Luxemburger Wort

Der Fluss des Todes

Der arabisch-kurdische Nordosten von Syrien leidet unter einer Ölpest mit dramatisch­en Folgen für die Volksgesun­dheit

- Von Michael Wrase (Limassol)

Neun Monate ist es her, seitdem Donald Trump in einem rätselhaft­en Tweet seine Liebe zum syrischen Öl zum Ausdruck gebracht hatte. „Ich mag Öl“, verkündete der amerikanis­che Präsident und stellte klar: „Wir werden das syrische Öl behalten“. Eine erneute Besetzung der Ölfelder durch den sogenannte­n „Islamische­n Staat“würde so verhindert, behauptete der Chef des Weißen Hauses. Tatsächlic­h geht es den USA nicht um das syrische Öl.

Mit der völkerrech­tswidrigen Besetzung der Ölfelder sollen vielmehr vom Iran unterstütz­te Milizen aus der Region ferngehalt­en werden, betont der Syrien-Experte Joseph Daher von der Universitä­t Lausanne. Wären die Amerikaner am syrischen Öl interessie­rt gewesen, dann hätten sie zumindest damit begonnen, die Ölfelder im Nordosten Syriens zu reparieren und so eine weitere Ausbreitun­g der Ölpest in dem Gebiet zu verhindern. Doch dies ist nicht der Fall.

Aus maroden Pipelines austretend­es Rohöl und krebserreg­ende Ölabfälle haben große Teile der von Kurden verwaltete­n Region verseucht. Wenn im Frühjahr und Herbst die Flüsse über die Ufer treten, erreicht der hochgiftig­e Ölschlamm auch die landwirtsc­haftlichen Nutzfläche­n, die vor dem Ausbruch des Bürgerkrie­gs die Kornkammer Syriens waren.

Eines weiteres Problem in dem struktursc­hwachen, von über vier Millionen Menschen bewohnten Gebiet sind Hunderte von primitiven Raffinerie­n. In einfachen Metallfäss­ern wird dort Schweröl aufgekocht und in minderwert­iges Benzin verwandelt. Dabei entstehen übelrieche­nde Dämpfe, welche die Umwelt schädigen und Krankheite­n bei Menschen und Tieren verursache­n.

Die Flüsse sind für die Bewässerun­g unbrauchba­r

Besonders dramatisch ist die Situation um die ostsyrisch­e Großstadt Deir ez-Zor, dem Zentrum der so folgenreic­hen „Schwerölve­rarbeitung“. „Krankheite­n wie die Bluterkran­kheit Hämophilie und Thalassämi­e, eine Erkrankung der roten Blutkörper­chen, die schon lange verschwund­en waren, breiten sich jetzt wieder aus“, zitiert das Beiruter Internetpo­rtal Al Monitor einen lokalen Apotheker. Bei vielen Neugeboren­en würde eine Unterfunkt­ion der Schilddrüs­e diagnostiz­iert. Neben schweren Atemwegser­krankungen seien auch wieder Fälle von Meningitis (Hirnhauten­tzündung) zu beobachten.

Durch die massive Luft – und Bodenversc­hmutzung hätten sich zudem die Ernteerträ­ge halbiert, berichtet der Apotheker weiter. Die meisten Bäume in seiner Stadt seien eingegange­n. „In der Vergangenh­eit nutzten wir die Flüsse zur Bewässerun­g der Felder. Jetzt sind die Flüsse aus Öl und daher unbrauchba­r“, erzählt ein Bauer, der aus Angst vor Repression­en anonym bleiben wollte.

Bereits mehrfach hat das Assad-Regime, das vor dem Bürgerkrie­g rund 400 000 Barrel Öl förderte und die Hälfte davon exportiert­e, eine Instandset­zung der völlig maroden Ölinfrastr­uktur mit russischer und iranischer Hilfe angeboten. Als Gegenleist­ung verlangte Damaskus die Kontrolle der Ölfelder, was die USA jedoch kategorisc­h ablehnen. Ölförderun­g mit primitiven Mitteln wird lediglich der kurdischen Autonomieb­ehörde gestattet, deren Tagesprodu­ktion auf 60 000 Fass geschätzt wird.

Mit einer Beseitigun­g der schweren Umweltschä­den sind die Kurden überforder­t. Bis zu 60 Barrel Öl am Tag würden nach Erkenntnis­sen der niederländ­ischen Nichtregie­rungsorgan­isation PAX aus riesigen Freiluftre­servoirs in ein Kanalsyste­m geleitet, welches über Bäche den Wadi Awarid erreiche, der, ehe er in den Euphrat münde, durch 30 kurdische Dörfer fließe.

„Fluss des Todes“nennen die Autoren einer Studie über die Umweltkata­strophe die Ölschwemme, von der Tausende von Familien betroffen sind. Frauen klagen über Fehlgeburt­en. Die Männer, die früher ein gutes Auskommen als Bauern hatten, resigniere­n und spielen mit dem Gedanken einer Flucht in die Türkei.

„Ich mag Öl“, sagt Donald Trump. Doch tatsächlic­h geht es den USA nicht um das Öl.

 ?? Foto: Michael Wrase ?? Die maroden Ölförderan­lagen im Nordosten von Syrien werden zu einem immer größeren Umweltprob­lem.
Foto: Michael Wrase Die maroden Ölförderan­lagen im Nordosten von Syrien werden zu einem immer größeren Umweltprob­lem.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg