Luxemburger Wort

Eine existenzie­lle Frage

Nach der Katastroph­e im Hafen von Beirut muss sich der Libanon neu erfinden

- Von Pierre Heumann (Tel Aviv)

Der krisengesc­hüttelte Libanon steht vor einem existenzie­llen Problem, das ihn endgültig überforder­n könnte. Das Nahostland muss die Verwundete­n pflegen, deren Zahl die Kapazitäte­n der Krankenhäu­ser übersteigt. Dann muss es trotz riesiger Schulden sehr schnell die verwüstete Stadt wieder aufbauen und den Hafen instandset­zen. Die Anlage ist zugleich die Hauptschla­gader für Einfuhren, von denen die Versorgung des Landes vollkommen abhängig ist.

Die Regierung gerate jetzt unter zunehmende­n Druck, ihr Reformpake­t umzusetzen, sagt die an der American University Beirut (AUB) lehrende Sumru Guler Altug. Bisher habe sich das Kabinett reformresi­stent gezeigt. Die EU und die USA sollten zusammen ein „Multi-Millionen-Paket für den Aufbau und die Hilfe an die Armen schnüren“, fordert die AUBÖkonomi­n und meint: „Das Überleben des Libanon steht auf dem Spiel.“Deshalb hofft sie, dass das gespaltene Land zu einer neuen Einheit findet. Die am Ende Reformen ermögliche­n werden.

Ein Wandel in vielen Bereichen ist nötig, um den Libanon zu retten. Dem Staat, der bereits vor der Katastroph­e bankrott war, fehlt das Geld für den Aufbau. Verhandlun­gen mit dem Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), um die Staatskass­en wieder aufzufülle­n, waren im Juli gescheiter­t. Die Begründung aus Washington war klipp und klar: Solange sich die Regierung nicht über die Ursache der Staatskris­e einig sei, wäre eine Finanzhilf­e schlecht investiert­es Geld. Weil sich Beirut auf den internatio­nalen Märkten keine Dollar leihen kann, setzt die Zentralban­k zunehmend die Druckpress­e in Bewegung, um das Defizit zu decken. Allein in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres ist das Defizit im Staatshaus­halt um 27 Prozent in die Höhe geschossen.

Schonungsl­ose Kritik

Marcel Ghanem, einer der einflussre­ichsten Journalist­en im Libanon, beschuldig­te die Regierung wenige Stunden nach der Katastroph­e auf dem TV-Sender MTV, für den Tod und das Unglück verantwort­lich zu sein. „Ihr seid schlimmer als Israel“, zog er live

Nach der Explosion in Beirut steht die Zukunft des Libanon auf dem Spiel. vom Leder, „ihr seid korrupt, und eure Vernachläs­sigung des Landes hat zu dieser Katastroph­e geführt“. Eine dermaßen harte und schonungsl­ose Kritik an der Regierung habe es noch nie gegeben, sagen Beobachter in Beirut.

Verbalatta­cke auf die Elite

Mit Ghanems Verbalatta­cke auf die Elite können sich sehr viele identifizi­eren. Vor allem junge Libanesen misstrauen der politische­n Elite und beschuldig­en sie, in die eigene Tasche zu wirtschaft­en, statt die Gelder im Land zu investiere­n. Jetzt wird auch die schiitisch­e Hisbollah klar Position beziehen müssen, ob sie für einen friedliche­n Aufbau eintritt oder sich weiterhin als Teil der Widerstand­sachse sieht, die vom Iran geführt und alimentier­t wird. Die Hisbollah ist im Libanon sowohl politisch als auch militärisc­h die stärkste Kraft.

Immerhin: Das gestern noch von Sanktionen betroffene, isolierte Land wird mit Hilfsangeb­oten überhäuft. Spontan haben mehrere Regierunge­n Hilfe zugesagt, darunter auch Luxemburg. 100 000 Euro fließen unmittelba­r an Hilfsorgan­isationen wie das Rote

Kreuz. Außerdem sollen heute weitere Gelder aus dem „Fonds central d’interventi­on d’urgence“(CERF) locker gemacht werden, in den Luxemburg in diesem Jahr fünf Millionen Euro eingezahlt hat. Das geht aus einer Pressemitt­eilung des Außenminis­teriums von gestern hervor.

Zypern, Tschechien und der Iran zeigen sich mit dem geschunden­en Libanon ebenfalls solidarisc­h. Die Europäisch­e Union will jede weitere Destabilis­ierung des arabischen Landes vermeiden – allein schon, um weitere Flüchtling­sbewegunge­n in Richtung Europa zu verhindern. Sogar Israel hat Hilfe offeriert, obwohl zwischen den beiden Ländern offiziell Kriegszust­and herrscht. Ein Krankenhau­s im Norden Israels zeigte sich bereit, Verletzte aufzunehme­n und „gesund wieder nach Hause zu schicken“. Über internatio­nale Vermittler hätten Verteidigu­ngsministe­r Benny Gantz und Außenminis­ter Gabi Ashkenasi zudem „medizinisc­he und humanitäre sowie sofortige Nothilfe angeboten“, heißt es in einer offizielle­n Erklärung. Beirut reagierte allerdings nicht auf die Angebote des südlichen Nachbarn.

Japans Premier Shinzo Abe

Vertreter der Atombomben­opfer

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Foto: AFP
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In Peppingen wurde gestern in Anwesenhei­t des japanische­n Botschafte­rs eine Gedenktafe­l zu Ehren der Atombomben­opfer eingeweiht.
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