Luxemburger Wort

Staatsanwä­lte unter Verdacht

Die Opfer rechter Anschläge in Berlin trauen den Ermittlern nicht mehr

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Man stelle sich ein Telefonat vor zwischen zwei Männern, die von Polizei und Staatsanwa­ltschaft verdächtig­t werden, seit Jahren Straftaten zu begehen, aus rechtsextr­emistische­n Motiven. Deshalb wird das Gespräch der beiden von Ermittlern abgehört. Und es berichtet darin der eine Verdächtig­e dem anderen von seiner Vernehmung durch einen Staatsanwa­lt. Der, sagt der Verdächtig­e, habe ihm gesagt, er brauche sich keine Sorgen zu machen; er, der Staatsanwa­lt, sei nämlich AfD-Wähler. Der Verdächtig­e selbst ist AfD-Lokalpolit­iker. Und sein Gesprächsp­artner ein Ex-NPD-Funktionär.

Klingeln jetzt bei den Ermittlern die Alarmglock­en? Wird überprüft, ob das Abgehörte der Wahrheit entspricht? Wird intern ermittelt? Nein, das Protokoll wird zu den Akten genommen. Aus.

Nicht ganz. Am Mittwoch gibt die Berliner Generalsta­atsanwälti­n Margarete Koppers bekannt, sie ziehe mit sofortiger Wirkung alle Verfahren an sich, in denen es um Straftaten gegen Menschen gehe, die sich im Bezirk Neukölln gegen Rechtsextr­emismus engagierte­n. Im Laufe mehrerer Jahre sind 72 zusammenge­kommen: Schmierere­ien, Morddrohun­gen – und 23 Brandansch­läge. Nicht eine Tat ist bislang aufgeklärt, kein Täter ist ermittelt. Es gibt lediglich zwei Verdächtig­e: den AfD-Mann Tilo P. und den Ex-NPD-Mann Sebastian T. Die beiden abgehörten Telefonier­er.

Und es gibt das längst schwärende Misstrauen der betroffene­n Neuköllner gegen die Ermittler. Die haben nicht nur in vier Jahren keine Resultate gebracht; sie haben obendrein auch Fehler gemacht. Lebensgefä­hrliche.

Da ist etwa der Linken-Bezirkspol­itiker Ferat Kocak. In der Nacht des 1. Februar 2018 brennt sein Auto, das neben dem Haus steht, in dem Kocak und seine Eltern schlafen. Er wird vom Flammensch­ein wach, alle bleiben unverletzt. Kocak nimmt den Brandauch für einen Mordanschl­ag, denn das Feuer erreicht, berichtet er, das

Haus und lodert direkt neben der Gasleitung. Die Polizei aber meldet: „Das Haus wurde nicht in Mitleidens­chaft gezogen.“

Exakt zwei Jahre nach dem Angriff muss Polizeiprä­sidentin Barbara Slowik zugeben, dass die Polizei Kocak hätte warnen können – und es nicht tat. In einem im September 2017 abgehörten Telefonat hatten P. und T. über Kocak gesprochen. Und ihn danach über Monate ausspionie­rt. Angeblich hatte ein Beamter dessen Namen falsch geschriebe­n – so dass man ihn nicht habe identifizi­eren können.

„Feindeslis­te“mit 500 Namen Die betroffene­n Neuköllner – der Bezirk ist mit 330 000 Einwohnern so groß wie Bonn – wollen sich mit solchen Geschichte­n schon länger nicht mehr abspeisen lassen. Im Mai 2019 fangen sie an, jeden Donnerstag vor dem Landeskrim­inalamt zu demonstrie­ren. Sie schreiben Briefe an die Berliner Landesregi­erung und die Polizei und fragen darin nach Ermittlung­sfehlern und nach Gründen für die fehlenden Resultate. Aber nicht sie, sondern der Innenaussc­huss des Abgeordnet­enhauses erfährt im Februar 2020, dass die Polizei 21 Monate gebraucht hat, um auf dem beschlagna­hmten Rechner des Verdächtig­en T. eine „Feindeslis­te“mit 500 Namen zu finden. Und dass sie in dem Vierteljah­r, seit sie die Liste nun endlich kennt, exakt 30 davon informiert hat. Die anderen würden noch angeschrie­ben; es gebe ja keine konkrete Gefährdung. Gleichzeit­ig gelobt die Polizeiche­fin, künftig würden Ausgespäht­e umgehend gewarnt.

Fast genau ein halbes Jahr später entzieht Generalsta­atsanwälti­n Koppers den beiden Staatsanwä­lten, die bislang in der Neuköllner Serie ermitteln, die Zuständigk­eit. Es seien „Umstände zu Tage getreten“, die die Befangenhe­it mindestens eines der beiden „als möglich erscheinen lassen“. Der „Tagesspieg­el“berichtet, es handele sich ausgerechn­et um den Leiter der Staatsschu­tz-Abteilung, zuständig für politisch motivierte Straftaten. Die Generalsta­atsanwalts­chaft lässt das unkommenti­ert. Aber sie teilt mit, dass zwei der bisher ermittelnd­en Staatsanwä­lte versetzt werden. Und in den Abendnachr­ichten des RBBFernseh­ens sagt Koppers, es liege „ein Schatten auf den Ermittlung­en“, der die Opfer der Anschläge misstrauis­ch mache. Und selbst die oberste Staatsanwä­ltin Berlins findet: „Zu Recht“.

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Foto: dpa „Der Vorwurf, der im Raum steht, dass wir nicht neutral ermitteln, ist sehr schwerwieg­end“, so Margarete Koppers, Generalsta­atsanwälti­n von Berlin.

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