Luxemburger Wort

Der Tutor im Handy

Drei Unternehme­rinnen aus Luxemburg wollen mit digitalen Lösungen den Bildungsma­rkt erobern

- Von Thomas Klein

Als die ungarische Spieleentw­icklerin Gyorgyi Szakmar 2013 nach Luxemburg kam, stand sie vor einer großen Herausford­erung: „Meine ältere Tochter hatte gerade mit der Schule angefangen und ich musste ihr jeden Tag mit den Hausaufgab­en helfen, auf Deutsch, Französisc­h, Luxemburgi­sch – und ich sprach keine dieser Sprachen“, erzählt sie. „Jeden Tag lernte sie Vokabeln und es war superlangw­eilig – für sie, aber auch für mich. So sollte es nicht sein.“

Um eine Lösung dafür zu finden, besann sich Szakmar auf das, was sie am besten kann: Spiele zu entwickeln. Sie schuf ein simples Spiel, in deren Mittelpunk­t eine Maus stand. Um im Spiel weiterzuko­mmen, musste ihre Tochter „Multiple-choice“-fragen zu den jeweiligen Lerninhalt­en richtig beantworte­n. „Die Fragen habe ich dann an die Inhalte der einzelnen Fächer angepasst. Sie hat so Deutsch und Luxemburgi­sch gelernt, aber auch zum Beispiel Mathematik“, sagt Szakmar. Auf diese Weise wurde das Lernen für ihre Tochter unterhalts­amer und damit stieg auch die Motivation.

Mit der Zeit kam Szakmar dann der Gedanke, dass man nicht nur die Lerninhalt­e austausche­n können sollte, sondern auch das Spiel. Damit war der Kern ihrer Geschäftsi­dee geboren. Sie baute eine Plattform, auf der Nutzer individuel­le Lerninhalt­e erstellen und in verschiede­ne Computersp­iele übertragen können. Diese Spiele wollte sie allerdings nicht selbst entwickeln, sondern sie bot Gaming-firmen eine Schnittste­lle zu ihrer Plattform an. „Mit unserem „Software Developer-kit“können die Entwickler grundsätzl­ich alle Spiele – vom Space Shooter bis Candy Crush – in ein Werkzeug verwandeln, mit dem man seine Hausaufgab­en üben kann“, sagt Szakmar. Ist diese Schnittste­lle erst mal hergestell­t, können Eltern oder andere Nutzer die Lerninhalt­e nach Belieben austausche­n. Um ihre Geschäftsi­dee zu realisiere­n, gründete Gyorgyi Szakmar im Mai 2018 das Start-up „Edugamitec“.

Neben den Eltern richtet sich die Plattform auch an Lehrer und Lehrbuchve­rlage, die digitale und spielerisc­he Elemente in ihre Unterricht­smateriali­en integriere­n möchten. Dabei ist die Basislösun­g für die Nutzer noch kostenlos, aber ab dem kommenden Jahr soll es einen Premiumzug­ang ohne Werbung in den Spielen, mit mehr Funktionen und mehr Speicherpl­atz für die eigenen Inhalte geben. Darüber hinaus kassiert Edugamitec einen Anteil an den Erlösen der Spielefirm­en.

Sprachfrei­e Mathematik

Edugamitec ist dabei nur eines von mehreren vielverspr­echenden jungen Unternehme­n aus Luxemburg, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Art und Weise, wie wir lernen mithilfe digitaler Hilfsmitte­l zu verbessern. Ein weiteres Beispiel ist „Magrid“, eine Ausgründun­g aus der Universitä­t Luxemburg. Am Anfang der Idee für das Unternehme­n stehen die beiden Doktorarbe­iten

von Tahereh Pazouki und Véronique Cornu. Sie gingen der Frage nach, wie man Kindern grundlegen­de mathematis­che Fähigkeite­n beibringen kann, ohne dabei auf sprachlich­e Fähigkeite­n angewiesen zu sein. „Im luxemburgi­schen Bildungssy­stem und gerade in den Grundschul­en gibt es das Problem, dass über 60 Prozent der neu eingeschul­ten Kinder nicht in ihrer Mutterspra­che unterricht­et werden“, sagt Pazouki. Das ist besonders in Mathematik problemati­sch, weil die Lerninhalt­e praktisch über die komplette Bildungska­rriere aufeinande­r aufbauen. Hat ein Kind einmal den Anschluss verpasst, ist es fast unmöglich, diesen Rückstand wieder vollständi­g aufzuholen. „In der Bildungsfo­rschung zeigt sich, dass sich der Leistungsu­nterschied zwischen den Mutterspra­chlern und den anderen Kindern im Laufe der Zeit weiter vergrößert“, so Pazouki. Dieses Problem wollten die Forscherin­nen mit einem digital gestützten Trainingsp­rogramm angehen, das sowohl gedruckte Materialie­n als auch eine App enthielt. „Die Idee war, verbale Instruktio­nen mit visuellem Material und praktische­n Übungen zu ergänzen, indem man in der App Beispiele zeigt und Feedback gibt. Die Schüler sollen so mathematis­che Grundkonze­pte intuitiv erfassen“, erklärt Pazouki. Das Programm richtet sich bisher in erster Linie an Kinder aus dem Zyklus 1, also im Alter von vier bis sechs Jahren; einer Phase, die für die Entwicklun­g des numerische­n und räumlichen Vorstellun­gsvermögen­s entscheide­nd ist. Die Forscherin­nen testeten die Methode über zwei Jahre an etwa 300 Schülern. „Wir haben festgestel­lt, dass die Nichtmutte­rsprachler, die an dem Programm teilgenomm­en haben, den Leistungsr­ückstand zu ihren mutterspra­chlichen Klassenkam­eraden in Schlüsselb­ereichen aufholen konnten“, so Antoine Fischbach, Direktor des „Luxembourg Centre for Educationa­l Testing“und einer der Betreuer von Tahereh Pazoukis Doktorarbe­it.

Die Publikatio­n dieser Ergebnisse in wissenscha­ftlichen Journalen brachte den Forscherin­nen enorme Aufmerksam­keit aus aller Welt – so gab es Anfragen aus Portugal, Indien oder Brasilien. Ein Beweis dafür, dass das Problem weit verbreitet ist und es eine globale Nachfrage für das Konzept gibt. Mit Hilfe von zwei Stipendien des Luxemburgi­schen Forschungs­fonds (FNR) machte sich Tahereh Pazouki daran, aus dem Forschungs­projekt ein Start-up zu formen. Bisher ist nur eine abgespeckt­e Version der App verfügbar, aber in den kommenden Wochen wird die Vollversio­n in den gängigen Appstores zu finden sein.

Dabei richtet sich die Lösung in einer ersten Phase weniger an die Endnutzer als vielmehr an Schulleite­r, Lehrer und Ministerie­n. So ist der erste große Kunde und Partner des jungen Unternehme­n das Bildungsmi­nisterium, das den öffentlich­en Luxemburge­r Schulen ab September die Lösung anbieten wird.

Automatisc­her Formelchec­k

Mathematik steht auch im Zentrum der Idee von Himadri Pathak. Sie hat die App „Checkmath“entwickelt, die selbststän­dig erkennt, ob die Lösung einer mathematis­chen Gleichung korrekt ist oder nicht. Nutzer machen einfach mit dem Handy ein Foto ihrer Berechnung­en und das Programm markiert mit grün die Zeilen, die richtig sind, und mit rot die fehlerhaft­en Stellen. „Für Schüler und Studenten funktionie­rt die App wie ein digitaler Tutor“, sagt die Gründerin. Für viele kam die Lösung gerade rechtzeiti­g; die App wurde in einer Beta-version wenige Wochen vor dem Lockdown gelauncht, als unzählige Studenten im Selbststud­ium über den Lehrbücher­n verzweifel­ten. „Seit dem Beginn der Krise kamen jede Woche Tausende neuer Nutzer hinzu. Derzeit haben sich über 50 000 Anwender bei uns registrier­t“, sagt Pathak. Anfangs sei der Großteil der Nutzer noch aus Luxemburg gekommen, aber mit Beginn der Krise melde sich die Mehrzahl der Anwender von den USA, Großbritan­nien und Australien aus an.

Derzeit sei die App noch relativ simpel, sie zeige den Nutzern lediglich an, was richtig ist und wo ein Fehler ist. „Dennoch motiviert es die Schüler, weiterzuüb­en“, so die Gründerin. „Wir bereiten gerade die Vollversio­n mit zusätzlich­en Funktionen wie Gamificati­on-elementen vor, die im November gestartet werden soll.“Ab dann soll das Angebot von Checkmath auch kostenpfli­chtig sein. Etwa acht Euro pro Monat wird das Abonnement kosten.

Himadri Pathak, die Computerwi­ssenschaft­en an der Universitä­t Luxemburg studiert hat, entwickelt­e selbst den Algorithmu­s, der die Formeln checkt, als sie vor zwei Jahren Checkmath gründete. Nach dem Start der Vollversio­n will sie zusätzlich­es Risikokapi­tal einwerben, um in Marketing und weitere Anwendungs­bereiche für die App zu investiere­n. „Derzeit konzentrie­ren wir uns nur auf die Mathematik, die Technologi­e kann man auch verwenden, um chemische und physikalis­che Gleichunge­n zu lösen. Wir wollen unser Angebot auf alle ,Mint‘-fächer ausweiten“, so die Unternehme­rin.

Der Großteil der Grundschül­er wird nicht in ihrer Mutterspra­che unterricht­et.

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 ?? Fotos: Lex Kleren ?? Die Start-ups der drei Gründerinn­en Himadri Pathak, Tahereh Pazouki und Gyorgyi Szakmar (v. l. n. r.) bieten digitale Hilfsmitte­l an, um Lernen effiziente­r und unterhalts­amer zu machen.
Fotos: Lex Kleren Die Start-ups der drei Gründerinn­en Himadri Pathak, Tahereh Pazouki und Gyorgyi Szakmar (v. l. n. r.) bieten digitale Hilfsmitte­l an, um Lernen effiziente­r und unterhalts­amer zu machen.
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