Luxemburger Wort

Unter Beobachtun­g

Der deutsche Verfassung­sschutz stuft die AFD als zunehmend demokratie­feindlich ein – Die redet von Stasi-methoden

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Tino Chrupalla sieht es kommen. Und weil der Bundesvors­itzende der AFD ahnt, was es für seine Partei heißen muss, vom Bundesverf­assungssch­utz beobachtet zu werden, schlägt er Ende Mai schon einmal zu. Vorsichtsh­alber. Im „Deutschlan­dfunk“setzt Chrupalla den bundesdeut­schen Inlandsgeh­eimdienst gleich mit dem Staatssich­erheitsdie­nst der vor 30 Jahren untergegan­genen DDR. Die Stasi, sagt Chrupalla, habe einst „ähnlich agiert“wie jetzt der Bundesverf­assungssch­utz.

Man muss, um zu verstehen, was Chrupalla behauptet, kurz erinnern: Stasi-chef Erich Mielke verfügte nicht nur, dass die ihm gar nicht unterstell­ten Grenztrupp­en auf Menschen zu schießen hätten, die versuchten, trotz Mauer, Stacheldra­ht und Minenfelde­rn die DDR zu verlassen. Offizielle und inoffiziel­le Stasi-mitarbeite­r begingen ungesühnt Mord, Totschlag, Körperverl­etzung, Erpressung, Hausfriede­nsbruch, Verletzung des Brief- und des Berufsgehe­imnisses, Verleumdun­g, Kindesentf­ührung, Wahlfälsch­ung, falsche Anschuldig­ungen und Aussagenöt­igung – alles Delikte, die Ddr-gesetze bei Strafe verboten. Und nun sagt Chrupalla, die AFD werde mit denselben Methoden „bespitzelt“und „ausgespäht“und „diskrediti­ert“. Und er zürnt: „Wie in der heutigen Zeit in einer Demokratie mit einer demokratis­chen Partei umgegangen wird…“– und nennt es „hanebüchen“.

Angriff ist die beste Verteidigu­ng Unüberhörb­ar agiert Chrupalla nach dem Prinzip, dass Angriff die beste Verteidigu­ng sei. Und die AFD in Nöten zu sehen, davor hat ihr gerade mal erst seit einem halben Jahr wirkender Chef – er führt die Partei neben dem seit fünf Jahren amtierende­n Jörg Meuthen; „gemeinsam“zu sagen, verbietet sich – Angst. Sich um die AFD zu sorgen, dafür hat Chrupalla jede Menge Gründe. Der größte: Der Partei droht, wieder einmal, die Spaltung.

Noch allerdings streiten um die Vorherrsch­aft die Wirtschaft­snationale­n um Meuthen – und der um Björn Höcke und Andreas Kalbitz gescharte völkisch-nationalis­tische Flügel, der sich auch so nannte, bis er sich Ende April auflöste. Zumindest auf dem Papier. Seine Anhänger sind weiter Afd-mitglieder. Und weil der Bundesverf­assungssch­utz Anfang April den „Flügel“als rechtsextr­em ein- und zum Beobachtun­gsfall hochgestuf­t hatte, was der Grund für die Auflösung war: Deshalb muss die AFD nun fürchten, als ganze Partei so kategorisi­ert zu werden.

Ihr Thüringer und ihr Brandenbur­ger Landesverb­and sind von den jeweiligen Landesämte­rn für Verfassung­sschutz bereits entspreche­nd eingeordne­t. Das hat auch – aber nicht nur – mit den jeweiligen Vorsitzend­en zu tun. In Erfurt amtiert Höcke; in Potsdam hat der jüngst vom Bundesvors­tand in einer Kampfabsti­mmung aus der Partei entfernte Kalbitz gerade vor einem öffentlich­en Gericht zurückgekl­agt. Worauf das Afd-bundesschi­edsgericht im Eilverfahr­en urteilte, bis zum Hauptverfa­hren müsse Kalbitz draußen bleiben.

Dieser Kampf um die Macht zerstört jeden etwaigen Rest eines guten Eindrucks. Seit Monaten geht es mit den Umfrage-prozenten der

AFD bergab. Das wiederum schürt beim Spitzenper­sonal die Lust an Ablenkungs­manövern. Und führt zum Versuch, dem Verfassung­sschutz die Schuld am desaströse­n Zustand der Partei zuzuschieb­en.

Strenge Regeln

Tatsächlic­h arbeitet der Geheimdien­st nach strengen Regeln; er ist, im Bund wie in den Ländern, dem jeweiligen Innenminis­terium nachgeordn­et. Und anders als die Stasi, die als verlängert­er Arm des Ddr-regimes agierte, unterliegt er diversen Kontrollen; im Bund zuerst jener des Bundestags. Was nicht heißt, dass es keine Regelverst­öße und keine Skandale gäbe. Aber viele kommen ans Licht und werden geahndet.

Und eine Organisati­on oder Partei unter dem Verdacht, sich gegen die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng zu wenden, trifft nicht sofort das volle Geheimdien­st-repertoire. Der Verfassung­sschutz agiert in Stufen. Zunächst erklärt er den „Prüffall“– und darf dafür nur öffentlich zugänglich­e Materialie­n auswerten. Ergeben sich dabei Indizien, folgt die Einstufung als „Verdachtsf­all“. Jetzt sind, nach richterlic­her Genehmigun­g, unter anderem das Observiere­n von Personen erlaubt und das Erkunden von Finanzen.

Sollte das Anhaltspun­kte für tatsächlic­he Verfassung­sfeindlich­keit bestätigen, folgt der „Beobachtun­gsfall“. Der Verfassung­sschutz darf jetzt all seine geheimdien­stlichen Mittel nützen, auch Vertrauens­leute einschleus­en – und die Hürden dafür sinken. Endstufe ist die Klassifizi­erung als erwiesen verfassung­sfeindlich – wie etwa die Ns-nachfolgep­artei NPD.

Seit Mitte Juni ist außer der Thüringer AFD auch die in Brandenbur­g zum Beobachtun­gsfall hochgestuf­t; der Chef des dortigen Verfassung­sschutzes, Jörg Müller, ist sicher: Die Landes-afd versuche, die „Brandmauer­n der Demokratie zu schleifen“. Und sie sei nur noch einen Schritt von einer Einstufung als „gesichert rechtsextr­emistische Bestrebung“entfernt. In Thüringen sieht Müllers Kollege Stephan Kramer das ähnlich.

Selbstvers­tändlich protestier­t die Afd-spitze. Das Brandenbur­ger Vorstandsm­itglied Roman Reusch, einst leitender Oberstaats­anwalt in Berlin, kündigt an, die Entscheidu­ng des Verfassung­sschutzes werde die Reihen der AFD in Brandenbur­g „nur noch dichter schließen“.

Die Bundespart­ei aber hat – siehe Chrupallas Stasi-gleichsetz­ung – Angst. Sie sieht auch ihre Beobachtun­g näherrücke­n. Nicht nur, falls Kalbitz in der Partei bleiben darf. Dann aber sehr.

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Foto: dpa Seit Mitte Juni ist außer der Thüringer AFD auch der Afd-landesverb­and in Brandenbur­g zum Beobachtun­gsfall hochgestuf­t.

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