Die guten Dummen schlagen zurück
„La Odisea de los Giles“ist genau der Film, den die Welt jetzt braucht – eine Wohltat für die Seele
Einen guten Dummen findet man immer. Wie man ihn erkennt? An seinem unerschütterlichen Glauben an das Gute und das, wofür es steht, also Vertrauen in Anstand, Empathie, Solidarität und seine Mitmenschen – kurz alles, was im Jahr 2020 wie blanke, ja unfassbare dämliche Naivität anmutet. Mittel zu beantragen. Doch dann kommt die Wirtschaftskrise, die 2001 Argentinien erschüttert, dazwischen und der Traum scheint geplatzt. Bis die Kleinanleger herausfinden, dass sie eigentlich betrogen wurden und ihr Geld in einem Safe mitten in der Pampa aufbewahrt wird. Wo andere sich damit abfinden, überlistet und angeschmiert worden zu sein, sehen die „Giles“, die guten Dummen, endlich den Augenblick gekommen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – und der Ungerechtigkeit des Lebens endgültig Einhalt zu gebieten.
Die zündende Idee wie, liefert Fermín eine alte Videokassette von „How to Steal a Million“, William Wylers Film, in dem Peter O’Toole und Audrey Hepburn sich als Langfinger betätigen.
Der Plan klingt einfach: das gestohlene Geld wieder zurückstehlen. Doch die Umsetzung gestaltet sich abenteuerlich und hält natürlich so manche Überraschung für die Neukriminellen bereit ...
Fabelhafter Film für Krisenzeiten – mit Gute-Laune-Garantie
„La Odisea de los Giles“kommt zwar nicht umhin, sich gängiger Klischees – gutgläubige Anleger, „böse“Banker und Anwälte – zu bedienen, und seine Figuren wie Standardmodelle im Katalog der Dämlichkeit aussehen zu lassen, er tut dies jedoch mit einer herzhaft unbeschwerten Leichtigkeit, deren Charme der Zuschauer sich einfach nicht entziehen kann.
Wir fühlen mit all diesen Losern – und wünschen uns aus tiefstem Herzen, dass sie endlich einmal in ihrem Leben Gerechtigkeit erfahren! Dass der kritische Blick des Zuschauers dabei vollends – und zudem ohne schlechtes Gewissen! – ausgehebelt wird, liegt nicht allein an dem eigenen, Corona-bedingt noch um ein Vielfaches gesteigerten Wunsch nach Gerechtsein, sondern maßgeblich am empathischen Blick des Regisseurs auf diese Ansammlung von allzu menschlichen Schwächen.
Borenszteins Geheimrezept hier: Der sympathische Mix aus 08/15-Gutgläubigkeit wird mit einer beißend-derben „gemeinen“Sprache untermalt, die in spritzigen Dialogen daherkommt und das Ganze wie ein modernes Wirtschaftsmärchen aussehen lässt.
Dem Zuschauer bekannt dürfte in der in ihrer Charakterzeichnung bemerkenswert ausgewogenen Besetzung dürfte hierzulande (wenn überhaupt) nur Ricardo Darín, durch den oscarpreisgekrönten „El Secreto de Sus Ojos“(übrigens ebenfalls eine SacheriAdaptierung) sein. Die bunte Bande von Losern aller Alterskategorien erinnert nicht nur an Voltaires Candide, sie kommt auch wie dessen würdige Erben und perfekte Sympathieträger des 21. Jahrhunderts daher.
Dabei muss das Klischeehafte in der Darstellung als humorvolle Übertreibung und indirekte Kritik an genau denen, die sie so sehen, verstanden werden – und bei armen Landeiern kommt man scheinbar selbst 2020 nicht um faule Zähne, einfältiges Dreinschauen und unmodisch assortierte Kleidung umhin.
„La Odisea de los Giles“ist dennoch nicht nur eine filmische Fabel, sondern auch ein fabelhafter Film – und eine wahre Wohltat für die Seele.
Wenn es medizinische Verschreibungen für Leinwandsitzungen gäbe, müsste er auch deshalb aktuell ganz oben auf der Liste stehen: Also nichts wie hin, denn raus kommt man garantiert mit einem breiten Grinsen und mindesten 100 463 Tonnen Last weniger auf dem Gemüt!