Im Dreieck der Krisen
Die zweite Phase der Covid-19-Pandemie
Die weltweite Pandemie tritt in ihre zweite Phase ein, nachdem die meisten betroffenen Staaten rund um den Globus nach und nach ihre Volkswirtschaften wieder hochfahren und ihre strengen Kontaktbeschränkungen wieder lockern oder sogar ganz aufheben. Solange aber keine wirksame Therapie oder gar ein Impfstoff in ausreichender Menge vorhanden ist, bleibt dieser Übergang zu einer neuen Normalität trügerisch, die Balance prekär, denn es kann jederzeit eine neue Infektionswelle ausbrechen, zumindest auf lokaler und regionaler Ebene, wenn nicht gar darüber hinausgehend.
Allerdings haben die politischen Entscheidungsträger, die entscheidenden Institutionen, die Wissenschaft und auch ganze Gesellschaften sehr viel gelernt aus der Erfahrung mit der ersten Infektionswelle und im Umgang mit dem Virus, was hoffen lässt.
Aus diesen beiden Gründen spricht vieles dafür, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Durchbruch in Richtung wirksamer Therapien und Impfstoffe gegen Covid-19 mit einer zweiten Infektionswelle zu rechnen ist, die aber aufgrund der gemachten Erfahrungen anders verlaufen wird als die erste Welle: Kein genereller Lockdown mehr mit einem nahezu vollständigen Stillstand des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, wohl aber Festhalten an den neuen Regeln fürs Social Distancing, Maskenpflicht, Homeoffice, Videokonferenzen, etc. und besondere Verhaltensregeln und Vorsichtsmaßnahmen für Risikogruppen. Je nach der Intensität dieser zweiten Infektionswelle wird das allerdings lokale oder gar regionale Lockdown und im Extremfall sogar erneute nationale Lockdown nicht ausschließen.
Gleichzeitig stattfindende Krisen
Die zweite Phase der Covid-19Pandemie wird durch ein Dreieck von gleichzeitig stattfindenden Krisen geprägt werden: an der Spitze die Gefahr einer globalen zweiten Infektionswelle; mehr und mehr werden in dieser zweiten Phase der Pandemie aber die wirtschaftlichen und sozialen Krisenfolgen in den Vordergrund treten, d. h. die tiefe und keineswegs in kurzer Zeit zu überwindende globale Rezession; und drittens die geopolitischen Folgen von Pandemie, wirtschaftlicher Rezession und den unabhängig davon stattfindenden geopolitischen Machtverschiebungen und Rivalitäten zwischen China und den USA, den beiden Supermächten des 21. Jahrhunderts, mit dem vorläufigen Höhepunkt der amerikanischen Präsidentschaftswahlen im kommenden November.
Diese Mischung aus geopolitischem Zweikampf der beiden Supermächte, Pandemie und globaler Rezession könnte sich als sehr gefährlich und global sowohl politisch wie wirtschaftlich als destabilisierend erweisen. Man vergesse dabei auch nicht den Faktor Donald Trump.
Denn wird Trump wiedergewählt, so hieße dies eine dramatische Eskalation des globalen Chaos. Würde hingegen Biden gewählt, so verspräche dies zumindest ein Mehr an Stabilität in allen drei Krisen.
Es geht also um sehr viel im kommenden November bei den Präsidentschaftswahlen in den USA, nicht zuletzt wegen des bizarren Amtsinhabers und der neuen Rivalität der Supermächte des 21. Jahrhunderts und verstärkt durch die von der Pandemie verursachte schwere Erschütterung der globalen Wirtschaft und Gesellschaften. Man übertreibt nicht, wenn man angesichts diesen globalen Bebens und seiner Folgen zu der Auffassung kommt, dass sich die Menschheit auf einen Scheidepunkt zubewegt.
Das ganze Ausmaß der ökonomischen Rezession wird erst im Herbst und Winter dieses Jahres sichtbar werden. Die Weltwirtschaft
und die von ihr abhängigen Gesellschaften sind ein dramatisches Schrumpfen nicht mehr gewöhnt, sondern real und psychologisch auf immer weiteres Wachstum ausgerichtet. Wie werden die reichen Gesellschaften des Westens und in Asien mit einem solchen Absturz umgehen können? Oder wirken die billionenschweren Wachstumspakete in die Gegenrichtung und können den Absturz auffangen? Und was wird dann folgen?
Keine Rückkehr zum Status quo ante
Selbst wenn man das Horrorszenario nicht als realistisch (wohl aber möglich!) unterstellt – Trump wird wiedergewählt, die Covid-19-Pandemie kommt mit einer mächtigen zweiten Welle zurück, die Wirtschaft stürzt global in eine Katastrophe und in Ostasien droht zwischen den USA und China eine heiße Konfrontation – selbst dann werden die drei parallelen Krisen einen Umbau des internationalen politischen und wirtschaftlichen Systems auf globaler und nationaler Ebene erzwingen. Eine Rückkehr zum Status quo ante wird es selbst im besten Falle aller Möglichkeiten nicht geben. Die Vergangenheit ist vorbei, sie kommt nicht wieder, und nur die Zukunft wird zählen.
Denn man mache sich keine Illusionen, diese Pandemie hat eine so tief- und weitreichende globale Krise mit sich gebracht, dass sie auch zu einer Neuverteilung von Macht und Wohlstand
führen wird. Und das heißt, dass diejenigen Volkswirtschaften und Gesellschaften, die sich mit all ihrer Energie, all ihrem Know-how und all ihrer Investitionskraft auf die Zukunft einstellen, bei dieser Neuverteilung von Macht und Wohlstand zu den Gewinnern gehören werden.
Hinzu kommt noch die Tatsache, dass sich die Welt gegenwärtig im Übergang von der analogen zur digitalen Realität befindet, was aus sich heraus schon zu einer Entwertung tradierter Technologien und damit zu einem Neuverteilungseffekt führt. Und die nächste große globale Krise, deren Folgen noch viel gravierender sein werden, weil es gegen sie keinen Impfstoff geben wird, ist zudem bereits heute absehbar: die Klimakrise durch die Erderwärmung.
Die Covid-19-Pandemie erweist sich als eine Krise, die einen echten Wendepunkt bedeutet.
Die seit Jahrhunderten erprobten politischen und wirtschaftlichen Systeme – in der Politik ein auf souveränen Nationalstaaten und deren Machtegoismus gründendes internationales System, in der Wirtschaft (gleich ob im Kapitalismus oder Sozialismus) eine auf Kohlenstoffverbrennung und Vergeudung der natürlichen, begrenzten Ressourcen basierende Industrie – scheinen ihre Funktionalität verloren zu haben und an ihre Grenzen gekommen zu sein, die einen fundamentalen Wechsel unabweisbar machen. Auch das gilt es aus der Covid-19-Krise zu lernen.
Für Europa, das weit zurückgefallen schien, bietet sich mit der Dreifachkrise der Covid-19Pandemie eine unverhoffte Chance, die offensichtlichen Lücken zu schließen, wenn es auf der Grundlage seiner universellen Werte bereit ist, entschlossen und, gemäß der Menschheitsinteressen, die das 21. Jahrhundert bestimmen werden, strategisch zu handeln.
Über die demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Werte, das technische Knowhow und die Investitionskraft verfügen die Europäer. Worauf also warten?
Das ganze Ausmaß der ökonomischen Rezession wird erst im Herbst und Winter dieses Jahres sichtbar werden.
Die Mischung aus geopolitischem Zweikampf der beiden Supermächte, Pandemie und globaler Rezession könnte sich als sehr gefährlich und destabilisierend erweisen.