„Angelegenheit von Leben und Tod“
Erstmals seit der Flüchtlingskrise ist die Zahl der Schutzsuchenden in Europa im vergangenen Jahr wieder gestiegen
Brüssel/valletta. Fast 1,4 Millionen Anträge auf internationalen Schutz wurden 2015 in Europa gestellt. Seitdem ist die Zahl kontinuierlich gesunken. Damit ist nun Schluss. Erstmals seit der Flüchtlingskrise ist die Zahl der Schutzsuchenden in Europa im vergangenen Jahr wieder gestiegen, wie aus einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Eu-asylbehörde Easo hervorgeht. Den Vereinten Nationen zufolge waren Ende 2019 weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie nie. „Asyl kann eine Angelegenheit von Leben und Tod sein“, sagte Eu-innenkommissarin Ylva Johansson bei der Vorstellung des Jahresberichts.
Europaweit – der Bericht bezieht sich auf die 27 Eu-staaten sowie auf die Schweiz, Großbritannien, Norwegen, Island und Liechtenstein – gab es einen Zuwachs um 11 Prozent auf 738 425. Bereits im Februar hatte Easo vorläufige
Zahlen für 2019 veröffentlicht, die etwas geringer ausfielen.
2015 hatte es noch fast 1,4 Millionen Anträge gegeben. Die Zahlen berücksichtigen auch Anträge von Menschen, die zuvor schon einmal Schutz gesucht hatten.
Hintergrund des Zuwachses ist Easo zufolge vor allem die gestiegene Zuwanderung aus Lateinamerika, etwa aus Venezuela oder Kolumbien. Zugleich machte Easo deutlich, dass die meisten Vertriebenen aus diesen Staaten nicht in Europa, sondern in der Region Schutz suchten.
Viel mehr Anträge aus Venezuela Dennoch habe es aus dem Krisenstaat Venezuela 2019 mit rund 46 000 doppelt so viele Anträge auf internationalen Schutz gegeben wie im Vorjahr.
Bürger aus vielen südamerikanischen Ländern brauchen kein Visum, um in den Schengenraum zu reisen. Sie stellten ihre Anträge hauptsächlich in Spanien. Die Hälfte aller Anträge wurde in Deutschland, Frankreich und Spanien gestellt. Im Gegensatz zu Deutschland, wo 2019 deutlich weniger Menschen einen Antrag auf internationalen Schutz als im Vorjahr stellten, wurden in Staaten wie Frankreich, Spanien oder Griechenland 2019 sogar mehr Anträge auf internationalen Schutz gestellt als während der Flüchtlingskrise.
„Es ist klar, dass einige Länder mehr beitragen könnten“, sagte Johansson mit Blick auf jene Staaten, in denen nur wenige Anträge gestellt wurden. In Ungarn waren es beispielsweise nur 500, in Estland 105. Die Schwedin kritisierte zudem die großen Unterschiede der nationalen Asylsysteme. So schwanke die Anerkennungsrate von Afghanen je nach europäischem Land mitunter um bis zu 65 Prozentpunkte. Auch die Bearbeitungszeit von Anträgen sei sehr verschieden.
Rund ein Viertel der Anträge in Europa kam von Menschen aus Syrien (rund 80 000), Afghanistan (rund 61 000) und Venezuela (rund 46 000). Fast allen Venezolanern wurde ein Schutzstatus gewährt.
Erneut rückläufige Zahlen in Italien Rückläufig waren die Zahlen hingegen erneut in Italien. Insgesamt wurden dort im vergangenen Jahr knapp 44 000 Anträge gestellt – ein Rückgang um mehr als ein Viertel (27 Prozent). Bereits im Vorjahr ging der Wert aufgrund der damals migrationsfeindlichen Politik Roms um mehr als 50 Prozent zurück. 2019 liegt Italien mit Blick auf die Antragszahlen erstmals seit 2015 nicht mehr unter den ersten fünf Staaten. Auch in Luxemburg war die Zahl der Asylbewerber 2019 gegenüber 2018 zurückgegangen, jedoch nur leicht. Malta (+92 Prozent) und Zypern (+76) erfuhren hingegen einen deutlichen Zuwachs. Zusammen mit Griechenland haben sie im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße die meisten Anträge erhalten.
Die Corona-krise hat die Zahl der Anträge auf internationalen Schutz zuletzt auf einen Tiefststand seit 2008 fallen lassen. So wurden im April nur rund 8 700 Anträge gestellt. Easo rechnet jedoch damit, dass bald wieder mehr Schutzsuchende nach Europa kommen dürften. Die europäischen Länder müssten auf einen Anstieg vorbereitet sein. Zugleich beklagte die Eu-behörde, dass es 2019 mit Blick auf die Eu-asylreform kaum Fortschritt gab. dpa
Es ist klar, dass einige Länder mehr beitragen könnten. Eu-innenkommissarin Ylva Johansson