„Wir haben zu viele Banken in Luxemburg“
CSSF-CHEF Claude Marx über Corona-krise, Konsolidierung und Klimaschutz
Die Wirtschaft steckt in der Rezession, Gewinne brechen ein, die digitale Revolution wirbelt die gesamte Finanzbranche durcheinander. Wo stehen die Luxemburger Banken in diesem Wandel? Und wie gehen sie mit der Corona-krise um? Einblicke von Claude Marx, Generaldirektor der Luxemburger Finanzaufsicht CSSF.
Claude Marx, war der Finanzplatz auf die Covid-krise vorbereitet?
Niemand war richtig vorbereitet, seien wir ehrlich. Pandemien, die gab es in entfernten Weltgegenden – in Asien und Afrika – aber nicht bei uns. Das hat sich als Irrtum erwiesen. Dabei war vieles vorher bekannt. Bill Gates hat in einem Ted-talk schon vor fünf Jahren genau beschrieben, was jetzt eingetroffen ist, und wie man sich darauf hätte vorbereiten können.
Obwohl nicht mit einer Pandemie gerechnet wurde, blieb der Finanzplatz voll funktionsfähig. Das ist eigentlich erstaunlich.
Es ist vor allem eine gute Nachricht. Zum Glück ist der Finanzsektor ein Bereich, in dem Telearbeit möglich ist. Die Banken hatten solide „Business continuity“-pläne, vor allem aber war die Disziplin gut. Zwar wurde nicht mit einer Pandemie gerechnet, die Pläne halfen aber, Mitarbeiter schnell und sicher zu verteilen. Etwa 70 bis 80 Prozent aller Beschäftigten der Finanzinstitute konnten von Zuhause aus mit Hilfe ihrer Notebooks und Tablets weiterarbeiten. Ich kann bestätigen, dass es keine größeren operationellen Zwischenfälle während der Zeit des Lockdowns gegeben hat. Das ist die positive Erkenntnis aus dieser Krise: Die Banken haben gut funktioniert, und die CSSF hat gut funktioniert. Die Krise wird auch die Telearbeit beschleunigen, obwohl man eine solche Organisation ein, zwei Tage die Woche nicht mit dem Homeoffice während fünf Tagen in der Woche vergleichen kann.
Derzeit gehen die Infektionsfälle zurück. Die Corona-beschränkungen werden gelockert. Wie aber würde sich eine zweite Welle auf den Finanzplatz auswirken?
Sollte eine zweite Welle kommen, und ein weiterer Lockdown würde notwendig, dann wären die wirtschaftlichen Konsequenzen noch verheerender als beim ersten Mal. Das Luxemburger Bruttoinlandsprodukt wird nach dem aktuellen Szenario in diesem Jahr voraussichtlich auf minus sechs Prozent sinken. Da aber von einem Wachstum von drei Prozent ausgegangen wurde, liegt der Einbruch eigentlich bei neun Prozent. Eine Mehrheit der Volkswirte rechnet mit einer Erholung in Form eines V – ohne das jemand mit Sicherheit wüsste, ob dieses optimistische Szenario eintreten wird. Immer wahrscheinlicher wird eine Erholung in Form eines Nike-symbols – es zeigt steil nach unten, aber sehr langsam wieder bergauf. Auch ohne zweite Welle wird Luxemburg wirtschaftlich noch für eine ganze Weile schwer unter den Folgen der Krise zu leiden haben. Diese Schwierigkeiten sind zu meistern. Das schaffen wir. Sollten wir aber noch einmal alles schließen müssen, dann kommen wir in einen ganz anderen Film.
Die Wirtschaft und der Finanzplatz sind doch jetzt besser vorbereitet. Wir wissen, wie wir uns schützen können.
Die großen Banken am Platz haben Moratorien in einer Gesamthöhe von 3,7 Milliarden Euro zugestanden. Hinzu kommt eine überschaubare Zahl an neuen Krediten, die im Rahmen der staatlich garantierten Bürgschaft vergeben wurden. Keine der Banken, die wir befragten, weiß derzeit, wie viele dieser Kredite am Ende der Moratorien wieder bedient werden. Erst ab September, so lautet der allgemeine Tenor, wird klarer, wie es wirtschaftlich weitergeht. Im besten Fall wird das Virus eingedämmt sein, die Unternehmen bedienen wieder ihre Schulden, und die Wirtschaft erholt sich.
Das alles aber würde zur Makulatur, wenn eine zweite Welle käme, die einen zweiten Lockdown notwendig macht.
Was würde ein zweiter Lockdown bewirken?
Dann stehen wir vor einer wachsenden Zahl von Konkursen, und vor zahlreichen notleidenden Krediten. Die Regeln sind klar – ein Kredit, der über einen bestimmten Zeitraum nicht bedient wird, muss als notleidend eingestuft werden. In dem Fall geraten wir von einem Problem der Liquidität in ein Problem der Zahlungsfähigkeit. Das wäre nicht nur in Luxemburg der Fall, sondern global. Daher warnt der Internationale Währungsfonds vor der Gefahr des Abrutschens in eine Finanzkrise.
Sehen Sie die Gefahr einer neuen Finanzkrise?
Wenn das Virus saisonal bedingt im Sommer verschwindet, oder die Ansteckungsraten so niedrig wie jetzt bleiben, dann werden wir nicht in eine Finanzkrise hineinrutschen. Das ist derzeit das wahrscheinlichste Szenario. Es gibt aber Unsicherheitsfaktoren, denen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird – einerseits, ein zweiter Lockdown, andererseits die Abhängigkeit zu anderen Weltregionen. Europa ist keine Insel, und Luxemburg schon gar nicht. Eine größere Erschütterung, zum Beispiel innerhalb des amerikanischen Finanzsystems, kann in Europa zu einem Dominoeffekt führen, wie wir schon 2008 gesehen haben.
Die CSSF hat schon am 2. März, also zwei Wochen vor dem offiziellen Lockdown, den Banken die Aktivierung ihrer Notfallpläne empfohlen. War das Vorausschau?
Wir konnten die Richtung sehen. Am 2. März gab es noch keine Pandemiewarnung, wohl aber gab es eine Epidemie, mit Risikozonen. Im Finanzzentrum gibt es viele Beschäftigte, die in diesen Risikozonen wohnen. Sie zu zwingen, in überfüllten Zügen zur Arbeit zu kommen, schien uns nicht ratsam. Die CSSF überwacht Institute, die insgesamt etwa 50 000 Beschäftigte zählen. Mit ihren Familien sind somit mindestens 150 000 Menschen betroffen. Da wollten wir kein Risiko einge
stünden wir schon mittelfristig vor einer Katastrophe. Wir müssten zweimal investieren: Postcovid-wiederbeleben der Wirtschaft, ohne die Nachhaltigkeit zu fördern, dann Umrüstung in eine nachhaltigere Wirtschaft.wir haben sehr wenig Zeit, um der Erderwärmung entgegenzuwirken. Falls wir nichts tun, wird unser Planet nicht mehr lebensfähig, darüber sind sich die Wissenschaftler einig. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Erderwärmung mehr als 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit steigt. Um das zu erreichen, müssen wir uns ehrgeizige Ziele setzen. 2030 ist eine Zwischenetappe, bis 2050 soll Europa klimaneutral sein. Dazu müssen jetzt alle Politiken neu ausgerichtet werden – Industriepolitik, Umweltpolitik und Finanzpolitik. Dies ist das Ziel der Von der Leyen-kommission, an dem sie auch trotz Covid-19 Krise festhält.
Finanzgeschäft und Klimaschutz, das sind doch zwei unterschiedliche Paar Schuhe? Industriepolitik hat sicherlich eine Auswirkung auf das Klima, was aber können die Luxemburger Banken gegen die Erderwärmung tun?
An der nachhaltigen Ausrichtung unserer Wirtschaft führt kein Weg vorbei. Das erfordert gewaltige Investitionen, die die Staaten nicht ohne die Mithilfe privater Finanzierung bewältigen können. Es geht um die Förderung nachhaltiger Investitionen – in der Kapitalstruktur, in der Risikobewertung. Am Luxemburger Finanzplatz werden derzeit etwa 5 000 Milliarden Euro an Assets verwaltet. Das ist eine gewaltige Summe. Wenn nur ein Teil dieser Summe – sagen wir, 20 oder 30 Prozent – nachhaltig investiert ist, dann kann Luxemburg einen bedeutenden Beitrag zu der internationalen Anstrengung leisten, die notwendig ist, um den Planeten lebenswert zu erhalten.