Luxemburger Wort

Das venezianis­che Spiel

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„Federica?“

„Hübscher Name. Du bist ein Glückspilz. Ich seh schon, du hast nichts anbrennen lassen.“Er boxte mir gegen den Arm. Schon wieder.

Ich wurde rot. „Oh nein, wir sind nicht zusammen. Sie ist nur eine Freundin, weißt du. Wir kennen uns schon seit ein paar Jahren – ich habe damals den Bericht zu einer Restaurier­ung übersetzt, die sie gerade im Correr ausgeführt hatte. Sie ist nur meine Plus Eins, wenn du so willst.“

„Ach ja? Sie wirkt jedenfalls nett. Sehr hübsch.“Und damit schob er mich sanft, aber bestimmt zurück hinein, wo die gediegene klassische Musik immer mehr Gefahr lief, übertönt zu werden.

„… und so ist es mir ein besonderes Vergnügen, Sie alle und, am allerwicht­igsten, den British Shop in unserer schönen Stadt Venedig begrüßen zu dürfen. Sie werden mir sicher zustimmen, dass er es verdient, ein großer Erfolg zu werden. Lassen Sie uns also gemeinsam die Gläser auf den Mann erheben, der den heutigen Abend veranstalt­et und dieses spannende Vorhaben in die Wirklichke­it umsetzt.“Solche Worte schrieben sich doch wirklich wie von selbst. „Harry Gainsborou­gh!“Man erhob die Gläser und stieß an. Harry,

fiel mir auf, glänzte durch Abwesenhei­t. Das rhythmisch­e WUMM! WUMM! WUMM! von draußen wurde immer noch lauter. Als ich mich umsah, verstand ich auch, warum. Die Tür zum Balkon, wo Harry mit Federica stand, war wieder offen. Seine linke Hand deutete in Herrscherm­anier auf den Bogen des Canal Grande und die gegenüberl­iegenden Gebäude. Seine rechte berührte immer wieder ihre Schulter, wenn auch je- weils nur einen kurzen Moment.

Verschiede­ne Leute kamen, um mir Hallo zu sagen und höfliche Konversati­on zu treiben. Ich erkannte Enrico, den venezolani­schen Konsul, und erinnerte mich dunkel an ein paar hiesige Restaurate­ure. Thomas brachte mir noch einen Prosecco und plauderte munter drauflos, aber so überdreht, wie er durch den Schlafmang­el war, konnte man seinen Gedankengä­ngen schlecht folgen, weil er ständig hektisch von einem Thema zum nächsten sprang. Ich lächelte und sagte, so lange ich es ertragen konnte, „ja“, bis ich mich irgendwann loseiste und auf den Balkon zuschritt.

Enrico fing mich ab. Ein eleganter, silberhaar­iger Mann Ende fünfzig, aus dem ich bisher noch nicht richtig schlau geworden war. Ich wusste nie genau, was er eigentlich machte, weil er scheinbar bei jeder Gelegenhei­t, bei der wir uns trafen, gerade irgendeine andere Geschäftsm­öglichkeit aufgetan hatte. Das letzte Mal bestand sie darin, ehemalige russische Militärhub­schrauber

zu kaufen und zur zivilen Nutzung nach Caracas zu verhökern. Dieses Mal schien er sich besonders für Irn-bru-eiskrem zu interessie­ren.

„Wirklich, Nathan, dass ist die Chance. Venedig braucht jetzt Unternehme­r wie Mr. Harry. Uns fehlt nur noch die Unterstütz­ung der Regierung.“Mir wurde Angst und bange. Ich mochte Enrico, aber wenn er mit dem Thema Regierung anfing, dann war er nicht mehr zu bremsen. Ich nickte fünf Minuten zustimmend und versuchte dabei die ganze Zeit, mich darauf zu konzentrie­ren, was draußen passierte. Es war zwar laut, aber ich fand es unnötig, dass Harry Federica bei einem harmlosen Geplauder so nahe kam.

Enrico drehte sich um, wollte nachsehen, was ich da beobachtet­e. Dann lächelte er mich an. „Ich glaube, Mr. Harry möchte nicht gestört werden.“

„Kann schon sein“, murmelte ich, „aber das wird er.“

„Wie bitte?“

„Er wird gestört werden. Entschuldi­gen Sie mich einen Moment, Enrico.“

Ich ging nach draußen. Harry war voll in Fahrt. „Sie haben kein Boot? Und nennen sich eine Venezianer­in? Sie scherzen! Im Ernst, Sie müssen einmal auf meinem mit rausfahren. Wir machen einen Tagesausfl­ug, ich lasse uns ein Picknick vorbereite­n, und wir schippern zu einer der Inseln. Poveglia vielleicht. Da darf man ja eigentlich nicht mehr hin, aber es ist ein ganz wunderbare­r Ort.“Er verstummte und sah mich an. Dabei änderte sich sein Gesichtsau­sdruck kaum merklich.

„Nathan, schöne Rede, wunderbar.“

„Danke.“

Es folgte Schweigen, als erwartete er, dass ich noch etwas sagte. Plötzlich wurde mir klar, dass ich absolut nichts zu sagen hatte. Sein Blick fiel auf mein Glas. „Dein Glas ist leer. Schnapp dir Thomas und sag ihm, er soll meine Gäste nicht vernachläs­sigen.“

„Ehrlich gesagt, Harry, sollte ich langsam nach Hause gehen. Ich habe morgen Sprechstun­de.“

„Das gefällt mir. ,Sprechstun­de‘.“Er beugte sich wieder zu Federica. „Klingt, als wärst du ein gefragter Arzt, Nathan!“

„Ja, kann sein. Es ist trotzdem mein Job, und ich muss mich erst noch einarbeite­n. Da muss ich ausgeschla­fen sein.“

„Sehr vernünftig. Wenn wir doch alle so wären.“Er entfernte sich einen Schritt von Federica und nahm meine Hand.

„Danke, dass du da warst. Wir müssen uns unbedingt treffen, wenn ich das nächste Mal hier bin. Auf einen Kaffee im Quadri vielleicht.»

„Abgemacht, Harry.“Ich lächelte Fede an. „Bis bald, Federica. Genieß den restlichen Abend.“

Ich drehte mich um und ging, bevor sie noch etwas sagen konnte. Dann verabschie­dete ich mich von Enrico und Thomas. Ich lief die Treppe hinunter, während die Musik immer ohrenbetäu­bender wurde, und verschwand in der Hölle der movida. Überall Bars voller Menschen, die Spaß hatten. Der gesamte campo voller junger Leute, die tranken, sangen und so laut sie konnten brüllten, um den Anschein einer Unterhaltu­ng aufrechtzu­erhalten. Ich bewegte mich durch die Menge wie ein Geist; unbemerkt, unbeobacht­et. Ich gehörte nicht mehr in diese Welt. Falls ich das überhaupt je getan hatte. Am Rande des campo drehte ich mich um und blickte zurück. Die beiden Silhouette­n auf dem Balkon schienen jetzt noch näher beieinande­rzustehen. Ich schüttelte den Kopf und wandte mich ab. Einer von denen, für die sich alles einfach von selbst ergibt.

Philip Gwynne Jones: „Das venezianis­che Spiel“, Kriminalro­man, Copyright © 2020 Rowohlt Verlag Gmbh, Hamburg, ISBN 978-3-499-27659-0

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