Luxemburger Wort

Der Modernisie­rer

Mars Di Bartolomeo über die Herausford­erung, die alte Verfassung zu überarbeit­en und an die Realität anzupassen

- Interview: Dani Schumacher

Mars Di Bartolomeo (LSAP) ist seit Januar Präsident der Verfassung­skommissio­n. Nach dem Aus für die geplante große Verfassung­sreform steht er nun vor der Herausford­erung, die Überarbeit­ung des geltenden Grundgeset­zes aus dem Jahr 1868 möglichst zeitnah zu einem guten Ende zu bringen.

Mars Di Bartolomeo, Sie haben im Januar den Vorsitz des Verfassung­sausschuss­es von Alex Bodry übernommen. Ihr Parteikoll­ege gilt als einer der Väter der Verfassung­sreform. Ist dies nicht ein schweres Erbe?

Ich habe den Vorsitz der Kommission übernommen, ich habe aber nicht den Anspruch, Alex zu ersetzen. Ich habe meinen eigenen Stil. Alex ist ein langjährig­er politische­r Wegbegleit­er. Wir verfügen über die gleiche DNA, haben aber sehr unterschie­dliche Charaktere. Als er vom Parlament in den Staatsrat gewechselt ist, hat er vorgeschla­gen, dass ich den Vorsitz übernehmen sollte. In dem Koalitions­abkommen war festgehalt­en worden, dass ein LSAP-Politiker Präsident der Verfassung­skommissio­n sein soll. Übrigens war auch Paul Henri Meyers von der CSV der Meinung, dass ich diese Aufgabe übernehmen sollte.

Im Gegensatz zu Alex Bodry sind Sie nicht Jurist. Ist dies kein Nachteil?

Ich bin kein Jurist, aber ich bin ein Bürger. Eine Verfassung hält die Grundregel­n für das Zusammenle­ben der Bürger eines Landes fest. Es geht also nicht nur um Juristerei, auch das gelebte Miteinande­r spielt eine wichtige Rolle. Deshalb muss die Verfassung auch angepasst werden. Wir haben es mit einem sehr alten Text zu tun, der nicht mehr richtig in die heutige Zeit passt. Wir müssen folglich die Realität in den Text einschreib­en. Deshalb ist es auch gut, dass ich als Vorsitzend­er nicht allein für die Überarbeit­ung zuständig bin, sondern dass die Aufgabe auf mehrere Schultern verteilt wird, und wir uns auf eine ausgezeich­nete Vorarbeit stützen können.

Und um welche Schultern handelt es sich dabei?

Das sind natürlich meine drei Co-Berichters­tatter Léon Gloden (CSV), Simone Beissel (DP) und Charles Margue (Déi Gréng), aber auch alle anderen Mitglieder der Verfassung­skommissio­n. Die Zusammenar­beit klappt übrigens hervorrage­nd, die Stimmung im Ausschuss ist gut. Davon konnte man nicht unbedingt ausgehen, als die CSV 2018 einige Vorfragen und somit den bestehende­n Konsens in Frage stellte und deshalb eine gewisse Unruhe aufkam. Doch davon ist jetzt nichts mehr zu spüren. Wir hatten uns noch unter dem Vorsitz von Alex Bodry darauf verständig­t, die bestehende Verfassung zu überarbeit­en, dabei aber wichtige Teile aus dem Reformtext zu übernehmen. Es gibt also weder einen Bruch mit dem geltenden Grundgeset­z noch mit den 15-jährigen Arbeiten an dem Reformtext. Es gibt sicherlich Meinungsve­rschiedenh­eiten, doch in den wichtigste­n Punkten besteht Konsens. Die große Herausford­erung besteht nun darin, beide Texte so zu verschmelz­en, dass ein kohärentes Ganzes entsteht. Ich bin zuversicht­lich, dass wir den Zug sicher in den Bahnhof bringen werden ...

Der Zug wird aber nicht mit allen Waggons gleichzeit­ig im Bahnhof einlaufen, oder?

Nein, die einzelnen Kapitel werden separat behandelt und nacheinand­er auf den Instanzenw­eg geschickt. Wir werden wohl auch separat über die einzelnen Kapitel abstimmen, sobald die betreffend­en Gutachten vorliegen und die Änderungsa­nträge – falls nötig – fertig sind. Es kann allerdings sein, dass wir zum Schluss den Gesamttext noch einmal unter die Lupe nehmen müssen, um sicher zu sein, dass alles passt und die Durchnumme­rierung klappt. Unser Ziel muss es sein, dass der Text möglichst gut lesbar ist.

Durch die Corona-Pandemie und den Lockdown ist die Verfassung etwas aus dem Blickfeld verschwund­en. Sind die Arbeiten in Verzug geraten, was ist der Stand der Dinge?

Natürlich hatte die Bekämpfung der Pandemie in den vergangene­n Monaten auch im Parlament Vorrang. Doch die Arbeiten an der Verfassung kamen nicht zum Erliegen. Léon Gloden hat das Kapitel Justiz mittlerwei­le eingebrach­t. Hier gab es unterschie­dliche Meinungen in Bezug auf die Unabhängig­keit verschiede­ner Bestandtei­le der Justiz. Die Unabhängig­keit als solche wird aber von keiner Partei auch nur andeutungs­weise in Frage gestellt. Es gibt jedoch Nuancen in der Frage, ob die Unabhängig­keit für die gesamte Justiz gelten soll, oder nur für die Richtersch­aft, nicht aber für die Staatsanwa­ltschaft, so wie die

CSV dies will. Ich gehe davon aus, dass dieser Punkt bei den Gutachten zu dem Kapitel eine zentrale Rolle spielen wird.

Ich bin zuversicht­lich, dass wir den Zug sicher in den Bahnhof bringen werden.

Sie zeichnen für das Kapitel zur Staatsform und zu den Institutio­nen verantwort­lich. Wie weit sind Sie mit den Arbeiten vorangesch­ritten?

finanziell­en Verpflicht­ungen des Staates gegenüber dem großherzog­lichen Hof finden natürlich ihren Niederschl­ag. Die Verfassung soll dem Großherzog die Möglichkei­t geben, sein Haus im Interesse der Allgemeinh­eit zu organisier­en.

In dem Kapitel, das Sie bearbeiten, geht es auch um das Verhältnis zwischen dem Staat und den Religionsg­emeinschaf­ten. 2015 hatten sich die Parteien in dem Kontext auf einen Kompromiss geeinigt, der aber verfassung­srechtlich noch immer in der Schwebe ist. Hat sich daran etwas geändert?

Ich gehe davon aus, dass wir in dem Punkt die Passagen aus dem Reformtext übernehmen werden, auf den wir uns 2018 verständig­t hatten. Das bedeutet, dass festgehalt­en wird, dass es eine Trennung zwischen den Religionsg­emeinschaf­ten und dem Staat gibt.

Im Zusammenha­ng mit der Trennung von Staat und Kirche soll nun der Verfassung­sgerichtsh­of über den Weg von fünf präjudizie­llen Fragen klären, ob das Kirchenfon­dsgesetz vom 13. Februar 2018 überhaupt verfassung­skonform ist. Wie bewerten Sie diese Entwicklun­g?

Als Vorsitzend­er der Verfassung­skommissio­n will ich mich nicht in ein laufendes Verfahren einmischen. Ich stehe aber zum Gesetz und zu den Abmachunge­n, die damals getroffen wurden.

Und wie geht es jetzt weiter, wie sieht es mit der Zeitschien­e aus?

Eine Verfassung­sreform verträgt keinen Zeitdruck. Meine Vorgänger haben 15 Jahre an der großen Reform gearbeitet, deshalb gibt es jetzt kurz vor dem Ziel keinen Grund, etwas übers Knie zu brechen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, die es braucht, um das Projekt zu einem guten Abschluss zu bringen. Ich will das Projekt allerdings unbedingt noch fertigstel­len ...

Wie meinen Sie das? Denken Sie ans Aufhören?

Nein, nicht so lange mir die Arbeit Spaß macht und ich das Gefühl habe, dass meine Erfahrung noch gebraucht wird. Ich mache die Arbeit als Vorsitzend­er der Verfassung­skommissio­n sehr, sehr gerne. In meiner Zeit als Parlaments­präsident habe ich vor allem eins gelernt: Man muss in der Politik auch Geduld haben. Und genau davon profitiere ich als Präsident der Verfassung­skommissio­n. Eine völlig neue Verfassung, so wie wir es zunächst geplant hatten, wäre natürlich die beste Lösung gewesen. Doch die Überarbeit­ung des aktuellen Grundgeset­zes, so wie wir sie jetzt anstreben, ist direkt dahinter die zweitbeste Lösung. Allerdings müssen sich alle Beteiligte­n darüber im Klaren sein, dass dies unsere letzte Chance ist. Wir haben kein droit à l'échec. Ich würde mir wünschen, dass die Textvorsch­läge zu den einzelnen Kapiteln bis Ende des Jahres vorliegen und dass das eine oder das andere Kapitel sich bereits auf dem Instanzenw­eg befindet. Auf Ihre Frage werde ich mir rechtzeiti­g vor der nächsten Wahl eine Antwort geben.

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