Ein ausgebrannter Präsident
Misslungenes Corona-Management: In den USA gerät Donald Trump zunehmend unter Druck – eine Analyse
Mit bunten Paraden, Open-AirKonzerten, Barbecues im Freundeskreis und abendlichem Böllern ist der 4. Juli in den USA normalerweise ein heiterer Feiertag. Am „Independence Day“freut man sich des Sommers, zeigt patriotisch viel rot-weiß-blauen Stoff und bürgert Tausende Immigranten ein.
Doch dieses Jahr ist alles anders: die großen Feuerwerke in New York und Los Angeles sind abgesagt, die Party-Strände in Miami geschlossen, und die Grenzen des Einwanderungslandes dicht. Die Corona-Pandemie, der wirtschaftliche Absturz und die Konfrontation mit dem Rassismus in der Gesellschaft trüben die Stimmung. Nur noch 17 Prozent der Amerikaner sind nach einer aktuellen Umfrage des Pew-Instituts stolz auf ihr Land.
Normalität vorgaukeln
Die amerikanische Nation ist aufgewühlt. Nur ihr oberster Repräsentant im Weißen Haus feiert ungehemmt seine vermeintliche eigene Größe. Schon am Vorabend des Unabhängigkeitstags ist er nach South Dakota zum Mount Rushmore geflogen, um sich neben den in Fels gemeißelten monumentalen Porträtköpfen seiner Vorgänger George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln fotografieren zu lassen. Weder die Proteste von Umweltschützern noch von Epidemiologen gegen die Veranstaltung ohne Abstands- und Maskenpflicht konnten ihn beeindrucken. Im Gegenteil: Mit einem Großfeuerwerk lockt er heute auch in Washington die Massen auf die National Mall.
Um buchstäblich jeden Preis will Donald Trump Normalität vorgaukeln und die düsteren Bilder von Corona-Kranken auf der Intensivstation, Schlangen vor kostenlosen Armenküchen und verstörender Polizeigewalt übertünchen. „Es kommen große Monate. Das nächste Jahr wird das beste der Geschichte sein“, twitterte er gestern – natürlich nur, wenn er die Wahl gewinnt.
Doch das ist plötzlich nicht mehr sicher. In der Krise des Landes wirkt der Populist zunehmend ratlos und entfremdet von der Mehrheit der Bevölkerung. Seine Parolen („Keep America Great“) klingen hohl, seine notorischen Drohungen beeindrucken das Corona-Virus nicht, und seine tägliche Ego-Show entbehrt jeglicher Empathie. Während in der Gesellschaft über die Benachteiligung von Afroamerikanern diskutiert wird, sorgt sich Trump um die Unversehrtheit von KonföderiertenStatuen. Während sich zwei Drittel
der Amerikaner einen entschiedeneren Kampf gegen die Pandemie wünschen, verweigert der Präsident die simpelste Vorsorge – eine Maske.
Gleichzeitig bekommt Trumps Macher-Image empfindliche Kratzer: Das Corona-Virus werde von selbst verschwinden, behauptet er seit Wochen. Tatsächlich ist die tägliche Infektionszahl in den USA inzwischen auf mehr als 50 000 hochgeschossen. Die Wirtschaft werde bald neue Rekorde feiern, fabuliert er. Tatsächlich müssen Texas, Arizona und Florida ihre überstürzten Öffnungen gerade zurücknehmen, und kein ernsthafter Ökonom glaubt mehr an einen steilen Aufschwung.
Zwei Bilder des Präsidenten haben sich im Juni eingeprägt: Auf dem einen steht er triumphierend mit einer Bibel in der Hand vor der kleinen Kirche hinter dem Weißen Haus. Das inszenierte Foto soll Prinzipienhaftigkeit und Stärke ausdrücken. Tatsächlich hält Trump die Heilige Schrift wie eine Fliegenklatsche, und er hat den Weg zum Gotteshaus mit Pfefferspray und Tränengas von friedlichen Demonstranten säubern lassen.
Wie ein Verlierer
Die zweite Aufnahme ist ein Schnappschuss. Sie zeigt Trump bei der Rückkehr von seiner bombastisch angekündigten Kundgebung in Tulsa, zu der gerade mal 6 200 Anhänger kamen: Der 74Jährige wirkt derangiert und frustriert, seine offene rote Krawatte baumelt schlaff bis zu den Oberschenkeln, und die MAGA-Kappe liegt zerknautscht in seiner linken Hand. Plötzlich sieht der Triumphator wie ein Verlierer aus.
Aktuelle Umfragen bestätigen diesen Eindruck. Die Zustimmungswerte für Trump sind auf magere 39 Prozent gesunken. Im direkten Vergleich liegt sein Herausforderer Joe Biden inzwischen rund zehn Punkte vorne. Natürlich sind das Momentaufnahmen. Bis zur Wahl im November sind es noch vier Monate, und bis dahin kann viel passieren. Doch an diesem Nationalfeiertag erleben die Amerikaner einen Präsidenten, der gegen seinen Absturz kämpft. Donald Trump hat seine Strahlkraft verloren. Darüber kann selbst das größte Feuerwerk der Welt nicht wegtäuschen.
Die Zustimmungswerte für Trump sind auf magere 39 Prozent gesunken.