Ein Traum von einer Insel
Katharina Hagena taucht in ihrem Spiekeroog-Inselporträt über die eigene Biografie in den Ort ein
„Das besitzanzeigende Fürwort ,mein‘ vor einem geografschen Begriff ist heikel. Es klingt nach Aneignung und Ermächtigung – ein besitzergreifendes Widerwort. In Wahrheit liegen die Besitzverhältnisse zwischen Spiekeroog und mir genau andersherum: Diese Insel ist weniger die meine, als ich die ihre bin. Doch vielleicht möchte dieses ,mein‘ gar keinen Besitz ergreifen, sondern ist vielmehr ein Ausdruck von Zärtlichkeit? So wie in dem Wiegenlied ,Kindlein mein‘, wo es nachgestellt ist. Insel mein.“– schon mit diesem Kapiteleinstieg ganz zu Anfang ihres Buchs packt Katarina Hagenau den Leser, der ihr Gefühl für das Deutsche zu schätzen weiß. Die Autorin des in 26 Sprachen übersetzten Romans „Der Geschmack von Apfelkernen“sucht nach Sprachgenauigkeit, nach der Tiefe, den Bedeutungen in diesem subjektiven Porträt der deutschen Nordsee-Insel Spiekeroog.
Persönliche Momente, intime Beschreibungen
Auf das Eiland reiste sie schon als Kind, dann als junge Erwachsene allein und später mit den eigenen Kindern – und eben nicht nur im klassischen Ferien-Sommer, sondern auch im Winter, bei dem die Insel ganz andere Facetten von sich zeigt. Es sind diese persönlichen Momente, die weit über eine reine Beschreibung einer bürgerlichen Intellektuellen mit Literaturwissenschaftsstudium und Faible für James Joyce hinausgehen, die geradezu intim wirken. Mit Hagena sitzt der Leser traurig am Strand, taucht in das Körpergefühl vom Sand zwischen den Zehen und dem verklebenden Salz auf der
Haut ein und spaziert zum Zeltplatzkiosk mit seinem ungewöhnlichen Sortiment. Und sie vergisst aber auch nicht, die Zeit des Nationalsozialismus auf ihre Art anzusprechen. Andererseits baut sie auf den ersten Blick für biologisch Interessierte geschriebene Kapitel zur Inselflora- und -fauna so auf, dass sie Neugier sogar für die Panzerung der Krebstiere weckt.
„Parallel-Insel zwischen zwei Buchdeckeln“Ihre bescheiden betonte Unzulänglichkeit, eigentlich mit den Mitteln der Sprache dem Thema Spiekeroog und den vielen Teilaspekten kaum beikommen zu können, macht sie eben von Anfang an sympathisch: „Ein Buch über Spiekeroog zu schreiben, heißt, eine Parallel-Insel zu erschaffen, die zwischen zwei Buchdeckel passt, ein schwarzes Buchstaben-Eiland im weißen Seitenmeer, Sprachinsel aus Inselsprache.“Ein klassischer Reiseführer will dieses Buch dann auch überhaupt nicht sein, aber es macht Lust darauf, die geschilderten Details auch einmal selbst zu überprüfen und das „Reizklima“zu spüren. Auch die Buchgestaltung dieses Teilbands einer ganzen „Inselreihe“des Verlags ist ein Traum – eine kleine Karte liegt bei, die in groben Zügen diesen Sehnsuchtsort ohne Flughafen und Autos nachzeichnet.