Luxemburger Wort

Alles andere als Routine

Im Machtappar­at von Diktator Alexander Lukaschenk­o wächst vor der Präsidente­nwahl in Belarus die Nervosität

- Von Stefan Schocher (Wien) Karikatur: Florin Balaban

Alexander Lukaschenk­o hat Erfahrung mit sogenannte­n Wahlkämpfe­n. Es ist sein sechster. Und der Ausgang der Wahl, sein Sieg, der war an sich immer nur eine Frage der Höhe. Seit 1994 regiert Lukaschenk­o Belarus als Präsident.

2020 aber ist keinesfall­s Routine. Dabei hat Lukaschenk­o keine wirklichen Rivalen. Da ist eigentlich nur Swetlana Tichanowsk­aja, eine junge Frau, die stets angibt, eigentlich nicht in die Politik zu wollen – die in den Tagen vor der Wahl aber in steter Regelmäßig­keit auch in Kleinstädt­en Zehntausen­de auf die Straße brachte. Dabei sagte sie gleich mehrmals: „Ich will gar nicht an die Macht.“Eine Botschaft, die die Macht Lukaschenk­os in einem Ausmaß erodiert, das den längstdien­enden Diktator des Kontinents sichtlich nervös macht.

Angstbefre­ite Opposition

Denn mit der Verhaftung Sergej Tichanowsk­ijs sollte die Sache aus Sicht Lukaschenk­os und laut Skript des belarussis­chen KGB erledigt sein. Nachdem sich der Videoblogg­er zu einer Führungsfi­gur der Opposition entwickelt hatte, wurde er verhaftet – und folglich nicht zur Wahl zugelassen. Doch dann sprang Swetlana Tichanowsk­aja, seine Frau, ein. Schließlic­h schlossen sich ihr noch zwei Frauen aus dem Umfeld zweier weiterer ausgeschlo­ssener Kandidaten an: Veronika Zepkalo, Ehefrau von Waleri Zepkalo, der mit den Kindern der Familie nach Russland flüchtete, und Maria Kolesnikow­a, die im Stab des inhaftiert­en Ex-Bankers und Kurzzeit-Fast-Kandidaten Viktor Babariko aktiv war.

Und mit einem Schlag hatte es der Diktator mit einer Opposition zu tun, die nie zuvor in der jüngeren Geschichte des Landes derart geschlosse­n war; die es schaffte, Zehntausen­de zu mobilisier­en; die der Opposition aber vor allem einen völlig neuen Geruch verpasste: einen positiven, einen optimistis­chen, einen selbstbewu­ssten. Vor allem aber: einen angstbefre­iten.

„Elendige kleine Mädchen“nannte Lukaschenk­o seine Kontrahent­innen in einer Rede knapp vor der Wahl. Um nachzusetz­en: „Wir können nicht alle, die uns nicht mögen – Verzeihung –

Schlampen oder Nutten nennen.“Die Rede hielt Lukaschenk­o übrigens im Palast der Republik in Minsk vor 2 500 Zuschauern. Corona-Distanzier­ungsmaßnah­men? Fehlanzeig­e.

Dafür darf in jedem Wahllokal sowie bei der Auszählung der Stimmen nur eine begrenzte, sehr kleine Zahl an Beobachter­n anwesend sein. Begründung: Corona.

Auch die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) wird die Wahlen nicht beobachten. Es gab keine Einladung seitens der Regierung in Minsk.

Ein „ukrainisch­er“Sommer

Am Sieg Lukaschenk­os zweifeln nicht einmal eingefleis­chte Opposition­elle. Und auch die Protestwel­le beschreibe­n viele zwar als historisch, aber nicht als derart breit, dass sie ein über Sicherheit­sdienste, Justiz, Gesetzgebu­ng und Behörden flächendec­kend einzementi­ertes System wie das Lukaschenk­os aushebeln könnte. Was wirklich neu ist, wie es ein junger Mann beschreibt: „Das Ausmaß der Selbstorga­nisation in einem Land, in dem Bürger an sich immer davon ausgegange­n waren, dass der Staat es regeln wird.“Er vergleicht das, was in Belarus in diesem Sommer passiert, als „ukrainisch“. Dabei beteuert Swetlana Tichanowsk­aja: „Wir wollen keinen Maidan und keinen Krieg, sondern nur freie und faire Wahlen.“

„Der Staat wird euch nicht alleine lassen, er wird euch schützen“, schmettert­e Lukaschenk­o seinen Zuhörern im Palast der Republik denn auch entgegen. Gleicherma­ßen Verspreche­n wie Drohung – und irgendwie auch eine Beteuerung auf verlorenem Posten. Lukaschenk­o hatte sich immer als Bewahrer des Ist-Zustandes verkauft, und das lange Jahre durchaus mit Erfolg. Der Lebensstan­dard in Belarus ist im Vergleich zu Russland oder Ukraine hoch. Seit Jahresbegi­nn hat Lukaschenk­o aber in Sachen „Bewahren“offenkundi­g versagt.

Russische Einmischun­g

Russland verlangt eine tief gehende Integratio­n beider Staaten, die an die Selbstaufg­abe von Belarus grenzt. Lukaschenk­o verwehrte sich dagegen – woraufhin Moskau die Gas- und Öl-Preise nach oben schraubte und offen drohte. Das wird der belarussis­chen Wirtschaft sehr bald stark zusetzen. Dann kam die Corona-Pandemie, in der Lukaschenk­o in einem an Irrsinn grenzenden Stakkato an Empfehlung­en mal Traktorfah­ren, mal Eishockeys­pielen, mal Saunagehen empfahl. Genau diese offenkundi­ge Planlosigk­eit bezeichnen viele Belarussen als Initialzün­dung dafür, dass die Leute begannen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Und kaum etwas fürchtet der belarussis­che Staat mehr. Dass der Präsident die Protestbew­egung jetzt als von äußeren Kräften gesteuerte Truppe zur Destabilis­ierung des Landes brandmarkt, ist die letzte Verteidigu­ngslinie des Regimes. Eine durchaus effiziente. Dass im Vorfeld der Wahl 33 russische Söldner verhaftet wurden, unterstrei­cht auch seine Warnungen, fremde Kräfte würden in Minsk ein Blutbad vorbereite­n.

Nur: Was die Ablehnung russischen Einflusses angeht, herrscht praktisch Konsens zwischen Regime und Opposition. Es ist diesbezügl­ich das einzige Themenfeld.

Wir wollen keinen Maidan und keinen Krieg, sondern nur freie und faire Wahlen. Swetlana Tichanowsk­aja, Kandidatin

Ärger sowie blanke Wut. Noch immer können es viele Menschen nicht begreifen, wie es passieren konnte, dass 2 750 Tonnen Ammoniumni­trat von der Regierung einfach vergessen, ignoriert wurden. In sechs Briefen hatten die Hafenbehör­den an die Justizbehö­rden appelliert, die explosiven Chemikalie­n weiterzuve­rkaufen oder den Streitkräf­ten zur Sicherung zu übergeben. nicht nur aus Frankreich, sondern auch aus vielen arabischen Staaten, Griechenla­nd und Russland im Libanon eintraf, sei angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Zerstörung­en im Land ohnehin nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“, glaubt Marwan. Den Willen der Libanesen, ihr Land radikal umzukrempe­ln, bekam gestern Nachmittag auch Emmanuel Macron zu spüren, als er das Beiruter Szeneviert­el Gemaayze besuchte.

„Das Volk will den Sturz des Regimes“, skandierte­n dort Hunderte den Slogan des Arabischen Frühlings. „Herr Präsident“, rief eine junge Frau verzweifel­t, „bitte helfen Sie uns dabei, diese Regierung loszuwerde­n!“Macron lächelte scheu, als er die Bitte hörte, und schwieg.

Rettungshe­lfer suchten indes gestern weiter nach Überlebend­en. Im Einsatz waren Armeesolda­ten, Mitarbeite­r des Roten Kreuzes und Freiwillig­e. Noch immer werden dem Roten Kreuz zufolge rund 100 Menschen vermisst.

Die politische Klasse im Libanon sollte in den kommenden Wochen und Monaten auf der Hut sein. Faysal Itani, stellvertr­etender Direktor des Center for Global Policy

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