Neue Zeitrechnung in Hongkong
Pekings Sicherheitsgesetz ist der bislang größte Angriff auf die Autonomie der Finanzmetropole
Seit den Nachmittagsstunden am Dienstag teilen die Anhänger der Hongkonger Zivilgesellschaft einen Aufruf, Blumensträuße an die Ausgänge der Metrostationen niederzulegen. Mit der symbolischen Geste sollen nicht nur die Opfer der Protestbewegung im letzten Jahr betrauert werden, sondern auch der Tod des Prinzips „ein Land, zwei Systeme“.
Das Versprechen auf Autonomie hat Chinas Präsident Xi Jinping laut Ansicht vieler Hongkonger mit der Unterzeichnung des Nationalen Sicherheitsgesetzes am Dienstag zu Grabe getragen. Zuvor haben 162 Abgeordnete des Ständigen Ausschuss des Volkskongress das Dekret einstimmig angenommen.
Beim Nationalen Volkskongress Ende Mai in Peking erstmals angekündigt, wurde das umstrittene Gesetz in ungewöhnlicher Eile ausgearbeitet und nun verabschiedet, damit es pünktlich am 1. Juli – dem 23. Jahrestag der Übergabe von den Briten an Festlandchina – in Kraft treten kann.
Bisher bekannt ist, dass es gegen vier Strafbestände vorgeht: Untergrabung der Staatsgewalt, Sezession, Kollaboration mit ausländischen Mächten und Terrorismus. Klar ist: Peking zielt mit dem Gesetz auf die Protestbewegung ab. Nicht klar ist die konkrete Umsetzung:
Möchte die Zentralregierung lediglich den radikalen, gewaltbereiten Kern der Bewegung ausschalten? Oder das gesamte pro-demokratische Lager mundtot machen? Wird die Kommunistische Partei gar Gerichte in der Finanzmetropole installieren?
In den letzten Tagen und Wochen haben chinesische Staatsmedien die westliche Kritik als übertrieben gewertet: Das Gesetz werde nur „eine kleine Anzahl“an Hongkongern überhaupt betreffen, hieß es immer wieder. Stattdessen würde es Recht und Ordnung sowie wirtschaftliche Prosperität
wiederherstellen. Parlamentschef Li Zhanshu sagte, das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“solle „in die richtige Richtung gesteuert“werden.
Brüssels leere Drohung
Doch die bereits bekannten Details des Gesetzes lassen einen gegenteiligen Schluss zu: So sollen einzelne Gerichtsverfahren auch von chinesischen Gerichten durchgeführt werden. Das Recht, das Gesetz zu interpretieren, liege zudem beim chinesischen Volkskongress in Peking. Laut Angaben des Chefredakteurs der Parteizeitung
„Global Times“, Hu Xijin, sei lebenslange Haft die mögliche Höchststrafe.
Von der Europäischen Kommission hagelte es deutliche Kritik. „Diese neue Gesetzgebung steht weder mit dem Grundgesetz Hongkongs noch mit Chinas internationalen Verpflichtungen im Einklang“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. China müsse mit „sehr negativen Konsequenzen“rechnen. Die Drohung dürfte jedoch leer sein: Dass europäische Mitgliedsstaaten oder gar die EU als ganzes Wirtschaftssanktionen gegen Peking verhängen, gilt als absolut unwahrscheinlich.
Aus Washington kommen bislang die stärksten Vergeltungsmaßnahmen. Die Trump-regierung hat bereits angekündigt, Visa-beschränkungen gegen Chinesen im Zusammenhang mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz einzuführen.
„Zum ersten Mal in Hongkongs Geschichte wurde ein Gesetz verabschiedet, jedoch weiß niemand in der Stadt dessen Bestimmungen, nicht einmal die höchstrangige Regierungsvertreterin. Allein das beweist, dass Hongkong nicht länger autonom ist“, schreibt Alex Lam, Reporter bei der pro-demokratischen Zeitung „Apple Daily“. Ein paar wenige Regierungsvertreter Hongkongs sollen das Gesetz jedoch eingesehen haben.