Und wie hätten Sie reagiert ?
Wie drei hungrige Kinder eines Abends vor der Haustür standen
Stellen Sie sich folgende Szene vor: Drei Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren stehen an einem kühlen Donnerstagabend gegen Viertel vor neun vor Ihrer Haustür und klingeln Sturm. Sie sind sommerlich gekleidet. Sie öffnen die Tür nicht, denn Sie erwarten keinen Besuch. Außerdem möchten Sie nicht diese spannende Szene Ihrer geliebten Serie verpassen. Sie schauen, diskret aus dem Fenster, um herauszufinden, wer Sturm klingelt. Beim Anblick der drei Kinder denken Sie, wer sich wohl dazu erdreistet, um diese Uhrzeit Sturm zu klingeln. Oder Sie öffnen die Tür …
Sobald Sie die Tür öffnen, entgegnet eines der drei Kinder, es habe Hunger und fragt, ob Sie ihm etwas zu Essen geben könnten.
Und was tun Sie jetzt? Sie hören die Bitte der drei luxemburgisch sprechenden Kinder. Sie denken: Es ist spät! Um diese Zeit sollten diese Kinder im Bett liegen, und nicht auf der Straße lungern. Sie fühlen sich nicht verantwortlich für das Wohlergehen dieser Kinder und beschließen, die Tür zu schließen.
Viele Gedanken schweben durch Ihren Kopf. Sie haben Angst, es könnte eine Masche unehrlicher Erwachsener sein, die über unschuldige Kinder auskundschaften möchten, ob jemand zu Hause ist. Oder aber: Zu später Stunde möchten Sie nicht in Teufelsküche geraten, man könnte Sie ja Gott weiß für etwas beschuldigen, wenn Sie diese Kinder im Hause bewirten. Sie widmen sich wieder Ihrer Beschäftigung. Falls Ihre Ängste nicht überhand genommen haben, öffnen Sie den Kindern die Tür und nehmen sich Zeit für sie. Sie hören ihnen zu, kommen ihrer Bitte nach und bewirten sie mit Speis und Trank. Da es sich um minderjährige Kinder ohne Begleitung eines Erwachsenen handelt, rufen Sie die Polizei.
So erging es vor Kurzem meiner Schwester und ihrem Mann. Nachdem meine Schwester sie in warme Decken eingehüllt hatte, strich sie ihnen leckere Schokobrote und mein Schwager plünderte seinen ganzen Süßigkeitenvorrat. Wieso kam es dazu?
Diese Kinder taten ihnen leid, also zeigten sie Mitgefühl. Die Kinder erzählten, dass sie aus einem Heim ausgerissen seien, und dies schon zum zweiten Male, „well do si se net léif mat eis.“Des Weiteren erzählten sie, dass sie an vielen Türen geklingelt hätten, bevor jemand ihrer Bitte nachkam. Nachdem die Polizei, vier Mann hoch, mit zwei Streifenwagen angerückt war, vereinbarte mein feinfühliger Schwager mit den Polizisten, dass die Kinder erstmal in Ruhe essen dürfen, bevor sie von ihnen zurück ins Heim gebracht werden. Was die empathischen Ordnungshüter dann auch taten.
Was heißt dies für unsere Gesellschaft? Wie können sich Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigungen wehren, wenn sie in einer Institution ein „schlechtes“Gefühl haben? („Si sinn net léif mat eis).“
In Bezug auf Kinder: Welche ihrer Bedürfnisse wurden nicht erfüllt? Das können viele sein, zum Beispiel, das Bedürfnis gesehen zu werden, respektiert, anerkannt, geliebt zu werden so wie sie sind, und unabhängig davon, woher sie kommen ...
Was passiert mit diesen Kindern? Werden sie bestraft, weil man nicht aus dem Heim ausbüxen darf? Werden sich die Verantwortlichen die Frage stellen, wieso die Kinder weggelaufen sind? Wieso haben die Kinder das Gefühl, dass die Betreuer oder andere Kinder ihnen nicht freundlich zugewandt sind? Wie werden diese Kinder ihren Ausbruch erlebt haben? Wir waren hungrig, und viele Menschen haben sich keine Zeit für uns genommen.
Ich wünsche mir, dass diese Kinder auch in schwierigen Zeiten das Gefühl haben, dass jemand für sie da ist. Ich bin davon überzeugt, dass sie diesen Ausbruch nicht vergessen werden und die Erinnerung an diese freundliche Dame und diesen netten Herrn, die ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt und Wertschätzung entgegengebracht haben, wie einen Schatz hüten.
Karin Ruppert,
Sassenheim