Digital, aber auch sehr gezielt
Der Filmmarkt in Cannes findet nur im Web statt – Für die Filmgesellschaft Amour Fou läuft er rund
Das Filmfestival in Cannes ist nicht nur ein Schauplatz für Filmpremieren und ein roter Teppich für Filmstars, sondern auch einer der größten Filmmärkte, auf dem jedes Jahr Hunderte von unabhängig finanzierten Filmen versuchen, einen Verleih zu finden. Die Organisatoren der Festspiele in Cannes haben zwar den Wettbewerb um die Goldene Palme wegen der Corona-krise absagen müssen, nicht aber den Filmmarkt, der noch bis Sonntag stattfindet – wohlgemerkt nur virtuell. Dank Filmvorführungen und Videokonferenzen im Web können die Verkaufsagenten und Rechtekäufer Filmneuerscheinungen online sehen und ihre Geschäfte per E-mail und Videochat abwickeln.
„Dieser virtuelle Markt hat überraschend gut funktioniert“, sagt Alexander Dumreicher. Er ist an der Seite der Luxemburgerin Bady Minck Geschäftsführer der Filmproduktionsgesellschaft Amour Fou, die ein Standbein sowohl in Luxemburg als auch in Wien hat. Amour Fou war mit zwei Produktionen im Filmmarkt präsent: „Hochwald“von der Filmregisseurin und Drehbuchautorin Evi Romen und „Hinterland“von Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky, eine Produktion, die vom Film Fund Luxembourg gefördert wird. Beide Filme sind soweit abgedreht und werden voraussichtlich im Herbst, spätestens aber im Winter zu sehen sein.
Erleichterung nach Cannes
Am Telefon hört man dem Produzenten Alexander Dumreicher schon eine große Erleichterung an: „Ja, wir haben gute Nachrichten aus Cannes – endlich wieder nach langen Monaten der Corona-krise, die aber noch nicht vorbei ist.“Drei Filmdrehs von Amour Fou sind während der Krise gestoppt worden, was natürlich in die Kosten schlägt. Am 16. März wurden so die Dreharbeiten von „Histoire provisoire“abgesagt – das zu einem undenkbar schlechten Moment. Sie hätten nämlich am 23. März beginnen sollen, alles war demnach durchgeplant, das Team zum Teil auch schon vor Ort: Regisseur, Schauspieler und Techniker. Auch dieser Film von Romed Wyder wird vom Film Fund Luxembourg unterstützt.
„Zu dem Moment sind wir wie ein riesiges Schiff auf einen Eisberg zugesteuert, mittlerweile aber haben wir uns neu organisieren können“, erklärt Dumreicher. Am 10. August können die Dreharbeiten endlich beginnen und am 24. August wird auch für „Himbeeren mit Senf“von Ruth Olshan Drehbeginn sein.
Die Zeit der Hiobsbotschaften in der Filmindustrie scheint – zumindest bei Amour Fou – vorbei zu sein. „In Cannes sind meine Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen worden“, freut sich jedenfalls Alexander Dumreicher. „Das lag vielleicht daran, dass Filmkäufer und Verleiher diesmal eine bessere Vorauswahl getroffen haben, man überlegt sich halt vorher, wen man übers Web kontaktiert und wen nicht. Filmanbieter und Käufer
befanden sich aber auch in einem geschützteren Ort, in dem es nicht die Hektik und Ablenkung gab, die in Cannes normalerweise herrscht – der digitale Raum erlaubt es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.”
Das war auch der Fall bei der Präsentation des Films „Hochwald“– mit internationalen Namen „Why not you“. Erzählt wird, wie ein junger Mann, Mario, aus einem Südtiroler Bergdorf unbedingt weg will und dabei unter die Räder der Globalisierung gerät. Es ist die Geschichte einer Freundschaft, aber auch der Suche nach Identität. Wo gehöre ich hin? Wie steht es um einen Menschen, der aus einer Bergregion in die moderne Welt gelangt? Was ist Liebe? Was mit Religion?
„Es ist ein sehr intimer Film, der auch von der visuellen Kraft der Berge und natürlich der jungen Darsteller lebt“, so Alexander
Dumreicher, der dabei die Bezeichnung „alpiner Neorealismus“in den Mund nimmt. Damit wolle er auf den italienischen Neorealismus verweisen, denn der Film schildere auch in einer sehr authentischen und einfachen Form das Leben, in diesem Fall des jungen Mario und auch seiner alpinen Dorfgemeinschaft.
Regie führt die Südtirolerin Evi Romen, die in Wien lebt. Es ist ihr Debütfilm. Sie war lange Jahre eine Cutterin im Filmgeschäft, hat auch das Drehbuch von „Hochwald” geschrieben und dafür den Carlmayer-drehbuchpreis, einen sehr bedeutenden Drehbuchpreis im deutschsprachigen Raum, gewonnen. „Das war für uns ein Grund natürlich, ihr Drehbuch in unsere Filmproduktion aufzunehmen“, so der Filmproduzent.
Auf dem Filmmarkt in Cannes gab es eine Reihe von Anfragen vonseiten der Festivalbetreiber für
„Hochwald“– sie wollen den Film sichten. Auch die für den Weltvertrieb zuständige Firma True Colors aus Italien hat eine ganze Reihe von Anfragen von Verleihern bekommen.
Ästhetik und Originalität gefragt
Ein gutes Echo gab es in Cannes aber auch für den Film „Hinterland“von dem bekannten österreichischen Filmregisseur Stefan Ruzowitzky (zuletzt „Narziss und Goldmund“, Verfilmung der gleichnamigen Erzählung von Hermann Hesse; „Die Fälscher“, Oscar 2007 bester fremdsprachiger Film). Amour Fou produziert „Hinterland“mit Fördermitteln aus Luxemburg und hat davon in Cannes erste Bilder gezeigt.
Das Dekor zur Handlung besteht aus visuellen Effekten und aus historischen Bildern, die es erlauben, ein expressionistisches Wien der 1920er-jahre zu zeigen. „Hinterland“, in dem auch Luxemburger Schauspieler mitwirken, ist eine düstere Geschichte, die sich nach dem Ersten Weltkrieg abspielt, also in jenen Jahren, in denen eine alte Welt untergegangen und eine neue Ordnung noch nicht zu sehen war.
„Mich freut es, dass es sehr positive Reaktionen auf dieses ungewöhnliche Projekt gegeben hat, und es ist schön zu sehen, dass auch die Ästhetik und die Originalität immer noch gefragt sind“, sagt Alexander Dumreicher. Den Weltvertrieb für diesen Film hat die Firma Beta Cinema, großes Interesses für die Produktion hätten britische Filmverleiher gezeigt.
„Noch ist der Filmmarkt sehr volatil, man weiß nicht wie es mit Corona weitergehen wird, aber der Hunger nach Bildern ist immer noch da“, glaubt Alexander Dumreicher – nicht nur für ihn ist das eine positive Feststellung.