stehen und sagt nur, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gott existiert, sei so gering, dass man sie vernachlässigen kann.
Verlangen nach Trost
Ein natürliches Phänomen
In einem zweiten Schritt versucht Dawkins zu erklären, wie der Glaube an Gott entstehen und fortbestehen konnte. Aus der von Dawkins eingenommenen evolutionstheoretischen Sicht ist der religiöse Glaube nämlich völlig irrational, führt er doch zu Handlungen, die „timeconsuming, energy-consuming“sind (S. 192), ohne dass dies anscheinend zur „survival of the individual’s genes“beiträgt (S. 192). Dawkins wurde durch sein Buch „The Selfish Gene“bekannt. Die Grundthese dieses Buches lautete, dass alle Lebewesen willenlose Automaten im Dienste ihrer Gene sind. Und in der Welt der Gene gilt, wie es in „The God Delusion“heißt: „Ruthless utilitarianism trumps, even if it doesn’t always seem that way“(S. 191).
Dawkins wendet in diesem Kontext die Meme-theorie an (S. 231ff.). Sind Gene biologische Einheiten, so handelt es sich bei Memen um kulturelle Einheiten. So ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod ein Meme, das unter Umständen zum Überleben eines kulturellen Körpers beitragen kann – etwa dadurch, dass die Individuen sich dann leichter in einem Krieg opfern. Auf diese Weise versucht Dawkins, die Religion in einer evolutionistischen Perspektive zu verstehen und als natürliches Phänomen zu betrachten.
Auch Daniel Dennett sieht die Religion, wie es der Untertitel seines Buches „Breaking the Spell“sagt, „as a Natural Phenomenon“, und auch er greift auf die Meme-theorie zurück. Dabei versucht er, auf den letzten, natürlichen Ursprung der Religion zurückzugehen: „At the root of human belief in gods lies an instinct on a hair-trigger: the disposition to attribute agency – beliefs and desires and other mental states – to anything complicated that moves“(S. 114).
Insofern fängt die Religion mit dem Animismus an, hat sich dann im Laufe der Jahrtausende verwandelt, sodass aus den „folk-religions“organisierte Religionen wurden, mit Heiligen Texten, Experten in Heiligen Texten, einer Hierarchie, usw.
Auch Dennett ist davon überzeugt, dass es in jeder Religion Menschen gibt, die den vernünftigen Dialog akzeptieren, dass diese aber eine verschwindend kleine Minderheit bilden (S. 297). Dabei richtet er folgenden Appell an diese Minderheit: „An important task for religious people of all faiths in the twenty-first century will be spreading the conviction that there are no acts more dishonorable than harming ,infidels‘ of one stripe or another for ,disrespecting‘ a flag, a cross, a holy text“(S. 297). Wie Harris und Dawkins ist aber auch Dennett der Überzeugung, dass gemäßigte Gläubige, wenngleich ungewollt, das Spiel der Fundamentalisten machen (S. 300). Und trotzdem ruft er zum „dangerous work of desanctifying the excesses in each tradition from the inside“auf (S. 301).
Wenn Dennett von den Atheisten behauptet, sie seien „quite aware of all the good that religions accomplish“(S. 300), so klingt dies übertrieben. Viele Atheisten sind auf einem Auge blind – wie auch viele Gläubige auf dem anderen Auge blind sind. Viele Atheisten werden auch sicherlich vor folgender Forderung Dennetts aufschrecken: „Let’s get more education about religion into our schools, not less“(S. 327), wobei diese Erziehung selbstverständlich rein faktuell und nicht proselytisch sein sollte. Auch Dawkins muss zugeben, er sei „a little taken aback at the biblical ignorance commonly displayed by people educated in more recent decades“(Dawkins, S. 383), und auch er plädiert für eine größere Präsenz der Religionen in der Erziehung, wobei er vieles, was in den Religionen zu finden ist, als „a treasured heritage“bezeichnet (Dawkins, S. 387).
Ich denke, dass jeder auch nur halbwegs vernünftige Mensch die Grundsorge der vier Reiter des Atheismus teilen kann, nämlich die Sorge, dass Menschen sich noch wegen ihres religiösen Glaubens gegenseitig töten. Es ist schlichtweg unvernünftig, jemanden zu töten oder sonst wie zu misshandeln, bloß weil er nicht zugeben will, dass das, was in einer Heiligen Schrift steht, Gottes Wort und damit, so wird behauptet, unbedingt wahr ist.
Aber wie sollte man dann mit den Heiligen Schriften und den dort enthaltenen Texten umgehen? In seinem Buch „Zwischen Naturalismus und Religion“gibt uns der deutsche Philosoph Jürgen Habermas einen interessanten Gedankenanstoß: „Religiöse Überlieferungen leisten bis heute die Artikulation eines Bewusstseins von dem, was fehlt. Sie halten die Sensibilität für Versagtes wach. Sie bewahren die Dimensionen unseres gesellschaftlichen und persönlichen Zusammenlebens, in denen noch die Fortschritte der kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung abgründige Zerstörungen angerichtet haben, vor dem Vergessen. Warum sollten sie nicht immer noch verschlüsselte semantische Potenziale enthalten, die, wenn sie nur in begründende Rede verwandelt und ihres profanen Wahrheitsgehaltes entbunden würden, eine inspirierende Kraft entfalten können?“(S. 13). Oder wie es der Habermasianer Jean-marc Ferry in seinem Buch „Les lumières de la religion“formuliert: „Le rejet intellectuel de toute proposition de sens émanant de la religion frise l’inculture militante. La religion ne va pas nous apporter de solutions, mais je pense que sa culture peut contribuer à éclairer nos problèmes et à suggérer des pistes“(S. 68). Es geht nicht darum, zu glauben, sondern sich zu besinnen.
Religionen stehen nicht in Konkurrenz zu den Naturwissenschaften und ihre Existenzaussagen sollten dementsprechend auch nicht mit den Kriterien der Naturwissenschaften bewertet werden. Religionen sind keine Erklärungs-, sondern Deutungsversuche. Sie suchen nach Sinn, nicht nach wissenschaftlicher Wahrheit.
Auf einem Auge blind
In Zeiten von Covid-19 und virusbedingtem „Social Distancing“einen Artikel über die positiven Seiten des Alleinseins und des Alleinsein-könnens zu schreiben, mag befremdlich erscheinen. Aber warum nicht einmal einen anderen Blick auf einen oft verkannten Zustand werfen, von dem Hermann Hesse euphorisch sagte: „Nur im Alleinsein können wir uns selber finden. Alleinsein ist nicht Einsamkeit, sie ist das größte Abenteuer!“
Um es mit Hesse gleich vorwegzunehmen: Es soll hier nicht um Einsamkeit gehen, um das schmerzhafte Gefühl sich nirgendwo dazugehörig zu fühlen, das belastende Empfinden über kein stabiles Netz an befriedigenden Beziehungen zu verfügen. Soziale oder emotionale Einsamkeit ist ein Problem, das in modernen Gesellschaften weltweit – und natürlich auch in Luxemburg – viele Menschen aller Altersgruppen betrifft, leiden und im schlimmsten Fall ernsthaft erkranken oder gar sterben lässt. Besonders in unserer schnelllebigen Zeit, in der man sich mittels moderner Kommunikationsmittel ständig und überall mit anderen mühelos in Kontakt bringen kann, scheint dieses Phänomen umso „verwerflicher“geworden zu sein. „Einsamkeit ist ein Tabu in unseren Tagen, etwas, das eigentlich nicht ‚passieren‘ sollte. In einer Leistungsgesellschaft, in der fast alles als ‚machbar‘ erscheint und jeder als seines eigenen Glückes Schmied gilt, hat man anscheinend etwas falsch gemacht, wenn man sich einsam fühlt“, beschreibt die Psychologin Ursula Wagner in ihrem Buch „Die Kunst des Alleinseins“.
Das Gedankenkarussell zur Ruhe kommen lassen
Dass nicht frei gewählte Einsamkeit Menschen schaden und massiv belasten kann, ist unbestritten. Aber wie gestaltet sich die Situation, wenn wir uns selbst dafür entscheiden, ganz bewusst eine „Auszeit“zu nehmen? Uns auf die Suche nach unserem eigenen Wesenskern zu machen und herauszufinden, welche Richtung wir unserem Leben geben wol
D’sonn weist sech ëm Gehaansdag laang
D’gewan huet festlech sech gerëscht
Mär hunn eis Fändlen opgehaang
wou rout a blo mat wäiss dertëscht
eis Faarwe si fir Joer an Dag
egal wat ëmmer komme mag
Op de Felder tëscht dem Weess
fanne mer déi Faarwen nees
Sou houfreg rout stinn d’feierblummen
déi wäiss Margréidercher si schei
d’karblumme réckelen zesummen
bléiblo mat hinnen an eng Rei
Ëmmer wa mer äis erënnren
un déi Faarwe rout wäiss blo
werde wuel eis Aë glënnren
an eis Heemécht bleift äis no
Jeanine Theis – Kauth