Der Tutor im Handy
Drei Unternehmerinnen aus Luxemburg wollen mit digitalen Lösungen den Bildungsmarkt erobern
Als die ungarische Spieleentwicklerin Gyorgyi Szakmar 2013 nach Luxemburg kam, stand sie vor einer großen Herausforderung: „Meine ältere Tochter hatte gerade mit der Schule angefangen und ich musste ihr jeden Tag mit den Hausaufgaben helfen, auf Deutsch, Französisch, Luxemburgisch – und ich sprach keine dieser Sprachen“, erzählt sie. „Jeden Tag lernte sie Vokabeln und es war superlangweilig – für sie, aber auch für mich. So sollte es nicht sein.“
Um eine Lösung dafür zu finden, besann sich Szakmar auf das, was sie am besten kann: Spiele zu entwickeln. Sie schuf ein simples Spiel, in deren Mittelpunkt eine Maus stand. Um im Spiel weiterzukommen, musste ihre Tochter „Multiple-choice“-fragen zu den jeweiligen Lerninhalten richtig beantworten. „Die Fragen habe ich dann an die Inhalte der einzelnen Fächer angepasst. Sie hat so Deutsch und Luxemburgisch gelernt, aber auch zum Beispiel Mathematik“, sagt Szakmar. Auf diese Weise wurde das Lernen für ihre Tochter unterhaltsamer und damit stieg auch die Motivation.
Mit der Zeit kam Szakmar dann der Gedanke, dass man nicht nur die Lerninhalte austauschen können sollte, sondern auch das Spiel. Damit war der Kern ihrer Geschäftsidee geboren. Sie baute eine Plattform, auf der Nutzer individuelle Lerninhalte erstellen und in verschiedene Computerspiele übertragen können. Diese Spiele wollte sie allerdings nicht selbst entwickeln, sondern sie bot Gaming-firmen eine Schnittstelle zu ihrer Plattform an. „Mit unserem „Software Developer-kit“können die Entwickler grundsätzlich alle Spiele – vom Space Shooter bis Candy Crush – in ein Werkzeug verwandeln, mit dem man seine Hausaufgaben üben kann“, sagt Szakmar. Ist diese Schnittstelle erst mal hergestellt, können Eltern oder andere Nutzer die Lerninhalte nach Belieben austauschen. Um ihre Geschäftsidee zu realisieren, gründete Gyorgyi Szakmar im Mai 2018 das Start-up „Edugamitec“.
Neben den Eltern richtet sich die Plattform auch an Lehrer und Lehrbuchverlage, die digitale und spielerische Elemente in ihre Unterrichtsmaterialien integrieren möchten. Dabei ist die Basislösung für die Nutzer noch kostenlos, aber ab dem kommenden Jahr soll es einen Premiumzugang ohne Werbung in den Spielen, mit mehr Funktionen und mehr Speicherplatz für die eigenen Inhalte geben. Darüber hinaus kassiert Edugamitec einen Anteil an den Erlösen der Spielefirmen.
Sprachfreie Mathematik
Edugamitec ist dabei nur eines von mehreren vielversprechenden jungen Unternehmen aus Luxemburg, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Art und Weise, wie wir lernen mithilfe digitaler Hilfsmittel zu verbessern. Ein weiteres Beispiel ist „Magrid“, eine Ausgründung aus der Universität Luxemburg. Am Anfang der Idee für das Unternehmen stehen die beiden Doktorarbeiten
von Tahereh Pazouki und Véronique Cornu. Sie gingen der Frage nach, wie man Kindern grundlegende mathematische Fähigkeiten beibringen kann, ohne dabei auf sprachliche Fähigkeiten angewiesen zu sein. „Im luxemburgischen Bildungssystem und gerade in den Grundschulen gibt es das Problem, dass über 60 Prozent der neu eingeschulten Kinder nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden“, sagt Pazouki. Das ist besonders in Mathematik problematisch, weil die Lerninhalte praktisch über die komplette Bildungskarriere aufeinander aufbauen. Hat ein Kind einmal den Anschluss verpasst, ist es fast unmöglich, diesen Rückstand wieder vollständig aufzuholen. „In der Bildungsforschung zeigt sich, dass sich der Leistungsunterschied zwischen den Muttersprachlern und den anderen Kindern im Laufe der Zeit weiter vergrößert“, so Pazouki. Dieses Problem wollten die Forscherinnen mit einem digital gestützten Trainingsprogramm angehen, das sowohl gedruckte Materialien als auch eine App enthielt. „Die Idee war, verbale Instruktionen mit visuellem Material und praktischen Übungen zu ergänzen, indem man in der App Beispiele zeigt und Feedback gibt. Die Schüler sollen so mathematische Grundkonzepte intuitiv erfassen“, erklärt Pazouki. Das Programm richtet sich bisher in erster Linie an Kinder aus dem Zyklus 1, also im Alter von vier bis sechs Jahren; einer Phase, die für die Entwicklung des numerischen und räumlichen Vorstellungsvermögens entscheidend ist. Die Forscherinnen testeten die Methode über zwei Jahre an etwa 300 Schülern. „Wir haben festgestellt, dass die Nichtmuttersprachler, die an dem Programm teilgenommen haben, den Leistungsrückstand zu ihren muttersprachlichen Klassenkameraden in Schlüsselbereichen aufholen konnten“, so Antoine Fischbach, Direktor des „Luxembourg Centre for Educational Testing“und einer der Betreuer von Tahereh Pazoukis Doktorarbeit.
Die Publikation dieser Ergebnisse in wissenschaftlichen Journalen brachte den Forscherinnen enorme Aufmerksamkeit aus aller Welt – so gab es Anfragen aus Portugal, Indien oder Brasilien. Ein Beweis dafür, dass das Problem weit verbreitet ist und es eine globale Nachfrage für das Konzept gibt. Mit Hilfe von zwei Stipendien des Luxemburgischen Forschungsfonds (FNR) machte sich Tahereh Pazouki daran, aus dem Forschungsprojekt ein Start-up zu formen. Bisher ist nur eine abgespeckte Version der App verfügbar, aber in den kommenden Wochen wird die Vollversion in den gängigen Appstores zu finden sein.
Dabei richtet sich die Lösung in einer ersten Phase weniger an die Endnutzer als vielmehr an Schulleiter, Lehrer und Ministerien. So ist der erste große Kunde und Partner des jungen Unternehmen das Bildungsministerium, das den öffentlichen Luxemburger Schulen ab September die Lösung anbieten wird.
Automatischer Formelcheck
Mathematik steht auch im Zentrum der Idee von Himadri Pathak. Sie hat die App „Checkmath“entwickelt, die selbstständig erkennt, ob die Lösung einer mathematischen Gleichung korrekt ist oder nicht. Nutzer machen einfach mit dem Handy ein Foto ihrer Berechnungen und das Programm markiert mit grün die Zeilen, die richtig sind, und mit rot die fehlerhaften Stellen. „Für Schüler und Studenten funktioniert die App wie ein digitaler Tutor“, sagt die Gründerin. Für viele kam die Lösung gerade rechtzeitig; die App wurde in einer Beta-version wenige Wochen vor dem Lockdown gelauncht, als unzählige Studenten im Selbststudium über den Lehrbüchern verzweifelten. „Seit dem Beginn der Krise kamen jede Woche Tausende neuer Nutzer hinzu. Derzeit haben sich über 50 000 Anwender bei uns registriert“, sagt Pathak. Anfangs sei der Großteil der Nutzer noch aus Luxemburg gekommen, aber mit Beginn der Krise melde sich die Mehrzahl der Anwender von den USA, Großbritannien und Australien aus an.
Derzeit sei die App noch relativ simpel, sie zeige den Nutzern lediglich an, was richtig ist und wo ein Fehler ist. „Dennoch motiviert es die Schüler, weiterzuüben“, so die Gründerin. „Wir bereiten gerade die Vollversion mit zusätzlichen Funktionen wie Gamification-elementen vor, die im November gestartet werden soll.“Ab dann soll das Angebot von Checkmath auch kostenpflichtig sein. Etwa acht Euro pro Monat wird das Abonnement kosten.
Himadri Pathak, die Computerwissenschaften an der Universität Luxemburg studiert hat, entwickelte selbst den Algorithmus, der die Formeln checkt, als sie vor zwei Jahren Checkmath gründete. Nach dem Start der Vollversion will sie zusätzliches Risikokapital einwerben, um in Marketing und weitere Anwendungsbereiche für die App zu investieren. „Derzeit konzentrieren wir uns nur auf die Mathematik, die Technologie kann man auch verwenden, um chemische und physikalische Gleichungen zu lösen. Wir wollen unser Angebot auf alle ,Mint‘-fächer ausweiten“, so die Unternehmerin.
Der Großteil der Grundschüler wird nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet.