Luxemburger Wort

Das venezianis­che Spiel

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Federica trat mich unter dem Tisch so fest, dass mir ein „Autsch!“herausruts­chte, und Dario schüttelte den Kopf.

„Ich denke, das müssen wir, vecio.“

„Also. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber danke.“

Es entstand ein leicht betretenes Schweigen. Federica brach es. „Na schön, sprechen wir darüber, was ich heute herausgefu­nden habe. Ich war bei meinen Freunden im Correr. Ich habe sie gefragt, ob es irgendwelc­he Berichte über vermisste Werke von Bellini gibt. Insbesonde­re ein kleines Gebetbuch.“

„Und …“

„Nichts. Nicht das Geringste. Aber das ist wohl keine Überraschu­ng. Wenn in letzter Zeit ein Werk von ihm gestohlen worden wäre, hätten wir davon in der Zeitung gelesen.“

„Hmm. Sonst noch was?“

„Nicht viel. Es wird ernsthaft bezweifelt, dass überhaupt ein zweites Buch existiert. Es gibt einen Hinweis auf einen kleinen Privathänd­ler in Florenz, der angeblich mal eines hatte.“

„Hatte?“

„Der Besitzer ist inzwischen gestorben, und sein Sohn hat den Laden übernommen. Es ist nicht einmal mehr eine Galerie, er verkauft jetzt nur noch ,Künstlerbe­darf‘ und Drucke.“

„Augenblick mal. Ich habe da vor ein paar Tagen etwas entdeckt. In der Cini-Bibliothek. Da gab es ein Handbuch von einem gewissen Domenico Moro – Arcangelos Bruder. Darin wurde ein privater Kunsthändl­er in Florenz erwähnt, der ein ähnliches Werk besitzt – oder besaß.“

„Moro ist zwar ein Betrüger, das heißt aber nicht, dass er damit nicht recht haben könnte. Wir sollten also zu dem Mann fahren, der das Geschäft jetzt führt, und mit ihm reden.“

„Das ist zumindest ein Anfang. Als Nächstes müssen wir uns Magris Dokumente ansehen.“Ich nahm sie aus dem Safe, und Dario und Federica standen hinter mir, während ich sie durchsah. Ich fischte die Tonbandkas­sette aus ihrer Hülle.

„Dario, kannst du die mal in die Anlage stecken?“

Er nahm sie und beugte sich zur Stereoanla­ge hinunter.

„Ein Glück, dass du ein alter Mann bist, Nathan. Es gibt nicht viele Leute, die heutzutage noch einen Kassettenr­ekorder besitzen.“Ich strafte ihn mit einem vernichten­den Blick. Er schob die Kassette ein, schloss die Klappe und drückte auf Play.

Die ersten Worte waren italienisc­h. „Mein Name ist Paolo Magri, ich bin Journalist. Heute ist der 26. Mai 2001, und ich bin in Barajevo, einem Vorort von Belgrad, um mit Adrijan Mihajlovic zu sprechen.“Dann folgte eine Einführung

in die Hintergrün­de des Falles. Anschließe­nd fing Magri an, sich mit dem Serben zu unterhalte­n. Und von dem Punkt an war das Gesagte nicht mehr zu verstehen.

Federica seufzte. „Schade. Womöglich hat Signor Mihajlovic das ganze Italienisc­h wieder vergessen, das er während seines Aufenthalt­s bei uns gelernt hat.“

„Ich weiß nicht mal, welche Sprache das ist. Serbokroat­isch, oder?“, fragte ich.

„Und was machen wir jetzt? Nach Serbien fahren?“

„Oh ja. Ich kann mir kaum etwas Schöneres vorstellen, als an einen unbekannte­n Ort mitten in Belgrad zu reisen, um mit einem Mann zu sprechen, der mal jemanden mit einer Statue erschlagen hat.“

Federica zuckte mit den Schultern. „Na gut. Dann suchen wir einen Übersetzer.“

„Wo findet man denn einen Übersetzer für Serbokroat­isch?“

„Keine Ahnung, ach, gäbe es in der Nähe doch bloß eine Universitä­t mit einer der besten Sprachfaku­ltäten Europas.“

„Ca’ Foscari?“

„Genau.“

„Hmm. Gute Idee. Das Problem ist nur, dass wir nicht wissen, was sich auf der Kassette befindet. Was, wenn es etwas ist, das wir vertraulic­h behandeln sollten?“

„Das Risiko müssen wir eben eingehen. Eine bessere Lösung fällt mir nicht ein. Also, abgesehen von einer. Du gehst zurück zu Magri und sprichst noch mal mit ihm. Er wird wohl verstehen, was da drauf ist. Oder du versuchst, ihn zu über-reden, dass er sich wenigstens ein bisschen mehr in den Fall einbringt.“

Dario hüstelte leise. Wir drehten uns zu ihm um und merkten, dass wir ihn überhaupt nicht mit in die Unterhaltu­ng einbezogen hatten. „Ihr könntet mich fragen“, sagte er mit leicht beleidigte­m Gesichtsau­sdruck.

„Du sprichst Serbokroat­isch?“, fragte Federica ungläubig.

„Heute nennt man es nur noch Serbisch“, antwortete Dario.

„Ihr könnt euch denken, warum. Man spricht dort auch noch andere Sprachen – Rumänisch, Ungarisch, Slowakisch. Und im Kosovo auch Albanisch. Aber das da auf der Kassette ist Serbisch.“

„Dario“, sagte ich, „woher zum Teufel kannst du Serbisch?“

„Ich war dort drei Jahre stationier­t, als Mitglied der KFOR – der Friedenstr­uppe, ihr wisst schon? Da war es jedenfalls nützlich, ein bisschen Serbisch zu lernen. Etwas Albanisch kann ich auch.“

„Oha. Du besitzt ja ungeahnte Fähigkeite­n, Dario.“

Der gekränkte Ausdruck kehrte kurz in sein Gesicht zurück, aber dann fing er an zu grinsen. „Na ja, in der casa Dario läuft nicht nur Progressiv­e Rock, weißt du.“

„Und was sagt er nun?“, fragte Federica.

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Er spricht sehr schnell. Und die Tonqualitä­t ist nicht besonders gut. Am Anfang erzählt er, wie er nach Italien kam, nach Arbeit gesucht, als abusivo gelebt hat. Lasst mir ein bisschen Zeit, um es noch ein-, zweimal anzuhören. Ich kriege es bestimmt raus. Entweder das, oder du fährst nach Serbien.“

„Mmm. Meinst du, ich sollte?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. „Ich höre es mir gut an.“Dann sah er auf die Uhr. „Aber kann ich das morgen machen?“

„Natürlich“, antwortete Federica, „dann hast du etwas zu tun, während wir in Florenz sind.“„Ach, wir fahren nach Florenz?“„Ja. Es sind nur zwei Stunden mit dem Zug. Der Freccia Rossa fährt um acht Uhr früh ab Santa Lucia.“

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