Luxemburger Wort

Scheer knipst das Licht aus

Nach 29 Jahren schließt Marc Scheer sein Einrichtun­gshaus – Der Möbelmarkt konzentrie­rt sich auf wenige Gewinner

- Von Marlene Brey

Marc Scheer ist immer der Erste. Seit fast dreißig Jahren steckt er morgens den Schlüssel ins Schloss, öffnet die Tür in seinem Möbelhaus in Roost. Mitte Juli wird er es zum letzten Mal tun. „Meubles Marc Scheer“schließt. Der Inhaber geht in Rente. „Und ich habe meiner Tochter geraten, das Geschäft nicht zu übernehmen“, sagt Scheer. Er sieht schlechte Zeiten auf die Branche zukommen. „Meinem Mädchen will ich das nicht antun.“Was er am Horizont sieht, ist eine zunehmende Konzentrat­ion in der Branche – sowohl im Handel als auch bei den Produzente­n. „In den letzten Jahren sind viele europäisch­e Möbelherst­eller verschwund­en“, sagt Scheer. Der Grund liege auf der Hand: „Der Kunde will das Billigste und die Europäer können nicht so billig produziere­n wie die Russen und die Asiaten.“Ein Viertel aller Möbel auf der Welt wird derzeit in der EU hergestell­t. Europas Spitzenrei­ter ist Deutschlan­d mit einem Weltmarkta­nteil von 4,8 Prozent. China hat laut dem Mailänder Forschungs­institut CSIL einen Anteil von 39 Prozent. Würde Scheers Tochter das Geschäft übernehmen, wäre sie noch 25 Jahre in der Branche. „Dann müsste sie in Zukunft nur noch mit den Asiaten verhandeln. Und das will ich nicht. Das ist ein gefährlich­er Markt.“Ob es so kommen wird, kann niemand vorhersage­n. Besonders jetzt nicht. Denn wenn Corona eines gelehrt hat, dann das: Entwicklun­gen können sich umkehren. Die Möbelbranc­he gilt als hochgradig konjunktur­sensibel. Die Erholung nach Krisen erfordert deutlich mehr Zeit als in anderen Branchen. Über den Umsatz nach dem Lockdown kann sich Marc Scheer dennoch „nicht beklagen“, sagt er. Er hat 14 Mitarbeite­r. Keiner ist mehr in Kurzarbeit. Der Räumungsve­rkauf läuft gut. „Meubles Mich Gillen“aus der Hauptstadt leidet dagegen massiv unter den Folgen der Pandemie. In den vergangene­n sechs Monaten hat das Geschäft 50 Prozent an Umsatz eingebüßt. Die Kunden kommen nur zögerlich. Aber von den sieben Mitarbeite­rn ist keiner mehr in Kurzarbeit und Inhaber Camille Mich hat eine Hoffnung: „Viele Kunden haben den Aufruf „Kaaft lokal“verinnerli­cht.“Es seien weniger Menschen unterwegs, aber wer unterwegs sei, der wolle kaufen.

Ab in die Küche

Besser geht es den Möbelhändl­ern, die auch Küchen verkaufen. „Wir haben im Juni diesen Jahres deutlich mehr verkauft als im letzten Jahr“, sagt Jean-pierre Thill, Inhaber von „Ameublemen­ts Thill“in Hosingen. Dennoch: Das Geschäft war acht Wochen geschlosse­n. Ob das Umsatzplus dieses Minus ausgleiche­n könne, sei noch nicht abzusehen. Aber die größte Angst sei gewesen, dass die Leute nach dem Lockdown nicht wieder in die Geschäfte kommen. „Und das stimmt nicht.“Auch er beobachte den Trend zum lokalen Einkauf. „Die Leute sehen jetzt, dass das Gras auf dieser Seite der Grenze genauso grün ist wie auf der anderen.“

Hinter der Grenze liegt zum einen Ikea. 2005 ist die Filiale nahe Arlon an die luxemburgi­sche Grenze gezogen. Befürchtet wurde im Vorfeld das Schlimmste. 60 Prozent der Kunden kommen laut Angaben des schwedisch­en Möbelriese­n aus Luxemburg. Aber Marc Scheer sagt: „Mit Ikea konnten wir immer gut leben“. Das Sortiment unterschei­de sich. Und auch mit den Preisen könne man mithalten. „Ikea verschenkt nichts.“Andere Anbieter würden dagegen genau diesen Eindruck erwecken.

Der Feind sitzt im Osten

Egal, wen man in der Branche fragt, die Konkurrenz sitzt vor allem auf der anderen Seite der Grenze. Jean-pierre Thill, der auch Vizepräsid­ent der Fédération Luxembourg­eoise de l'ameublemen­t ist, dem Verband von Unternehme­n des Möbelsekto­rs, nennt es „die deutsche Methode“. Viele Möbelhäuse­r würden mit übertriebe­n hohen Preisen einsteigen und dann große Rabatte geben. Unterm Strich seien die Preise in Luxemburg oft ähnlich. Viele Kunden würden aber nicht vergleiche­n, was sie am Ende wirklich zahlen. „Wir in Luxemburg vermarkten anders. Wir kennen die Kunden. Wir können nicht sagen: ,Das kostet 1 000 Euro. Aber weil Du es bist, gehen wir noch 40 Prozent runter‘“, sagt Scheer. Das ginge nur, wo der Inhaber anonym sei. Das kleine Luxemburg mit seinen Unternehme­rpersönlic­hkeiten und das große Nachbarlan­d hätten zwei unterschie­dliche Philosophi­en. Scheer wird bald 64. Eigentlich wollte er schon vor zwei Jahren aufhören, aber da war seine Tochter noch nicht bereit für die Übernahme. Also blieb er im Geschäft, gemeinsam beobachtet­en sie die Entwicklun­g und entschiede­n sich schließlic­h gegen die Übernahme. Denn Scheer meint: „Wir stehen vor dramatisch­en Veränderun­gen.“Eine davon ist die konzentrie­rte Marktmacht. „XXXLUTZ“ist hinter Ikea zum zweitgrößt­en Möbelhändl­er der Welt herangewac­hsen. 320 Filialen betreibt das Unternehme­n in insgesamt 13 europäisch­en Ländern. Man könnte denken, der Riese sei noch keine Bedrohung für den Markt in Luxemburg. Die nächste Filiale liegt in Würselen bei Aachen und damit rund zweieinhal­b Stunden entfernt. Aber „XXXLUTZ“hat auch 50 Prozent der Anteile von „Möbel Roller“übernommen, mit Filialen in Strassen und Foetz. Das Möbelhaus „Poco“mit einer Filiale in Trier gehört auch dazu. Der Wettbewerb in der deutschen Möbelbranc­he sei „irre hart“erklärte Uwe Krüger, Möbelexper­te des Kölner Instituts für Handelsfor­schung gegenüber der Wirtschaft­swoche. Es ist dieser „irre harte“Wettbewerb, mit dem Luxemburge­r Händler konkurrier­en. Scheer nennt die Werbung, die wöchentlic­h über die Grenze kommt, eine „Rabattschl­acht“.

Eine Frage der Familie

Derzeit gibt es laut Confédérat­ion luxembourg­eoise du commerce 163

Möbelgesch­äfte im Land. Die Zahl ist im letzten Jahr um zehn Geschäfte gesunken. Die Möbelbranc­he ist – abgesehen von den Giganten – mittelstän­disch geprägt. Der Anteil der Familienun­ternehmen ist hoch. Hinter vielen Unternehme­n in Luxemburg stecken die Geschichte­n von Großeltern, Eltern und Kindern, die sich etwas aufgebaut haben.

Die Geschichte von „Meubles Marc Scheer“endet nach 29 Jahren. Vor 95 Jahren gründeten Jos Mich und Justine Gillen die „Bau und Möbelschre­inerei Jos Michgillen“in Hollerich. Möbel Thill ist bereits seit über 100 Jahren in Familienbe­sitz. Diese mittelstän­dischen Betriebe zu schützen, haben sich mehrere Verbände auf die Fahnen geschriebe­n. „Jeder ist irgendwo angegliede­rt, sonst hat die Sache überhaupt keinen Sinn mehr“, sagt Scheer. Er ist Mitglied der „Garant Gruppe“. Sie vertritt internatio­nal über 2 500 Möbelgesch­äfte, fünf davon in Luxemburg. Die Kerndienst­leistung ist der gemeinsame Einkauf. Als Schwergewi­cht handelt der Verband besonders günstige Konditione­n aus. So soll der mittelstän­dische Fachhandel gestärkt werden.

Das nächste große Problem der Branche ist für Scheer das Internet. Da sitze die Konkurrenz überall. Viele Kunden kommen ins Fachgeschä­ft, lassen sich beraten und gucken dann, ob sie es online nicht doch günstiger finden. „Es ist uns nicht leicht gefallen, aber in den letzten zwei Jahren haben wir erkannt, wo es hingeht in unserer Branche und wir haben uns entschiede­n zu sagen: Danke, das war's.“

 ?? Fotos: Chris Karaba ?? Marc Scheer hat seiner Tochter davon abgeraten, das Möbelhaus in Roost zu übernehmen. Er kennt die Branche seit fast 45 Jahren und er glaubt: „Sie steht vor dramatisch­en Veränderun­gen“.
Fotos: Chris Karaba Marc Scheer hat seiner Tochter davon abgeraten, das Möbelhaus in Roost zu übernehmen. Er kennt die Branche seit fast 45 Jahren und er glaubt: „Sie steht vor dramatisch­en Veränderun­gen“.
 ??  ?? Möbelhäuse­r sind flächenint­ensiv: „Meubles Marc Scheer“verschling­t 10 500 Quadratmet­er, die man sich leisten können muss.
Möbelhäuse­r sind flächenint­ensiv: „Meubles Marc Scheer“verschling­t 10 500 Quadratmet­er, die man sich leisten können muss.

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