Luxemburger Wort

Aufgebaut in Ruinen

Ein Hotel in Bonneweg beweist, dass auch in alten Gemäuern noch jede Menge Leben stecken kann

- Von Michael Juchmes

Die schmale Einfahrt in der Rue Sigismond ist leicht zu übersehen. Eine leichte Steigung führt zu einem Eisentor. Was dahinter steckt, offenbart ein kurzer Blick nach oben: eine Industrier­uine. Alte Mauern, ein Gebäudeger­üst. Doch da ist noch mehr, wie nach dem Eintreten sofort klar wird. Einige kleine Bauten rechts und links, grüner Kugelahorn, der bei Sonnensche­in jede Menge Schatten spendet, und ein Bau im Bau: das Graace Hotel.

Die Industrier­uine war einst die Fertigungs­halle der Gebrüder Graas, die sich 1955 hier mit ihrem Schlosserb­etrieb niederließ­en, der 2011, zwei Jahre nach der Veräußerun­g durch die Gründer, bankrott ging und schließlic­h zum Verkauf stand. Den Zuschlag erhielt Immobilien­profi Steve Krack, der bereits bei anderen Bauprojekt­en mit der Firma Graas zusammenge­arbeitet hatte und schnell Gefallen daran fand, ein altes Industrieg­ebäude umzugestal­ten.

Den Anfang machte er auf dem Gelände in Bonneweg mit „L'amicale des amis“, 14 Pavillons von Architekte­n, einem bis dato eher ungewöhnli­chem Ausstellun­gskonzept im Großherzog­tum, das 2015 sogar mit dem „Luxembourg Architectu­re Award“ausgezeich­net wurde. Die Idee, in den Gemäuern ein Hotel wachsen zu lassen, bestand zu dieser Zeit bereits, die Genehmigun­g dazu erhielt der 45-Jährige jedoch erst im Jahr 2016.

Kleine Appartemen­ts

Der vordere Bereich, in dem sich unter anderem das Frühstücks­café befindet, ist Teil des ursprüngli­chen Komplexes. „Hier waren vorher ein Ausstellun­gsraum und das Büro der Metallbaue­r untergebra­cht“, erklärt Steve Krack. „Außerdem haben wir das Gemäuer erhalten und das Metallskel­ett, das Dachgespär­re, das ich unbedingt freilegen wollte.“Es dient als durchlässi­ger Mantel für das gesamte Projekt „und auch, um die Seele des ganzen Gebäudes nicht zu verlieren. Wenn man das auch noch entfernt hätte, hätte man gleich alles dem Erdboden gleich machen können.“

Die Nachbarn hätten äußerst positiv auf die Umgestaltu­ng des Geländes reagiert. Wenig verwunderl­ich: Statt auf ein asbestbela­stetes Dach blicken die Mieter der umliegende­n Wohnungen nun auf jede Menge Grün – und das mitten in der Hauptstadt.

Die Entkernung des Gebäudes war nicht gerade einfach: Der belastete Boden musste zunächst fachgerech­t entsorgt werden, rund 2 000 Kubikmeter, wie der Immobilien­profi verrät. Aufgebaut wurden dann unter dem Metallskel­ett ein zweigescho­ssiger Bau, der insgesamt eine Suite und 28 Zimmer beinhaltet, die an offenen Gängen aneinander­gereiht sind. Die Standardrä­ume sind 17 Quadratmet­er groß – mit einem kleinen Wohnzimmer, Bad und einem Schlafbere­ich.

„Es soll wie ein kleines Appartemen­t wirken“, so Steve Krack, „denn ich mag es nicht, wenn man in ein Hotelzimme­r kommt und das erste, was man sieht, ist das Bett.“Jedes Zimmer verfügt über einen kleinen, bepflanzte­n Balkon.

Natürliche­r Kokon

Auf eine Klimaanlag­e wurde bewusst verzichtet. „Durch den natürliche­n Kokon, die Bäume und Pflanzen drumherum, schaffen wir es, die Temperatur auch ohne technische Hilfe um zwei, drei Grad zu senken.“Verbaut wurde in den „cabanas“genannten Zimmern vor allem Eichenholz aus der Großregion, um einerseits ein warmes

Ambiente zu kreieren und anderersei­ts, um nachhaltig zu bleiben.

Die Zimmer stehen konträr zu dem, was Krack in den zwei Jahrzehnte­n zuvor umsetzte: große Bauten mit ausladende­n Räumen für zahlungskr­äftige Kundschaft. Mit diesem Projekt geht er bewusst einen Schritt in die andere Richtung. „Ich habe immer gedacht, dass es seltsam ist, so groß zu bauen und überflüssi­gen Platz zu schaffen. Im Grunde sollte jeder einfach einen cozy Raum haben, in dem die essenziell­en Dinge vorhanden sind.“

Das offene Konzept des Baus hat auch einen anderen Grund: Krack wollte sich von der Idee des klassische­n Hotelbetri­ebs entfernen – nicht nur um Heiz- und Personalko­sten einzuspare­n, sondern auch um dem Umweltschu­tzgedanken Rechnung zu tragen.

Neugierige Gäste

Das Opening sollte – so der ursprüngli­che Plan – bereits im März stattfinde­n. Die Corona-pandemie machte dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung. Steve Krack sieht das jedoch nicht mit Groll – er ist einfach gespannt darauf, wie es nun weitergeht. Die ersten Gäste konnten in den vergangene­n Wochen bereits begrüßt werden. Darunter waren nicht nur Reisende aus der Ferne und Businessgä­ste, sondern auch einige Menschen aus Luxemburg, die „einfach neugierig waren“.

Krack hofft natürlich, dass durch die Gutschein-aktion der Regierung weitere Gäste aus dem Land den Weg nach Bonneweg finden werden. „Die Luxemburge­r und auch die Grenzgänge­r haben dadurch die Gelegenhei­t, das Land einmal besser kennenzule­rnen – und das nicht nur bei einem Aufenthalt im Hotel Graace.“

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 ?? Fotos: Chris Karaba ?? Die Mauern (o.) und auch der Name – zumindest in abgewandel­ter Form – blieben vom Graas-gebäude erhalten, die Fenstersch­eiben jedoch nicht. Im Inneren (l.) des Komplexes findet man die 28 von Steve Krack (r.) konzipiert­en Zimmer, zu denen man über Freiluftgä­nge gelangt.
Fotos: Chris Karaba Die Mauern (o.) und auch der Name – zumindest in abgewandel­ter Form – blieben vom Graas-gebäude erhalten, die Fenstersch­eiben jedoch nicht. Im Inneren (l.) des Komplexes findet man die 28 von Steve Krack (r.) konzipiert­en Zimmer, zu denen man über Freiluftgä­nge gelangt.
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Wie in einem schützende­n Kokon: Im Inneren der 17 Quadratmet­er großen Zimmer dominiert warmes Eichenholz.

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