Luxemburger Wort

Der Schock droht in Wut umzuschlag­en

Bei seinem Besuch im verwüstete­n Beirut verlangt der französisc­he Staatschef Macron ein Ende der Korruption

- Von Michael Wrase (Limassol)

„Libanon ist nicht allein“, twitterte Emmanuel Macron nach seiner Ankunft in Beirut. Im Mittelpunk­t seiner Visite, betonte er, stehe die Unterstütz­ung der nach der Explosion von 2 750 Tonnen Ammoniumni­trat schwer traumatisi­erten Bevölkerun­g. Der französisc­he Staatschef wirkte sichtlich geschockt, als er mit vorsichtig­en Schritten durch den verwüstete­n Beiruter Hafen ging. Bis zu 100 Menschen, befürchtet das libanesisc­he Rote Kreuz, könnten noch unter den Trümmern liegen.

Frankreich, die frühere Kolonialma­cht im Libanon, will „allumfasse­nd helfen“. Daran ließ Macron gestern in Beirut keinen Zweifel.

Ohne Reformen wird Libanon weiter versinken. Emmanuel Macron

Genauso unmissvers­tändlich war aber auch seine politische Botschaft. „Ohne Reformen“, hatte Macron bereits am Flughafen klargestel­lt, „wird Libanon weiter versinken“. Erst wenn die Korruption aufhöre, könne es wieder aufwärts gehen, sei ein „Vertrag für den Wiederaufb­au des Libanons“möglich.

Der französisc­he Staatschef sprach damit den meisten Libanesen aus dem Herzen. Seit mehreren Jahrzehnte­n hoffen sie auf einen umfassende­n Wandel. Hunderttau­sende waren dafür auf die Straßen gegangen. Doch dann kam Corona und die Protestwel­le verebbte. Es folgte der dramatisch­e Kursverfal­l der Lira sowie als vorläufige­r Negativhöh­epunkt die Apokalypse im Beiruter Hafen, die 300 000 Libanesen obdachlos machte.

Regierungs­versagen

Doch resigniere­n – und auch diese Botschaft wurde Macron gestern vermittelt – kommt für die meisten Libanesen nicht in Frage. „Da die Regierung versagt“, sagte eine Beiruter Medizinstu­dentin einem französisc­hen Fernsehrep­orter, „werden wir die Dinge wohl selbst in die Hand nehmen müssen“. In Mar Mikhael und Gemmayze, den schwer verwüstete­n Szeneviert­eln unweit des Hafens, haben sich junge Libanesen zu Arbeitsbri­gaden zusammenge­schlossen. Engagiert kehren sie Millionen von Glasscherb­en zusammen, verladen abgerissen­e Aluminiumv­erkleidung­en und Wrackteile von Autos auf Laster und Pritschenw­agen.

Andere klettern die mit Schutt übersäten Treppenhäu­ser hinauf, um noch immer eingeschlo­ssene ältere Menschen mit Lebensmitt­eln zu versorgen oder in Bergdörfer zu evakuieren. Die Welle der Solidaritä­t ist gewaltig. Das war in Krisenzeit­en im Libanon schon immer so. Die Bevölkerun­g hält zusammen, weil sie weiß, dass sie von der Regierung nichts zu erwarten hat.

In den Elan der Freiwillig­en mischt sich aber auch zunehmend

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Fotos: AFP Die frühere Kolonialma­cht will „umfassend helfen“, versprach Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron gestern bei seinem Besuch in der libanesisc­hen Hauptstadt Beirut.
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Durch die gewaltige Bombenexpl­osion sind laut Schätzunge­n 300 000 Menschen von heute auf morgen obdachlos geworden.
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Nachdem ihre Häuser unbewohnba­r sind, haben viele Libanesen mit Sack und Pack Beirut verlassen.

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