Luxemburger Wort

Filmstar, Philosoph und Vegetarier

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Es gab wirklich eine Zeit ohne Netflix, Youtube, Facetime und Skype. Ip-streaming wäre den Menschen damals wie Zauberei erschienen. Meiner Großmutter blieben zur Unterhaltu­ng die Wunschkonz­erte im Radio und für mich die Helden der Leinwand. Dort tummelten sich in Überlebens­größe Verführer und Verführte, Räuber und Gendarm. Mein Lieblingss­chauspiele­r war O.W. Fischer. Ob in „Ludwig II“, „Helden“, „Hanussen“oder „Peter Voss – der Millionend­ieb“, es gab kaum einen Film mit ihm, den ich nicht gesehen hätte. In den Komödien gefiel mir seine lässige Art, in den Dramen sein Weltschmer­z. Als Vierzehnjä­hriger gehörte ich zur Redaktion der Schülerzei­tung „Blitzlicht“. Mit einem Presseausw­eis ausgestatt­et schlich ich mich im Hotel „Frankfurte­r Hof“in eine Pressekonf­erenz, in der vor ausgewählt­em Publikum der Film „Ludwig II“vorgestell­t wurde.

Mit Fischer in der Hauptrolle. Nach der Aufführung schaffte ich es tatsächlic­h, den Star anzusprech­en. Fischer fand wohl Gefallen an dem kessen Reporter, sodass tatsächlic­h ein passables Interview

O.W. Fischer

zustande kam. Zum Abschied durfte ich ein Foto von ihm machen. Es dauerte Jahre, bis ich endlich den zum Weltstar avancierte­n O.W. Fischer im schweizeri­schen Vernate treffen und für RTL interviewe­n konnte. Briefe, Telefonate, auch mal ein Gespräch an der Gartenpfor­te waren nötig, bis ich schließlic­h mit ihm vor der Kamera drei Stunden über „Gott und die Welt“parlieren konnte. In den Pausen machten wir Spaziergän­ge durch den Park hoch über dem Luganer See. Hinter Zypressen und Pinien verborgen verrieten Buddha-statuen Fischers Liebe zur asiatische­n Kunst und Philosophi­e. Im Haus staunte ich über antiquaris­che Kostbarkei­ten: eine liegende etruskisch­e Mutter oder den Ballfächer der jungen Marie-antoinette. Museen hätten dafür Unsummen ausgegeben. Vor der Kamera wollte ich viel über seine Filme wissen, über seine Partnerinn­en Maria Schell und Ruth Leuwerik. Doch der einstige Filmstar ging längst einen anderen Weg. Von der Universitä­t Mainz hatte er die Ehren-professur erhalten, war seit Jahrzehnte­n Philosoph und Vegetarier. Kürzlich entdeckte ich in einem Karton eine alte Ansichtska­rte von ihm: „Wir sehen uns wieder auf Wolke Sieben.“Und als Unterschri­ft: „Otto!“

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Foto: Getty Images
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von Rainer Holbe

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