Alles andere als Routine
Im Machtapparat von Diktator Alexander Lukaschenko wächst vor der Präsidentenwahl in Belarus die Nervosität
Alexander Lukaschenko hat Erfahrung mit sogenannten Wahlkämpfen. Es ist sein sechster. Und der Ausgang der Wahl, sein Sieg, der war an sich immer nur eine Frage der Höhe. Seit 1994 regiert Lukaschenko Belarus als Präsident.
2020 aber ist keinesfalls Routine. Dabei hat Lukaschenko keine wirklichen Rivalen. Da ist eigentlich nur Swetlana Tichanowskaja, eine junge Frau, die stets angibt, eigentlich nicht in die Politik zu wollen – die in den Tagen vor der Wahl aber in steter Regelmäßigkeit auch in Kleinstädten Zehntausende auf die Straße brachte. Dabei sagte sie gleich mehrmals: „Ich will gar nicht an die Macht.“Eine Botschaft, die die Macht Lukaschenkos in einem Ausmaß erodiert, das den längstdienenden Diktator des Kontinents sichtlich nervös macht.
Angstbefreite Opposition
Denn mit der Verhaftung Sergej Tichanowskijs sollte die Sache aus Sicht Lukaschenkos und laut Skript des belarussischen KGB erledigt sein. Nachdem sich der Videoblogger zu einer Führungsfigur der Opposition entwickelt hatte, wurde er verhaftet – und folglich nicht zur Wahl zugelassen. Doch dann sprang Swetlana Tichanowskaja, seine Frau, ein. Schließlich schlossen sich ihr noch zwei Frauen aus dem Umfeld zweier weiterer ausgeschlossener Kandidaten an: Veronika Zepkalo, Ehefrau von Waleri Zepkalo, der mit den Kindern der Familie nach Russland flüchtete, und Maria Kolesnikowa, die im Stab des inhaftierten Ex-Bankers und Kurzzeit-Fast-Kandidaten Viktor Babariko aktiv war.
Und mit einem Schlag hatte es der Diktator mit einer Opposition zu tun, die nie zuvor in der jüngeren Geschichte des Landes derart geschlossen war; die es schaffte, Zehntausende zu mobilisieren; die der Opposition aber vor allem einen völlig neuen Geruch verpasste: einen positiven, einen optimistischen, einen selbstbewussten. Vor allem aber: einen angstbefreiten.
„Elendige kleine Mädchen“nannte Lukaschenko seine Kontrahentinnen in einer Rede knapp vor der Wahl. Um nachzusetzen: „Wir können nicht alle, die uns nicht mögen – Verzeihung –
Schlampen oder Nutten nennen.“Die Rede hielt Lukaschenko übrigens im Palast der Republik in Minsk vor 2 500 Zuschauern. Corona-Distanzierungsmaßnahmen? Fehlanzeige.
Dafür darf in jedem Wahllokal sowie bei der Auszählung der Stimmen nur eine begrenzte, sehr kleine Zahl an Beobachtern anwesend sein. Begründung: Corona.
Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird die Wahlen nicht beobachten. Es gab keine Einladung seitens der Regierung in Minsk.
Ein „ukrainischer“Sommer
Am Sieg Lukaschenkos zweifeln nicht einmal eingefleischte Oppositionelle. Und auch die Protestwelle beschreiben viele zwar als historisch, aber nicht als derart breit, dass sie ein über Sicherheitsdienste, Justiz, Gesetzgebung und Behörden flächendeckend einzementiertes System wie das Lukaschenkos aushebeln könnte. Was wirklich neu ist, wie es ein junger Mann beschreibt: „Das Ausmaß der Selbstorganisation in einem Land, in dem Bürger an sich immer davon ausgegangen waren, dass der Staat es regeln wird.“Er vergleicht das, was in Belarus in diesem Sommer passiert, als „ukrainisch“. Dabei beteuert Swetlana Tichanowskaja: „Wir wollen keinen Maidan und keinen Krieg, sondern nur freie und faire Wahlen.“
„Der Staat wird euch nicht alleine lassen, er wird euch schützen“, schmetterte Lukaschenko seinen Zuhörern im Palast der Republik denn auch entgegen. Gleichermaßen Versprechen wie Drohung – und irgendwie auch eine Beteuerung auf verlorenem Posten. Lukaschenko hatte sich immer als Bewahrer des Ist-Zustandes verkauft, und das lange Jahre durchaus mit Erfolg. Der Lebensstandard in Belarus ist im Vergleich zu Russland oder Ukraine hoch. Seit Jahresbeginn hat Lukaschenko aber in Sachen „Bewahren“offenkundig versagt.
Russische Einmischung
Russland verlangt eine tief gehende Integration beider Staaten, die an die Selbstaufgabe von Belarus grenzt. Lukaschenko verwehrte sich dagegen – woraufhin Moskau die Gas- und Öl-Preise nach oben schraubte und offen drohte. Das wird der belarussischen Wirtschaft sehr bald stark zusetzen. Dann kam die Corona-Pandemie, in der Lukaschenko in einem an Irrsinn grenzenden Stakkato an Empfehlungen mal Traktorfahren, mal Eishockeyspielen, mal Saunagehen empfahl. Genau diese offenkundige Planlosigkeit bezeichnen viele Belarussen als Initialzündung dafür, dass die Leute begannen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Und kaum etwas fürchtet der belarussische Staat mehr. Dass der Präsident die Protestbewegung jetzt als von äußeren Kräften gesteuerte Truppe zur Destabilisierung des Landes brandmarkt, ist die letzte Verteidigungslinie des Regimes. Eine durchaus effiziente. Dass im Vorfeld der Wahl 33 russische Söldner verhaftet wurden, unterstreicht auch seine Warnungen, fremde Kräfte würden in Minsk ein Blutbad vorbereiten.
Nur: Was die Ablehnung russischen Einflusses angeht, herrscht praktisch Konsens zwischen Regime und Opposition. Es ist diesbezüglich das einzige Themenfeld.
Wir wollen keinen Maidan und keinen Krieg, sondern nur freie und faire Wahlen. Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin
Ärger sowie blanke Wut. Noch immer können es viele Menschen nicht begreifen, wie es passieren konnte, dass 2 750 Tonnen Ammoniumnitrat von der Regierung einfach vergessen, ignoriert wurden. In sechs Briefen hatten die Hafenbehörden an die Justizbehörden appelliert, die explosiven Chemikalien weiterzuverkaufen oder den Streitkräften zur Sicherung zu übergeben. nicht nur aus Frankreich, sondern auch aus vielen arabischen Staaten, Griechenland und Russland im Libanon eintraf, sei angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Zerstörungen im Land ohnehin nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“, glaubt Marwan. Den Willen der Libanesen, ihr Land radikal umzukrempeln, bekam gestern Nachmittag auch Emmanuel Macron zu spüren, als er das Beiruter Szeneviertel Gemaayze besuchte.
„Das Volk will den Sturz des Regimes“, skandierten dort Hunderte den Slogan des Arabischen Frühlings. „Herr Präsident“, rief eine junge Frau verzweifelt, „bitte helfen Sie uns dabei, diese Regierung loszuwerden!“Macron lächelte scheu, als er die Bitte hörte, und schwieg.
Rettungshelfer suchten indes gestern weiter nach Überlebenden. Im Einsatz waren Armeesoldaten, Mitarbeiter des Roten Kreuzes und Freiwillige. Noch immer werden dem Roten Kreuz zufolge rund 100 Menschen vermisst.
Die politische Klasse im Libanon sollte in den kommenden Wochen und Monaten auf der Hut sein. Faysal Itani, stellvertretender Direktor des Center for Global Policy