Trauerspiel
Es ist wahrlich ein Trauerspiel, das sich derzeit in den USA – dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten – abspielt. Und ein Ende der Tragödie ist derzeit noch nicht absehbar. Ein technologisch hoch entwickelter, wohlhabender Staat schafft es nicht, die Corona-pandemie erfolgreich einzudämmen. Im Gegenteil: Vier Monate vor den Präsidentschaftswahlen steigen die Zahlen in alarmierendem Ausmaß. Erst vor wenigen Tagen hat Us-chefepidemiologe Anthony Fauci gewarnt dass die täglichen Neuinfektionen auf 100 000 hochschnellen könnten, wenn nicht ohne zeitliche Verzögerung Gegenmaßnahmen eingeleitet würden. Wie zum Beispiel das Tragen von Schutzmasken im öffentlichen Raum verpflichtend zu machen.
Die Schwelle von 50 000 Neuinfektionen wurde bereits vorgestern überschritten – ein neuer trauriger Rekord in der Us-corona-statistik. Die Zahl der Toten wird in den nächsten Wochen ebenfalls unweigerlich ansteigen. Manche Bundesstaaten rudern bereits zurück. Verkündete Lockerungen werden aufgeschoben, striktere Regeln werden zum Teil wieder eingeführt – trotz gegenteiliger Empfehlungen aus dem Weißen Haus.
Denn der Us-präsident ignoriert mit Beharrlichkeit die Vorschläge seiner Berater und hält weiter an seinem Kurs der Lockerungen fest. Faktenbasierte Entscheidungen sind eh nicht sein Stil. Stattdessen möchte Trump mit Biegen und Brechen verhindern, dass die Us-wirtschaft weiterhin Schaden nimmt. Doch das hat sie bereits. Und sie wird durch Trumps unnachgiebige, zögerliche Politik noch schwereren Schaden nehmen, als sie es ohnehin bereits tut. Mit seinem Zickzackkurs spielt Trump nicht nur mit der Gesundheit der Bürger – ohne Rücksicht auf Menschenleben. Er fördert und verlängert damit unweigerlich die Ausbreitung des Corona-virus. Die langfristigen Folgen werden umso schmerzhafter sein.
Trump denkt aber in der kurzfristigen Logik des Wahlkämpfers. Schnelle Lockerungen, schnelle wirtschaftliche Erholung, ergo Stimmenmaximierung. Im Hinterkopf die eiserne Regel, die in Us-wahlkämpfen stets eine mitentscheidende Rolle gespielt hat. Wie sagte einst ein Berater von Bill Clinton: „It’s the economy, stupid“(„Es geht um Wirtschaft, Idiot“). Und dafür steht Trump auch selbst als Person. Der (politische) Unternehmer, der die USA „wieder groß machen“und Millionen neuer Jobs schaffen wollte. Mit diesem Versprechen war er 2016 angetreten. Und der wirtschaftliche Erfolg sollte seine Wiederwahl garantieren. Doch nun ächzt das „Unternehmen USA“unter den Folgen der Corona-pandemie und landesweiten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Kein Wunder also, dass das Wahlkampfteam seines Kontrahenten Joe Biden auf das Thema Corona unter dem Motto „Reopen right“(„Richtig wiedereröffnen“) setzt. Das Ziel: den demokratischen Präsidentschaftskandidaten mit seiner zurückhaltenden Art und versöhnlicher Rhetorik als ruhenden Gegenpol zu Trump darzustellen. Ob sich diese Strategie am Ende auszahlt, wird sich am 3. November zeigen, wenn die Wähler auf der Geschworenenbank sitzen und ihr Urteil fällen.
Trump fördert und verlängert
unweigerlich die Ausbreitung des Coronavirus.