Finger in die Wunde legen
Sie ist zwar nicht so fotogen wie eine Protestkundgebung, aber ein noch klareres Zeichen: 5 316 Unterschriften hat die Petition 1638 bis gestern 18 Uhr, vor ihrem Fristablauf um Mitternacht, gesammelt. Der „Dringende Aufruf zum Schutz des historischen Bauerbes Luxemburgs“wurde gehört, denn er legt den Finger in eine klaffende Wunde: 5 316 Bürgern ist das Anliegen des Denkmalschutzes so wichtig, mit ihrem Namen einzufordern, dass Abgeordnete in einer öffentlichen Anhörung dazu Stellung nehmen.
Ganz ohne hellseherische Fähigkeiten lässt sich heute schon voraussagen, dass dann Eintracht herrschen wird, dass der Erhalt von Luxemburgs Bauerbe wichtig ist. Doch wenn alle sich eins sind, warum läuft dann so vieles schief?
Zuletzt die Stallungen des Heisdorfer Schlosses, demnächst die Villa Marx an der hauptstädtischen Ecke Boulevard Pierre Dupong/Avenue du X Septembre: Die Liste der unersetzbaren Verluste wird immer länger. Mit jedem historisch wertvollen Bau, der verschwindet, wird auch ein Stück Nationalgeschichte ausgelöscht. Dass in Luxemburg 0,8 Prozent der Gebäude geschützt sind, während es in Frankreich drei, in Deutschland bis fünf Prozent sind, bedeutet nicht, dass das hiesige Bauerbe kleiner ist, es verdeutlicht lediglich unseren Nachholbedarf in Sachen Denkmalschutz.
Der Schuh drückt hier weniger beim Willen als bei der Umsetzung, dies umso mehr, als immer noch finanzielle Aspekte und (partei-)politische Agenda mitspielen. Doch der Erhalt ist eine kollektive Bemühung: Besitzer, Denkmalschutzbehörde, lokale und nationale Politiker – jeder Einzelne hat eine wichtige Rolle inne. Leider hat genau diese vielfältige Verantwortlichkeit, bei der individuelle Interessen zuweilen mit gesellschaftlichen kollidieren, doch beide vereinbart werden müssen, zur Folge, dass am Ende die Schuld stets ein anderer trägt, wenn wieder mal ein Gebäude mit Geschichte aus Stadt- oder Dorfbild verschwindet.
Wer aber bei der Diskussion um den Denkmalschutz Vergangenheit gegen Zukunft aufwiegt und den akuten Bedarf an Wohnraum als Killerargument für profitgetriebene und kurzsichtige Abrisswut bemüht, liegt nicht nur falsch, er fördert auch gefährliche Schwarz-Weiß-Malerei. Historisches Bauerbe ist nämlich kein Hindernis für architektonische und folglich demografische Entwicklung, es ist ihr Fundament, da es Land, Leute und Leben prägt. Das längst überfällige Denkmalschutzgesetz soll dahingehend Klarheit schaffen und erhält also nicht nur auf Dauer Bauerbe, es schafft ebenfalls einen Rahmen für nachhaltige Landesplanung und -entwicklung und ist der erste Schritt in Richtung Wachstum, das notwendige Lebensqualität garantiert.
„Il y a deux choses dans un édifice: son usage et sa beauté; son usage appartient au propriétaire, sa beauté à tout le monde; c’est donc dépasser son droit que le détruire“, schrieb Victor Hugo 1825 in seiner „Note sur la destruction des monuments en France“. Nun kann man Hugo als Romantiker abtun, doch eines ist heute wie damals wahr: Am Ende kann nur ein konsequentes Handeln der Politik den Erhalt des Bauerbes gewährleisten – und das lässt sich an Taten, nicht Worten messen. 5 316 Unterschriften zeigen nämlich auch: Das (Wahl-)Volk will nicht mehr vertröstet, sondern ernst genommen werden.
Bauerbe ist nicht ein Hindernis für die Zukunft, sondern ihr Fundament.
Kontakt: vesna.andonovic@wort.lu