Aufgebaut in Ruinen
Ein Hotel in Bonneweg beweist, dass auch in alten Gemäuern noch jede Menge Leben stecken kann
Die schmale Einfahrt in der Rue Sigismond ist leicht zu übersehen. Eine leichte Steigung führt zu einem Eisentor. Was dahinter steckt, offenbart ein kurzer Blick nach oben: eine Industrieruine. Alte Mauern, ein Gebäudegerüst. Doch da ist noch mehr, wie nach dem Eintreten sofort klar wird. Einige kleine Bauten rechts und links, grüner Kugelahorn, der bei Sonnenschein jede Menge Schatten spendet, und ein Bau im Bau: das Graace Hotel.
Die Industrieruine war einst die Fertigungshalle der Gebrüder Graas, die sich 1955 hier mit ihrem Schlosserbetrieb niederließen, der 2011, zwei Jahre nach der Veräußerung durch die Gründer, bankrott ging und schließlich zum Verkauf stand. Den Zuschlag erhielt Immobilienprofi Steve Krack, der bereits bei anderen Bauprojekten mit der Firma Graas zusammengearbeitet hatte und schnell Gefallen daran fand, ein altes Industriegebäude umzugestalten.
Den Anfang machte er auf dem Gelände in Bonneweg mit „L'amicale des amis“, 14 Pavillons von Architekten, einem bis dato eher ungewöhnlichem Ausstellungskonzept im Großherzogtum, das 2015 sogar mit dem „Luxembourg Architecture Award“ausgezeichnet wurde. Die Idee, in den Gemäuern ein Hotel wachsen zu lassen, bestand zu dieser Zeit bereits, die Genehmigung dazu erhielt der 45-Jährige jedoch erst im Jahr 2016.
Kleine Appartements
Der vordere Bereich, in dem sich unter anderem das Frühstückscafé befindet, ist Teil des ursprünglichen Komplexes. „Hier waren vorher ein Ausstellungsraum und das Büro der Metallbauer untergebracht“, erklärt Steve Krack. „Außerdem haben wir das Gemäuer erhalten und das Metallskelett, das Dachgespärre, das ich unbedingt freilegen wollte.“Es dient als durchlässiger Mantel für das gesamte Projekt „und auch, um die Seele des ganzen Gebäudes nicht zu verlieren. Wenn man das auch noch entfernt hätte, hätte man gleich alles dem Erdboden gleich machen können.“
Die Nachbarn hätten äußerst positiv auf die Umgestaltung des Geländes reagiert. Wenig verwunderlich: Statt auf ein asbestbelastetes Dach blicken die Mieter der umliegenden Wohnungen nun auf jede Menge Grün – und das mitten in der Hauptstadt.
Die Entkernung des Gebäudes war nicht gerade einfach: Der belastete Boden musste zunächst fachgerecht entsorgt werden, rund 2 000 Kubikmeter, wie der Immobilienprofi verrät. Aufgebaut wurden dann unter dem Metallskelett ein zweigeschossiger Bau, der insgesamt eine Suite und 28 Zimmer beinhaltet, die an offenen Gängen aneinandergereiht sind. Die Standardräume sind 17 Quadratmeter groß – mit einem kleinen Wohnzimmer, Bad und einem Schlafbereich.
„Es soll wie ein kleines Appartement wirken“, so Steve Krack, „denn ich mag es nicht, wenn man in ein Hotelzimmer kommt und das erste, was man sieht, ist das Bett.“Jedes Zimmer verfügt über einen kleinen, bepflanzten Balkon.
Natürlicher Kokon
Auf eine Klimaanlage wurde bewusst verzichtet. „Durch den natürlichen Kokon, die Bäume und Pflanzen drumherum, schaffen wir es, die Temperatur auch ohne technische Hilfe um zwei, drei Grad zu senken.“Verbaut wurde in den „cabanas“genannten Zimmern vor allem Eichenholz aus der Großregion, um einerseits ein warmes
Ambiente zu kreieren und andererseits, um nachhaltig zu bleiben.
Die Zimmer stehen konträr zu dem, was Krack in den zwei Jahrzehnten zuvor umsetzte: große Bauten mit ausladenden Räumen für zahlungskräftige Kundschaft. Mit diesem Projekt geht er bewusst einen Schritt in die andere Richtung. „Ich habe immer gedacht, dass es seltsam ist, so groß zu bauen und überflüssigen Platz zu schaffen. Im Grunde sollte jeder einfach einen cozy Raum haben, in dem die essenziellen Dinge vorhanden sind.“
Das offene Konzept des Baus hat auch einen anderen Grund: Krack wollte sich von der Idee des klassischen Hotelbetriebs entfernen – nicht nur um Heiz- und Personalkosten einzusparen, sondern auch um dem Umweltschutzgedanken Rechnung zu tragen.
Neugierige Gäste
Das Opening sollte – so der ursprüngliche Plan – bereits im März stattfinden. Die Corona-pandemie machte dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung. Steve Krack sieht das jedoch nicht mit Groll – er ist einfach gespannt darauf, wie es nun weitergeht. Die ersten Gäste konnten in den vergangenen Wochen bereits begrüßt werden. Darunter waren nicht nur Reisende aus der Ferne und Businessgäste, sondern auch einige Menschen aus Luxemburg, die „einfach neugierig waren“.
Krack hofft natürlich, dass durch die Gutschein-aktion der Regierung weitere Gäste aus dem Land den Weg nach Bonneweg finden werden. „Die Luxemburger und auch die Grenzgänger haben dadurch die Gelegenheit, das Land einmal besser kennenzulernen – und das nicht nur bei einem Aufenthalt im Hotel Graace.“