Der Fluss des Todes
Der arabisch-kurdische Nordosten von Syrien leidet unter einer Ölpest mit dramatischen Folgen für die Volksgesundheit
Neun Monate ist es her, seitdem Donald Trump in einem rätselhaften Tweet seine Liebe zum syrischen Öl zum Ausdruck gebracht hatte. „Ich mag Öl“, verkündete der amerikanische Präsident und stellte klar: „Wir werden das syrische Öl behalten“. Eine erneute Besetzung der Ölfelder durch den sogenannten „Islamischen Staat“würde so verhindert, behauptete der Chef des Weißen Hauses. Tatsächlich geht es den USA nicht um das syrische Öl.
Mit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Ölfelder sollen vielmehr vom Iran unterstützte Milizen aus der Region ferngehalten werden, betont der Syrien-Experte Joseph Daher von der Universität Lausanne. Wären die Amerikaner am syrischen Öl interessiert gewesen, dann hätten sie zumindest damit begonnen, die Ölfelder im Nordosten Syriens zu reparieren und so eine weitere Ausbreitung der Ölpest in dem Gebiet zu verhindern. Doch dies ist nicht der Fall.
Aus maroden Pipelines austretendes Rohöl und krebserregende Ölabfälle haben große Teile der von Kurden verwalteten Region verseucht. Wenn im Frühjahr und Herbst die Flüsse über die Ufer treten, erreicht der hochgiftige Ölschlamm auch die landwirtschaftlichen Nutzflächen, die vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs die Kornkammer Syriens waren.
Eines weiteres Problem in dem strukturschwachen, von über vier Millionen Menschen bewohnten Gebiet sind Hunderte von primitiven Raffinerien. In einfachen Metallfässern wird dort Schweröl aufgekocht und in minderwertiges Benzin verwandelt. Dabei entstehen übelriechende Dämpfe, welche die Umwelt schädigen und Krankheiten bei Menschen und Tieren verursachen.
Die Flüsse sind für die Bewässerung unbrauchbar
Besonders dramatisch ist die Situation um die ostsyrische Großstadt Deir ez-Zor, dem Zentrum der so folgenreichen „Schwerölverarbeitung“. „Krankheiten wie die Bluterkrankheit Hämophilie und Thalassämie, eine Erkrankung der roten Blutkörperchen, die schon lange verschwunden waren, breiten sich jetzt wieder aus“, zitiert das Beiruter Internetportal Al Monitor einen lokalen Apotheker. Bei vielen Neugeborenen würde eine Unterfunktion der Schilddrüse diagnostiziert. Neben schweren Atemwegserkrankungen seien auch wieder Fälle von Meningitis (Hirnhautentzündung) zu beobachten.
Durch die massive Luft – und Bodenverschmutzung hätten sich zudem die Ernteerträge halbiert, berichtet der Apotheker weiter. Die meisten Bäume in seiner Stadt seien eingegangen. „In der Vergangenheit nutzten wir die Flüsse zur Bewässerung der Felder. Jetzt sind die Flüsse aus Öl und daher unbrauchbar“, erzählt ein Bauer, der aus Angst vor Repressionen anonym bleiben wollte.
Bereits mehrfach hat das Assad-Regime, das vor dem Bürgerkrieg rund 400 000 Barrel Öl förderte und die Hälfte davon exportierte, eine Instandsetzung der völlig maroden Ölinfrastruktur mit russischer und iranischer Hilfe angeboten. Als Gegenleistung verlangte Damaskus die Kontrolle der Ölfelder, was die USA jedoch kategorisch ablehnen. Ölförderung mit primitiven Mitteln wird lediglich der kurdischen Autonomiebehörde gestattet, deren Tagesproduktion auf 60 000 Fass geschätzt wird.
Mit einer Beseitigung der schweren Umweltschäden sind die Kurden überfordert. Bis zu 60 Barrel Öl am Tag würden nach Erkenntnissen der niederländischen Nichtregierungsorganisation PAX aus riesigen Freiluftreservoirs in ein Kanalsystem geleitet, welches über Bäche den Wadi Awarid erreiche, der, ehe er in den Euphrat münde, durch 30 kurdische Dörfer fließe.
„Fluss des Todes“nennen die Autoren einer Studie über die Umweltkatastrophe die Ölschwemme, von der Tausende von Familien betroffen sind. Frauen klagen über Fehlgeburten. Die Männer, die früher ein gutes Auskommen als Bauern hatten, resignieren und spielen mit dem Gedanken einer Flucht in die Türkei.
„Ich mag Öl“, sagt Donald Trump. Doch tatsächlich geht es den USA nicht um das Öl.