„Die Kirche war in der Krise kaum sichtbar“
Gegen das HI-Virus hat Priester Stefan Hippler in Südafrika große Erfolge erzielt – die das Corona-Virus jetzt bedroht
„God, AIDS, Africa & HOPE“– das sind die Hauptthemen des katholischen Priesters Stefan Hippler. Der 60-jährige, der gebürtig aus dem benachbarten Bitburg stammt, lebt seit 22 Jahren in Kapstadt, wo er die Hilfsorganisation Hope Cape Town aufbaute, die sich um von HIV betroffene Menschen kümmert. Hippler gilt als Querdenker. In konservativen Kirchenkreisen eckt er seit Jahren an, weil er sich für eine lebensnahere Sexualmoral einsetzt und sich seit Jahren für die Verbreitung von Kondomen einsetzt, um das HI-Virus zu bekämpfen. Damit hat der Geistliche große Erfolge erzielt, die ein anderes Virus nun zunichte machen könnte. Im Interview spricht Hippler über die angespannte Lage Südafrikas im Schatten von Corona.
Stefan Hippler, wie geht es Ihnen?
Bescheiden. Wie es einem im Lockdown in Südafrika mit all den Herausforderungen so geht.
Das kann ich mir vorstellen. Die Alltagsrestriktionen sind ja deutlich schärfer als in Luxemburg.
Das ist wahr. Wir haben sie Mitte Juli noch mal verschärft bekommen mit Ausgehverbot und Alkoholverbot. Zigaretten haben wir seit Monaten nicht mehr im Verkauf – zumindest offiziell nicht. Es ist ein ziemliches Durcheinander mit vielen sozialen und politischen Herausforderungen.
Wie wirkt sich die Situation auf Ihre Arbeit bei der Organisation Hope Cape Town aus?
Hope Cape Town gehört zu den wichtigen Diensten, wir haben sozusagen seit Beginn der Pandemie durchgearbeitet. Unsere Ärzte, unsere Krankenschwestern, unsere Sozialarbeiterinnen, unsere Ergotherapeutinnen, unsere Gesundheitsarbeiter sind permanent im Einsatz vor Ort. Irgendwann setzt natürlich Erschöpfung ein; man muss Mitarbeiter immer wieder motivieren und schauen, dass es ihnen gut geht. Gott sei Dank haben sich nur wenige infiziert, bis jetzt alle leicht.
Allgemein wird damit gerechnet, dass die Lage in Südafrika in den kommenden Monaten noch viel dramatischer werden könnte.
Ich weiß, dass es in Europa Horrorberichte über Südafrika gibt. Die sind in gewisser Weise richtig, in gewisser Weise falsch. Zumindest in unserer Provinz West-Kap haben wir relativ niedrige Infiziertenzahlen, auch sehr niedrige Zahlen, was Tote angeht. Langsam gehen die Ansteckungen herunter. Was prophezeit worden ist, dass wir medizinisch den Bach runtergehen, ist zumindest in unserer Provinz West-Kap nicht der Fall. Wir haben wesentlich mehr Intensivbetten, als wir je gebraucht haben. Allerdings haben in der Phase des harten Lockdowns, die dazu genutzt werden sollte, sich vorzubereiten, viele andere Provinzen nichts getan. Wir haben in der Provinz Ost-Kap einen kompletten Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Stefan Hippler (o.r.) lebt seit 22 Jahren in Südafrika. Der Bitburger gründete die Hilfsorganisation Hope Cape Town, die sich um HIVInfizierte kümmert.
Ministerium dann verkündet, dass sie immerhin neun Leute ausbezahlt haben.
Das klingt unfassbar ...
Das ist hart! Dass wir nicht viel mehr Hungertote haben, liegt daran, dass NGOs versucht haben, zu retten, was zu retten ist. Wir haben seitens der NGOs zweimal vor Gericht gehen müssen, um zu verhindern, dass die Sozialministerin Suppenküchen in den Townships verbietet, weil diese nicht den Standards in Corona-Zeiten entsprechen würden.
Wie ist denn die Lage in den Townships? Haben die Menschen dort Zugang zu den Gesundheitssystemen?
Das ist problematisch. Den Menschen wurde gesagt: Geh nur zur Klinik, wenn du wirklich krank bist. Die ganzen anderen Krankheiten wie HIV oder Tuberkulose sind vernachlässigt worden; die Leute sind nicht ihre Medikamente abholen gegangen oder zur Nachsorge gekommen. Wir sehen momentan einen Anstieg bei all diesen Krankheiten.
Das heißt, man kann davon ausgehen, dass es Langzeitfolgen für den gesamten Gesundheitssektor geben wird?
Das ist korrekt. Wir sehen wieder HIV-positiv geborene Babys. Beim System der Vorsorge hatten wir riesige Fortschritte gemacht in Südafrika. Die harte Arbeit, die da hineingesteckt wurde, ist jetzt mit einem Fragezeichen versehen. Das wirft das Land wohl ein Jahrzehnt zurück. In den Townships wurde das Militär eingesetzt, um die Leute zu Hause zu halten. Es kam wieder die alte Apartheitsmentalität hoch. Es gab einen Tag im Lockdown, da sind mehr Leute an Polizeibrutalität als an Covid gestorben.
Wie gehen Sie als Priester mit der Situation um?
Die Kirchen waren im Lockdown zu, es gab so gut wie keine Gottesdienste. Wer es sich leisten konnte, ist auf die virtuellen Gottesdienste ausgewichen, von denen ich kein Freund bin, denn sie sind sehr priesterzentriert und auf Dauer schwierig. Auch die pastorale Arbeit ist zusammengebrochen: Die Priester wurden angewiesen, keine Sterbebegleitung, keine Taufen, keine Trauungen mehr zu machen; Beerdigungen werden auch jetzt nur noch unter ganz strikten Bedingungen durchgeführt. Der priesterliche Dienst wurde sozusagen ausgesetzt. Die Kirche selbst ist in der Krise so gut wie nicht sichtbar gewesen. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Es gab keine koordinierte Hilfestellung oder Aktion, die von den Kirchen ausging.
Zu den Menschen rausgehen war aus Gründen des Seuchenschutzes schwierig. Drin bleiben war ebenfalls keine gute Option.
Wie will man dieses Dilemma lösen?
Das ist ein Spagat. Wissen Sie, in der Corona-Krise braucht man für alles eine Sondergenehmigung. Wenn wir darauf gewartet hätten, bis wir alle Unterschriften beisammen gehabt hätten, hätte auch Hope Cape Town nicht arbeiten können. Wir haben uns diese Papiere selbst ausgestellt und einfach angefangen zu arbeiten. Was mir gefehlt hat, ist Fantasie.
Und wenn man gesehen hat, wie Menschen zu Schaden gekommen sind, weil die Polizeikräfte so brutal durchgegriffen haben, dann hätte ich zumindest erwartet, die Stimme der Kirche zu hören. Selbst das ist nicht passiert. Ich mache nicht dem kleinen Pfarrer einen Vorwurf. Ich bin ja auch vorsichtig gewesen und nicht überall hingegangen, um mich zu schützen. Aber es gibt eine große Grauzone, in der man Dinge mit Vorsicht tun kann, ohne sich selbst anzustecken. Und trotzdem
Es sollte die Kirche zum Nachdenken bringen, dass sie nicht als systemrelevant wahrgenommen worden ist.
den Menschen das Gefühl geben: Wir sind für dich da. Es sollte die Kirche zum Nachdenken bringen, dass sie nicht als systemrelevant wahrgenommen worden ist. Die Kirche hat eine riesige Chance verpasst, Neues zu entwickeln und Altes wiederzuentdecken.
Was wäre das zum Beispiel?
Wir hätten die Chance wahrnehmen können, andere Formen der Frömmigkeit, wie die Hauskirche im Familienkreis, neu zu bewerten. Diese Pfarrerzentriertheit, die sich in Eucharistiefeiern im Internet gezeigt hat, hätte man in den Hintergrund stellen können. Ich habe in dieser Zeit gemerkt, wie sehr man Kirche sein kann, indem man sozial tätig ist. Wir ernähren bis jetzt noch bis zu 1 000 Kinder und Familien pro Tag in verschiedenen Townships. Diese praktische Theologie – also den Menschen nicht durch fromme Worte, sondern wirklich durch Taten spüren zu lassen, was wir glauben –, das ist mir noch mal bewusst geworden, wie wichtig das ist.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie mittelfristig vor großen Problemen stehen.
Das ist richtig. Gott sei Dank bin ich Sohn eines Bankers, von daher habe ich vorgesorgt. Hope Cape Town trifft das nicht so stark wie andere NGOs, aber die Spendenbasis ist eingebrochen. Viele, die normalerweise spenden, kämpfen um die eigene Existenz. Wir sind in einer bescheidenen Situation, wir bekommen keine staatlichen Hilfen. Und trotzdem denke ich: Ich möchte momentan nirgendwo anders sein.
Zweite Lesung (Röm 9, 1–5)
Ich wünschte selbst verflucht zu sein, um meiner Brüder willen
Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom.
Schwestern und Brüder!
Ich sage in Christus die Wahrheit und lüge nicht und mein Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geist: Ich bin voll Trauer, unablässig leidet mein