Zu früh gefreut
Kommt es zu einer V- oder U-förmigen Erholung? Das ist die Frage, die viele Statistiker seit einigen Wochen beschäftigt. Die einen sagen, dass die Wirtschaftsentwicklung im Jahr 2020 einen Vförmigen Verlauf nehmen wird, andere prognostizieren eher ein U oder ein W. Bis auf kleine wenige Unterschiede herrscht allerdings seit einigen Wochen einigermaßen Einigkeit unter den Experten: Die großen Volkswirtschaften werden sich nach einer tiefen Rezession erholen. Zumindest in Europa soll die Wirtschaft im nächsten Jahr wieder schnell in Schwung kommen. In Luxemburg errechnet der Statec einen Einsturz von sechs Prozent in diesem Jahr, für 2021 dann einen Wachstum von sieben Prozent.
Womöglich werden die Experten des Statec jedoch schon bald feststellen müssen, dass die Szenarien um ein Zeichen erweitert werden müssen: den Swoosh, das heißt ähnlich wie das Nike-logo, einen deutlichen Einbruch gefolgt von einer sehr langsamen Erholung. Denn die Hoffnung vieler Politiker und Unternehmer, dass sich die Wirtschaft rasch erholen wird, weil die „Fundamente intakt geblieben“seien, erweist sich zunehmend als unangebracht.
Tatsächlich könnten sich die Verbraucher zu früh gefreut haben. Die Corona-krise droht nämlich in eine langsame Erholungsphase zu führen, die sich über mehrere Jahre verteilen könnte. Internationale Organisationen weisen auf die Hürden für den internationalen Handel hin, welche die Pandemie drastisch erhöht hat, auf strukturelle Defizite, die nicht gleich im nächsten Jahr verschwinden werden. Sie deuten auf die Importabhängigkeit vieler Länder, auf die mangelhaften Sozialsysteme in Italien und Spanien und die hohen öffentlichen Schulden in vielen Industrie- und Schwellenländern. Die vor der Pandemie längerfristigen Probleme werden nicht mit dem Ende der Krise verschwinden.
Hinzu kommt, dass die Regierungen versuchen, Unternehmen durch finanzielle Unterstützung über Wasser zu halten, bis der Konsum wieder anspringt. Doch der Zeithorizont ist ein unbekannter Faktor. Und aus Sicht der Wirtschaft ist das fatal: Unternehmer wissen momentan nicht, wie lange sie durchhalten werden. Tausende Unternehmen haben einen Zahlungsaufschub für Kredite beantragt. Aber: Nach Ablaufen der Frist müssen die Zahlungen wieder aufgenommen werden. Das kann für viele Unternehmen zu größeren Problemen und zu einer Reihe von Insolvenzen führen. Erst im Herbst lässt sich auch die wirtschaftliche Entwicklung besser einschätzen.
Vor allem aber wurde die Gefahr einer zweiten Coronawelle von einigen nicht ernst genug genommen. Nur auf einem Punkt waren sich die Experten bisher sicher: Ein nochmaliger Shutdown in der Dimension des ersten hätte heftige Folgen für die Wirtschaft. Ist die luxemburgische Regierung für eine zweite Welle gewappnet? Trotz allem Optimismus ist demnach Vorsicht geboten. Prognosen sollen nicht missverstanden werden. Es sind keine Vorhersagen, wie die Situation sein wird, sondern nur Szenarien, wie die Situation sein könnte. Das einzige, was man mit Sicherheit über die weitere Entwicklung sagen kann, ist, dass man vieles nicht mit Sicherheit sagen kann.