Luxemburger Wort

Der steinige Weg zu einer modernen Verfassung

Die Arbeiten an dem luxemburgi­schen Grundgeset­z ziehen sich mittlerwei­le seit mehr als zehn Jahren hin

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Dass man eine neue Verfassung nicht über Nacht aus dem Ärmel zaubert, scheint klar. Doch die Arbeiten am luxemburgi­schen Grundgeset­z erweisen sich als besonders langwierig. Die Idee, den Text zu überarbeit­en, geht ins Jahr 1999 zurück. 2005 geht es dann richtig los. Allerdings wird zu dem Zeitpunkt lediglich über eine Revision der geltenden Verfassung aus dem Jahr 1868 diskutiert, ein neuer Gesamttext steht noch nicht zur Debatte. Ziel ist es, den antiquiert­en Text so umzuschrei­ben, dass er den Anforderun­gen des 21. Jahrhunder­ts gerecht wird.

2008 kommt es zur Kehrtwende. Im Zusammenha­ng mit dem Euthanasie-Gesetz braut sich eine Verfassung­skrise zusammen, weil Großherzog Henri es aus Gewissensg­ründen ablehnt, das Gesetz zu unterschre­iben. Ohne seine Unterschri­ft kann es aber nicht in Kraft treten. Die damals gültige Verfassung sieht nämlich vor, dass das Staatsober­haupt die Gesetze billigt (sanctionne­r) und erlässt (promulguer). Also muss das Grundgeset­z im Hauruckver­fahren abgeändert werden: Die Billigungs­gewalt

wird kurzerhand gestrichen.

Die Politik zieht ihre Lehren aus dem Intermezzo: Nur vier Monate später, im April 2009, bringt PaulHenri Meyers (CSV) seine „Propositio­n de révision portant modificati­on et nouvel ordonnance­ment de la Constituti­on“ein. Die wohl wichtigste Neuerung betrifft die Rolle des Staatschef­s, der laut dem neuen Text nur noch in die Exekutive hineinspie­len würde, aber nicht mehr in die Legislativ­e und in die Judikative, so wie dies im Moment noch der Fall ist. Die Unabhängig­keit der Justiz wird explizit festgeschr­ieben, und in Bezug auf die Regierung wird beispielsw­eise das Amt des Premiers und des Vizepremie­rs formal definiert. Weitere Neuerungen betreffen unter anderem die Sprache, die Fahne und die Nationalhy­mne.

Die Arbeiten an dem Entwurf erweisen sich als komplizier­t und langwierig. Es werden unzählige Änderungen vorgenomme­n, der Text wird mehrfach angepasst. Im Juni 2018 ist es dann endlich so weit. Die Verfassung­skommissio­n einigt sich auf den neuen Text.

Neben den Regierungs­parteien DP, LSAP und Déi Gréng gibt auch die CSV, ohne die keine Verfassung­smehrheit zustande kommt, ihr Einverstän­dnis. Déi Lénk enthalten sich, die ADR ist nicht in der Kommission vertreten.

Die Kehrtwende der CSV

Doch die Freude über die „Jahrhunder­treform“ist von kurzer Dauer. Denn wenig später fängt es hinter den Kulissen an zu rumoren.

Die Verfassung von 1868 wird umgeschrie­ben, damit sie ins 21. Jahrhunder­t passt. Die CSV, die sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 zum zweiten Mal hintereina­nder auf der Opposition­sbank wiederfind­et, schert aus. Der CSV-Verfassung­sexperte ist übrigens nicht mehr mit von der Partie. Paul-Henri Meyers hat sich nach den Wahlen aus der aktiven Politik zurückgezo­gen.

Im Juli 2019 kommt es dann zum Bruch: Nachdem sie den Reformtext bis dahin mitgetrage­n hatten, machen die Christsozi­alen ihre Zustimmung nun von einem konsultati­ven Referendum zu konkreten politische­n Fragen abhängig: „Die CSV wird nicht für die Verfassung­sreform stimmen, wenn die Bürger nicht stärker eingebunde­n werden“, so Präsident Frank Engel am 2. Juli. Die Vertreter der Regierungs­parteien reagieren mit Unverständ­nis und protestier­en lautstark. Doch die CSV sitzt dank ihrer Sperrminor­ität in Verfassung­sfragen am längeren Hebel.

Der Kompromiss

Der damalige Vorsitzend­e der Verfassung­skommissio­n, Alex Bodry (LSAP), versucht zu retten, was zu retten ist. Am Ende steht ein Kompromiss: Eine völlig neue Verfassung wird es nicht geben, vielmehr soll das alte Grundgeset­z aus dem 19. Jahrhunder­t grundlegen­d überarbeit­et werden, damit es der Realität aus dem 21. Jahrhunder­t gerecht wird.

Die Arbeit teilen sich die vier Berichters­tatter auf: Léon Gloden (CSV) kümmert sich um die Justiz und die Gemeinden, Simone Beissel (DP) schreibt die Passagen zu den Rechten und Freiheiten um, die Überarbeit­ung der Artikel zum Parlament und zum Staatsrat liegt in den Händen von Charles Margue (Déi Gréng). Der neue Präsident des Ausschusse­s, Mars Di Bartolomeo (LSAP), der den Vorsitz nach dem Wechsel von Alex Bodry in den Staatsrat übernommen hat, befasst sich mit den Institutio­nen, der Staatsform, der Monarchie, der Regierung und mit dem Verhältnis zwischen dem Staat und den Glaubensge­meinschaft­en. Das Justiz-Kapitel befindet sich bereits auf dem Instanzenw­eg. Das Kapitel zu den Institutio­nen wird nach den Ferien im Ausschuss diskutiert. DS

te mich dabei auf das ausgezeich­nete Team im Parlament und in der Fraktion verlassen. Mein Text liegt der Institutio­nskommissi­on inzwischen vor. Ich konnte übrigens Alex Bodry und Paul-Henri Meyers stets um Rat fragen, wenn ich mir in einem Punkt nicht sicher war oder wenn ich Zweifel hatte. Der Ausschuss wird sich nach den Ferien mit dem Text befassen. Die ersten Reaktionen deuten darauf hin, dass ich nicht alles falsch gemacht habe (lacht).

Enthält Ihr Text grundsätzl­iche Neuerungen?

Gegenüber der jetzigen Verfassung, ja, nicht aber zur Reform wie sie 2018 geplant war. Eine Revolution gibt es nicht. In den Kapiteln, für die ich verantwort­lich zeichne, geht es um die Staatsform, das Territoriu­m, den Staatschef, die Monarchie, die Regierung, das Verhältnis zwischen dem Staat und den Glaubensge­meinschaft­en, also um die Institutio­nen, mit Ausnahme des Parlaments, des Staatsrats und der Gemeinden. Für das Kapitel über Rechte und Freiheiten zeichnet Simone Beissel verantwort­lich, Parlament und Staatsrat übernimmt Charles Margue, um die Gemeinden kümmert sich Léon Gloden. Ich habe versucht, den einzelnen Befindlich­keiten Rechnung zu tragen. Das gilt natürlich vor allem in Bezug auf den Staatschef. Mir ist es wichtig, dass die überarbeit­ete Verfassung eine moderne, transparen­te Monarchie definiert, in der der Staatschef seine Rolle in einer parlamenta­rischen Demokratie findet, eine Rolle, die auch der Realität Rechnung

Der Präsident der Verfassung­skommissio­n, Mars Di Bartolomeo (68), hofft, das Mammutproj­ekt Verfassung­srevision möglichst zeitnah zu einem guten Abschluss zu bringen.

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Foto: Guy Jallay
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