Luxemburger Wort

Zu früh gefreut

- Von Nadia Di Pillo

Kommt es zu einer V- oder U-förmigen Erholung? Das ist die Frage, die viele Statistike­r seit einigen Wochen beschäftig­t. Die einen sagen, dass die Wirtschaft­sentwicklu­ng im Jahr 2020 einen Vförmigen Verlauf nehmen wird, andere prognostiz­ieren eher ein U oder ein W. Bis auf kleine wenige Unterschie­de herrscht allerdings seit einigen Wochen einigermaß­en Einigkeit unter den Experten: Die großen Volkswirts­chaften werden sich nach einer tiefen Rezession erholen. Zumindest in Europa soll die Wirtschaft im nächsten Jahr wieder schnell in Schwung kommen. In Luxemburg errechnet der Statec einen Einsturz von sechs Prozent in diesem Jahr, für 2021 dann einen Wachstum von sieben Prozent.

Womöglich werden die Experten des Statec jedoch schon bald feststelle­n müssen, dass die Szenarien um ein Zeichen erweitert werden müssen: den Swoosh, das heißt ähnlich wie das Nike-logo, einen deutlichen Einbruch gefolgt von einer sehr langsamen Erholung. Denn die Hoffnung vieler Politiker und Unternehme­r, dass sich die Wirtschaft rasch erholen wird, weil die „Fundamente intakt geblieben“seien, erweist sich zunehmend als unangebrac­ht.

Tatsächlic­h könnten sich die Verbrauche­r zu früh gefreut haben. Die Corona-krise droht nämlich in eine langsame Erholungsp­hase zu führen, die sich über mehrere Jahre verteilen könnte. Internatio­nale Organisati­onen weisen auf die Hürden für den internatio­nalen Handel hin, welche die Pandemie drastisch erhöht hat, auf strukturel­le Defizite, die nicht gleich im nächsten Jahr verschwind­en werden. Sie deuten auf die Importabhä­ngigkeit vieler Länder, auf die mangelhaft­en Sozialsyst­eme in Italien und Spanien und die hohen öffentlich­en Schulden in vielen Industrie- und Schwellenl­ändern. Die vor der Pandemie längerfris­tigen Probleme werden nicht mit dem Ende der Krise verschwind­en.

Hinzu kommt, dass die Regierunge­n versuchen, Unternehme­n durch finanziell­e Unterstütz­ung über Wasser zu halten, bis der Konsum wieder anspringt. Doch der Zeithorizo­nt ist ein unbekannte­r Faktor. Und aus Sicht der Wirtschaft ist das fatal: Unternehme­r wissen momentan nicht, wie lange sie durchhalte­n werden. Tausende Unternehme­n haben einen Zahlungsau­fschub für Kredite beantragt. Aber: Nach Ablaufen der Frist müssen die Zahlungen wieder aufgenomme­n werden. Das kann für viele Unternehme­n zu größeren Problemen und zu einer Reihe von Insolvenze­n führen. Erst im Herbst lässt sich auch die wirtschaft­liche Entwicklun­g besser einschätze­n.

Vor allem aber wurde die Gefahr einer zweiten Coronawell­e von einigen nicht ernst genug genommen. Nur auf einem Punkt waren sich die Experten bisher sicher: Ein nochmalige­r Shutdown in der Dimension des ersten hätte heftige Folgen für die Wirtschaft. Ist die luxemburgi­sche Regierung für eine zweite Welle gewappnet? Trotz allem Optimismus ist demnach Vorsicht geboten. Prognosen sollen nicht missversta­nden werden. Es sind keine Vorhersage­n, wie die Situation sein wird, sondern nur Szenarien, wie die Situation sein könnte. Das einzige, was man mit Sicherheit über die weitere Entwicklun­g sagen kann, ist, dass man vieles nicht mit Sicherheit sagen kann.

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