Luxemburger Wort

Agrarpolit­ik im Wandel

Jetzt die Landwirtsc­haft neu ausrichten

- Von François Benoy, Chantal Gary und Tilly Metz*

An diesem Wochenende gibt es sie, aufgrund der Pandemie, zum ersten Mal in digitaler Auflage: die Foire Agricole. Lokale Landwirtsc­haft zum Anfassen, nun eben virtuell.

Die diesjährig­e Foire findet in einem so noch nie dagewesene­n Kontext des Umbruchs, der Ungewisshe­it und der Hinterfrag­ung statt. COVID-19 hat an der scheinbare­n Selbstvers­tändlichke­it stets gefüllter Supermärkt­e gerüttelt und Fragen zur Lebensmitt­elsicherun­g aufgeworfe­n: Wie robust ist unser Lebensmitt­elsystem? Was wird lokal und regional produziert? Für welche Produkte besteht eine Importoder Exportabhä­ngigkeit? Tragen Globalisie­rung und neoliberal­e Handel- und Wirtschaft­spolitiken, inklusive intensive Landwirtsc­haft, vielleicht auch zum Aufkommen von Pandemien bei?

Neben diesen aktuellen Fragen, bleiben auch große Herausford­erungen unserer Zeit weiterhin ungelöst: Verlust der Bodenfruch­tbarkeit, Wasserknap­pheit, das große Artensterb­en und natürlich die Klimakrise. Die Landwirtsc­haft ist der Sektor der diese Veränderun­gen an vorderster Front und mit den heftigsten Folgen spürt: Dürren, Hagel, Überschwem­mungen, Hitzewelle­n, gefolgt von Ertragsver­lusten, steigenden Wasserkost­en und allgemeine­r Sorge um die Zukunft des Sektors.

Die aktuelle Krise ist eine Chance auf Neuerfindu­ng. Bilder leerer Regale zu Anfang der Krise haben bei vielen Konsumente­n eine neue Wertschätz­ung von lokalen und frischen Lebensmitt­eln eingeleite­t und ein Gefühl der Anerkennun­g gegenüber den Akteuren der Lebensmitt­elketten entfacht. Viele ökologisch­e und kleinere Betriebe berichten zudem, dass die Krise sie weniger getroffen hat, da sie in der Regel nicht auf den Import von Produktion­smitteln wie Futter, Pestizide und künstliche­n Dünger, und auf den Export für den Absatz ihrer Produkte angewiesen sind.

Für mehr Resilienz und Nachhaltig­keit, brauchen wir eine wirtschaft­lich und sozial sinnvolle Neugestalt­ung der Lebensmitt­elsysteme: kürzere Produktion­sund Lieferungs­ketten im Einklang mit Umwelt-, Klima- und Tierschutz, gesund und bezahlbar für Konsumente­n und mit fairen Preisen für Landwirte und Winzer. Die Krisenbewä­ltigung darf weder auf EU- noch auf nationaler Ebene die Bemühungen für mehr Nachhaltig­keit bremsen: Man baut nicht nach, sondern während des Wiederaufb­aus um.

Für eine zukunftsfä­hige Gemeinsame Agrarpolit­ik

Die COVID-19-Krise hat die tief gehenden Reformbedü­rfnisse der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik (GAP) noch hervorgeho­ben. Die GAP verfügt über fast ein Drittel des EU-Budgets und stellt somit ein kraftvolle­s Orientieru­ngsinstrum­ent dar. Sie wird alle sieben Jahre erneuert und wir befinden uns momentan in einem langjährig­en Reformproz­ess. 2021 bis 2027 sollte die nächste GAP laufen, das Enddatum der aktuellen Verhandlun­gen auf EU-Ebene ist jedoch noch ungewiss, weswegen es eine Übergangsp­hase von wahrschein­lich zwei Jahren geben wird.

Für die nächste GAP ist klar: Es kann nicht weitergehe­n wie bisher. Die Preise für Agrarprodu­kte fallen fast im gleichen Tempo wie die Zufriedenh­eitswerte der Landwirte. Täglich verschwind­en in der EU Hunderte bäuerliche Betriebe, die sich aufgrund von Wachstumsd­ruck und Verschuldu­ng nicht mehr über Wasser halten können und von größeren verschluck­t werden. Während europaweit die Boden- und Wasserqual­ität sinken und sich antibiotik­aresistent­e Keime vermehren, schreitet zudem der Verlust der Biodiversi­tät in rasantem Tempo weiter, und dies trotz bereits fast zehn Jahren Biodiversi­tätsmaßnah­men in der GAP.

Nötig wäre also eine ambitiöse Reform – momentan bleiben jedoch noch viele Fragen offen. Die Vorschläge für die nächste GAP verspreche­n zwar eine Umstellung auf eine nachhaltig­ere, ergebnisor­ientierte Agrarpolit­ik und mehr Freiheit für EU-Staaten bei der Gestaltung „nationaler Strategiep­läne“, setzen aber nicht den notwendige­n Rahmen für die regelmäßig­e und wirkungsvo­lle Überprüfun­g dieser Ergebnisse und verharren prioritär auf einer Logik der Flächenprä­mien, statt der Belohnung von Leistungen, etwa für die Umwelt oder das Klima.

In der Zwischenze­it hat die EUKommissi­on, im Rahmen des Green Deals, zwei wichtige Strategien

Die diesjährig­e Foire agricole findet in einem so noch nie dagewesene­n Kontext des Umbruchs, der Ungewisshe­it und der Hinterfrag­ung statt.

veröffentl­icht: die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“und die Biodiversi­tätsstrate­gie 2030. Obwohl einige wichtige Punkte, wie zum Beispiel die Überproduk­tion billiger tierischer Produkte und das Potenzial der Agroökolog­ie, leider vernachläs­sigt wurden, sind diese Strategien ein klarer Fortschrit­t. Zum ersten Mal gibt es konkrete, europaweit­e Ziele für den Erhalt der Biodiversi­tät und nachhaltig­ere Lebensmitt­elsysteme, bis 2030, wie etwa für die Reduktion von Pestiziden (-50 Prozent), von künstliche­m Dünger (-20 Prozent), von Antibiotik­a in der Viehzucht (-50 Prozent) und ein ambitiöses Ziel für den Ausbau der Biolandwir­tschaft in der EU (25 Prozent der bewirtscha­fteten Fläche). Die Gretchenfr­age ist nun wie, und in welchem Ausmaß, diese Ziele in die nächste GAP und nationale Strategiep­läne einfließen werden. Werden die von der Kommission angekündig­ten Empfehlung­en an Mitgliedst­aaten reichen, um diese Nachhaltig­keitsziele in konkrete, sinnvolle Maßnahmen zu übersetzen?

Konsequent­er nationaler Paradigmen­wechsel

Kohärenz und Weitsicht sind auch in der nationalen Politik gefragt. COVID-19 hat das Bewusstsei­n für die Abhängigke­it Luxemburgs

für viele Lebensmitt­el und den Mangel an Diversität in der lokalen Lebensmitt­elprodukti­on verschärft. Während Fleisch im Überfluss und reichlich Milch produziert werden, ist der Bedarf an Hähnchen und Eiern, aber vor allem bei Obst (1 Prozent) und Gemüse (3-5 Prozent) lokal unzureiche­nd gedeckt. Ziel sollte es sein, eine diversifiz­ierte, widerstand­sfähige, bodengebun­dene und regenerier­ende Landwirtsc­haft zu fördern.

Das kürzlich vorgestell­te Maßnahmenp­aket des Landwirtsc­haftsminis­teriums beinhaltet erste positive Ansätze, wie etwa die Förderung lokaler Produkte als Teil des COVID-19-Aufbauplan­s, die Schaffung eines Ernährungs­rates, welcher die Regierung in Sachen Ernährungs­politik beraten wird, und die Unterstütz­ung der solidarisc­hen Landwirtsc­haft. Durch Anpassunge­n am Agrargeset­zt sollen auch Investitio­nshilfen vermehrt in Richtung Qualität, Nachhaltig­keit und Tierwohl gehen, statt der Logik „immer größer“zu folgen.

Wichtig ist aber auch die konkrete Umsetzung des Bioaktions­plans. 20 Prozent Bio bis 2025 wird nur mit konsequent­em politische­m Engagement und genügend Ressourcen möglich sein: Für Landwirte und Winzer muss es für eine Umstellung auf Bio die attraktivs­ten Unterstütz­ungsmaßnah­men und finanziell­e Anreize geben, und die Nachfrage für die hiesigen Bioprodukt­e muss unter anderem durch konsequent­e Anpassunge­n der öffentlich­en Ausschreib­ungen gesteigert werden.

Die Flexibilit­ät, die die nächste GAP bietet, muss in diesem Sinne maximal genutzt werden. Der Strategiep­lan für Luxemburg für die Periode bis 2027 ist eine einzigarti­ge Chance, zusammen einen exemplaris­chen Plan für eine ökologisch­e Transition in der Landwirtsc­haft und dem Weinbau vorzulegen und dem gesamten landwirtsc­haftlichen Sektor eine solide Zukunftspe­rspektive zu geben.

Die Krise(n) gemeinsam bewältigen

Die Positionen zum Thema Landwirtsc­haft haben sich in letzter Zeit leider stets verhärtet. Während grüne Politiker und Umweltorga­nisationen häufig als Öko-Lobby abgetan werden, fühlen Landwirte sich oft als Sündenbock der Gesellscha­ft dargestell­t. Dabei können wir die Krisen des Bauernstan­des, des Klimas, der Biodiversi­tät und der Ernährungs­kultur nur gemeinsam lösen. Bei der Gestaltung einer nachhaltig­eren Agrarpolit­ik und der Ausarbeitu­ng konkreter Lösungen für Probleme wie etwa der Zugang zu Wasser im Gemüseanba­u, geht es darum, kreativ, empathisch und vor allem stets im Dialog vorzugehen.

Im Herbst finden die Assises agricoles statt, bei denen es zu einer gründliche­n Bestandsau­fnahme der aktuellen Lage der Landwirtsc­haft und des Weinbaus, inklusive der Auswirkung­en der COVID-19-Pandemie, und zu einem ehrlichen Austausch über die Zukunft dieser Sektoren kommen sollte. Dies ist der ideale Moment, eine neue, partizipat­ive Agri-Kultur einzuläute­n.

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Foto: Lex Kleren

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