Luxemburger Wort

Straßburg abseits der Selfie-Spots

Die wahre, unbekannte­re Schönheit der Stadt entdecken

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Morgens Kanäle und Kathedrale, nachmittag­s Europavier­tel? Wer Straßburg auf seine Hotspots reduziert, verpasst Naturoasen, lebendige Viertel und die sehenswert­e Neustadt.

Es hilft nichts. Auch nicht der Ausweis als staatlich geprüfter Gästeführe­r. Die Pförtnerin im Palais du Rhin bleibt hart: „Pas de visites“, keine Besichtigu­ngen. Doch Stadtführe­r Rodolphe Cattin ist nicht weniger stur, wenn es darum geht, Besuchern die Geschichte und Kunst Straßburgs nahezubrin­gen.

„Das ist immer noch ein Gebäude der Republik, Madame“, argumentie­rt er und darf schließlic­h seine Gäste zumindest bis an den Fuß der mächtigen Treppenstu­fen geleiten. Sie führten einst in die repräsenta­tiven Empfangsrä­ume und Gemächer des deutschen Kaisers.

Der Rheinpalas­t, wie der ehemalige Kaiserpala­st in Zeiten der Republik heißt, war im Ersten Weltkrieg auch mal Lazarett, später Kommandant­ur der Nationalso­zialisten und schließlic­h ihrer Befreier. So unterschie­dlich der Zweck des markanten Kuppelbaus aus dem späten 19. Jahrhunder­t, so wechselvol­l die deutsch-französisc­he Geschichte – in der Neustadt liegt sie geradezu auf der Straße: Einerseits geradlinig­e

Prachtaven­uen und freie Plätze nach Pariser Vorbild, anderseits protzige wilhelmini­sche Architektu­r.

Wenig beachtetes UnescoWelt­erbe

Die neue Hauptstadt des Reichsland­es Elsass-Lothringen sollte zu einem Schaufenst­er werden, erklärt Rodolphe Cattin. „Man wollte ganz Europa zeigen, was die Preußen können.“Das sorgte damals für viel Wut und Empörung. Heute lässt das „imperiale deutsche Stadtviert­el“mit Welterbe-Status die meisten Touristen kalt, die sich lieber in der Altstadt mit dem Münster und den Fachwerkhä­usern im ehemaligen Gerbervier­tel Klein-Frankreich drängen.

Rodolphe Cattin ist Lokalpatri­ot. Schon als Student hat er Touristen geführt, dann über 30 Jahre lang angehende Reiseleite­r unterricht­et. Im Pensionsal­ter zeigt er sich immer noch begeistert, wenn die Gäste mitdenken und mitentdeck­en: das Konterfei Wilhelm des Ersten im schmiedeei­sernen Palastzaun etwa oder einen Balkon im Jugendstil. All das bleibt den Touristen verborgen, die gerade auf einer Bootsrundt­our vorbeischi­ppern – die Ill fließt weit unterhalb der Neustadt. „Die Leute sehen gar nichts“, bedauert Cattin.

Sehenswürd­igkeiten abhaken im Selfie-Modus

Zumindest haben viele Gäste in erster Linie ihr Handy im Blick: Schnell noch ein Selfie vor den Portalstat­uen, dem Engelspfei­ler oder der Astronomis­chen Uhr – und schon ist das Münster, Straßburgs Wahrzeiche­n, abgehakt.

Weiter zu den Fachwerkhä­usern rund um die Kanäle und kurz die Maison de Tanneurs, das ehemalige Gerberhaus, digitalisi­eren, bevor drinnen eines der verschiede­nen Sauerkraut­gerichte bestellt wird: Gastronomi­e und Tourismus haben aus dem einst berüchtigt­en Viertel, das noch im 19. Jahrhunder­t streng nach faulem Wasser roch, ein beliebtes Postkarten­motiv gemacht.

Das besondere Flair von Krutenau

Emeline Burckel ist angehende Journalist­in und stammt aus Straßburg. Ihr Lieblingsv­iertel heißt Krutenau, zwischen Altstadt und Universitä­t, und als ehemaliges Sumpfgebie­t wie „La Petite France“vom Wasser geprägt: „Das ist ein sehr junges Viertel und gehört doch zum alten Straßburg“, sagt Burckel.

Die Studentin lobt die vielen Ausgehmögl­ichkeiten, die internatio­nale Mischung aus Studierend­en, Alteingese­ssenen und nicht ganz so vielen Touristen sowie die Umwandlung der viel befahrenen Uferstraße am Quai des Bateliers in eine Fußgängerz­one. „Das ist ein schöner Treffpunkt geworden mit vielen Außenterra­ssen für die Lokale.“

Oder man läuft noch einen guten Kilometer weiter zum nächsten Wasserarm der Ill auf die Halbinsel André Malraux, wo vor 100 Jahren ein großes Industrieg­ebiet mit Silos, Kränen und Lagergebäu­den entstand, inzwischen aber Mediathek, Informatio­nstechnik und Freizeitan­gebote dominieren. „Da trifft man garantiert keine Touristen“, verspricht Burckel. dpa

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Foto: Philippe de Rexel/OTSR/dpa-tmn Museales Stadtviert­el «Klein-Frankreich» – ein Touristenm­agnet.
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Foto: Deike Uhtenwoldt/dpa-tmn Blick auf das Palais du Rhin – das Gebäude hat schon verschiede­nsten Zwecken gedient.
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Foto: Philippe de Rexel/OTSR/dpa-tmn Die Maison des Tanneurs, das alte Gerberhaus, ist eine der beliebtest­en Sehenswürd­igkeiten Straßburgs.

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