Seehofer will Zeitung doch nicht anzeigen
Berlin. Drei Tage und ein paar Stunden hat der deutsche Innenminister für eine 180-Grad-wende gebraucht. Am Sonntagabend hatte Horst Seehofer (CSU) angekündigt: „Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der ,taz’ über die Polizei stellen.“Gemeint war ein Text der Autorin Hengameh Yaghoobifarah, die unter dem Titel „All cops are berufsunfähig“empfahl, die deutsche Polizei aufzulösen und die Polizisten auf eine Müllhalde zu bringen, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben“seien, also „unter ihresgleichen“. Am gestrigen Vormittag erklärte Seehofer schriftlich – ohne es explizit so zu formulieren -, dass er auf eine Anzeige verzichtet.
Merkel schaltet sich ein
Seehofers Kehrtwende vorausgegangen ist eine Intervention der Bundeskanzlerin. Angela Merkel (CDU) pochte in vom Regierungssprecher als „vertraulich“bezeichneten Gesprächen offenbar ebenso auf die Pressefreiheit wie Vertreter der Opposition und der Deutsche Journalistenverband. Michael Kellner, Geschäftsführer der Grünen, etwa twitterte: „Klingt nach Orbán oder Kaczynski.“In der „taz“-redaktion ist Yaghoobifarahs Text umstritten; Chefredakteurin
Kehrtwende: Innenminister Horst Seehofer klagt doch nicht gegen die Zeitung.
Barbara Junge hat sein Erscheinen bedauert.
Sie und die gesamte Chefredaktion will Seehofer nun einladen, „um mit ihr den Artikel und seine Wirkung zu besprechen“. Außerdem werde er sich an den Deutschen Presserat wenden; die Organisation von Verlegern und Journalisten überprüft Verstöße gegen den von ihr formulierten Pressekodex – und spricht gegebenenfalls Ermahnungen und Rügen aus.
Seehofer schreibt, er bleibe dabei, dass „durch die menschenverachtende Wortwahl auch Straftatbestände erfüllt werden“. Ihm gehe es aber „nicht um Strafverfolgung einer Person und schon gar nicht um einen Eingriff in die Pressefreiheit“, sondern um „eine gesellschaftliche Diskussion darüber…, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen und wo die Grenzen einer Auseinandersetzung sind“.
Im Regierungsviertel war Seehofers Rückzug erwartet worden. Niemand rechnete damit, dass er einen erneuten Konflikt mit Merkel riskieren würde.
Zudem waren ihm Unionisten zwar bei seiner Forderung nach mehr Respekt für die Polizei beigesprungen – seine Anzeige-idee aber war bei den Spitzen von CDU und CSU auf dröhnendes Schweigen getroffen. art