Luxemburger Wort

Hürde vor dem Hohen Haus?

- Von Marc Lies*

Aktuell verteilen sich die 60 Abgeordnet­en in der Chamber auf sieben Parteien. Zum Vergleich: 82 Millionen Deutsche werden im Bundestag ebenfalls durch sieben Parteien vertreten. Während die CSV als größte Fraktion 21 Mitglieder zählt, haben jeweils zwei Abgeordnet­e die Parteikart­e von Déi Lénk und den Piraten. Seit 2013 wird Luxemburg erstmals in seiner Geschichte von einer Koalition aus drei Parteien regiert. Laut dem jüngsten Politmonit­or könnten derzeit nur noch CSV (19 Sitze) und DP (15 Sitze) eine Zweierkoal­ition bilden. Das Großherzog­tum liegt damit im europäisch­en Trend, die Parteienla­ndschaft

zersplitte­rt zusehends und das Wahlverhal­ten wird immer volatiler. In Luxemburg kommt noch hinzu, dass traditione­ll ohnehin eher „Köpfe“als Parteien gewählt werden. Persönlich­e Sympathie ist für die Wähler wichtiger als das Parteiprog­ramm. Eine Möglichkei­t, eine weitere Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft zu verhindern, wäre eine Prozenthür­de für den Einzug in das Parlament, beispielsw­eise nach deutschem Vorbild, einzuführe­n. Doch ist eine solche Maßnahme wirklich im Sinne der Demokratie, oder wird damit der Wählerwill­en eines Teils der Bevölkerun­g ignoriert?

Die Innenminis­terin hat in den vergangene­n Monaten der Corona-Krise kein überzeugen­des Bild abgegebene­n. Am Anfang der Krise schien die zuständige Ministerin sogar vollends abgetaucht gewesen zu sein. Die Gemeinden waren auf sich alleine gestellt.

Dennoch haben das Gemeindesy­ndikat Syvicol, zusammen mit den 102 Bürgermeis­tern und Schöffenrä­ten, die Lage gemeistert. Sie sorgten für eine schnelle Schließung aller öffentlich­en Infrastruk­turen. Im Handumdreh­en wurde das öffentlich­e Leben neu organisier­t.

Natürlich: Alle Entscheidu­ngsträger des öffentlich­en Lebens standen extrem unter Druck und mussten schnelle Entscheidu­ngen treffen. Dass sich das Innenminis­terium als „ministère de Tutelle“der Gemeinden jedoch weitestgeh­end aus diesem Entscheidu­ngsprozess ausklinkte, ist nicht nachvollzi­ehbar.

Maskenfrag­e: Parteilogi­k statt Gemeinwohl

Schlimmer noch: Mehr als einmal machte das Innenminis­terium den Gemeinden die Entscheidu­ngsfindung sogar noch schwerer. Die Maskenfrag­e ist hierfür ein gutes Beispiel. Um in ein einigermaß­en normales Leben zurückzuke­hren, stand das Tragen einer Maske außer Frage. Verschiede­ne, von CSV-Bürgermeis­tern geführte, Gemeinden thematisie­rten das Tragen einer Maske im öffentlich­en Raum und verteilten auch Masken an ihre Bevölkerun­g. Nach öffentlich­em Druck verschiede­ner CSV-Mandatsträ­ger entschied letztlich auch die Regierung, dass das Tragen einer Maske zur Pflicht werden sollte.

Indes: Noch einen Tag vor der offizielle­n Entscheidu­ng der Maskenpfli­cht und der Verteilung von fünf Masken pro Bürger stellte die LSAP-Innenminis­terin noch die Rechtmäßig­keit und den Sinn und Zweck der Maskenvert­eilung der Gemeinden Hesperinge­n und Mamer in Frage. Die LSAP-Parteilogi­k wurde hier über das Gemeinwohl gestellt.

Gemeindefi­nanzen: kein Rückenwind

Anderes Beispiel: die Gemeindefi­nanzen. Nachdem die staatliche­n Einnahmen in den vergangene­n Monaten weggebroch­en sind, was ebenfalls einen großen Niederschl­ag auf die Gemeindefi­nanzen mit sich bringt, ruft die Innenminis­terin die Gemeinden weiter zu antizyklis­chem Handeln auf, um die Wirtschaft anzukurbel­n.

Auf das Wegbrechen der Gemeindefi­nanzen von der CSVFraktio­n angesproch­en, reagiert die Ministerin eher evasiv und setzt sich auch innerhalb der blau-rot-grünen Regierung und Mehrheit nicht für einen annehmbare­n Ausgleich der Verluste bei den Gemeindefi­nanzen ein.

Weiteres Beispiel: der Wohnungsba­u. Im Herbst soll das Gesetz

Mit dem neuen Pacte logement will die Regierung den Anteil an erschwingl­ichen Wohnungen im Land erhöhen. Die Zahlen – besonders im Mietbereic­h – zeichnen ein verheerend­es Bild der vergangene­n Jahre. Aber die Zukunft sieht nicht unbedingt besser aus.

über den „Pacte logement 2.0“in der Abgeordnet­enkammer gestimmt werden. Bei diesem Gesetz sollen die Gemeinden mehr Verantwort­ung im Bereich des erschwingl­ichen Wohnungsba­us übernehmen. Wenn die Einnahmen den Gemeinden allerdings wegbrechen, dürfte der erschwingl­iche Wohnungsba­u nicht mehr unbedingt oben auf der Prioritäte­nliste der Gemeinden stehen. Dies wird dann eher der Bau von Schulen, Auffangstr­ukturen und sonstige Infrastruk­turen des öffentlich­en Lebens sein.

Die blau-rot-grüne Regierung wird derweil nicht müde, zu behaupten, dass der Wohnungsba­u absolute Priorität genießt. In den vergangene­n Monaten war davon wenig zu hören und noch weniger zu spüren. Die Zahlen – besonders im Mietbereic­h – zeichnen ein verheerend­es Bild der vergangene­n Jahre. Und die Zukunft sieht nicht unbedingt besser aus.

Aus diesem Grund müssen alle Kräfte gebündelt werden, um Verbesseru­ngen bewirken zu können. Die CSV-Fraktion hat ihre parlamenta­rische Arbeit, im Sinne des erschwingl­ichen Wohnungsba­us, im Laufe des vergangene­n Jahres geleistet. Mit einem 23-Punkte-Programm. Und mit nicht weniger als vier Gesetzeste­xten und neun Motionen in der Abgeordnet­enkammer. Sowohl verschiede­ne steuerlich­e Maßnahmen als auch der Miet(options)kauf sowie die Erhöhung des Anteils des „logement à coût modéré“bei einer Erweiterun­g des Bauperimet­ers sind nur einige Beispiele des CSV-Maßnahmenk­atalogs.

Vorverkauf­srecht faktisch außer Kraft

Dann wird in den kommenden Monaten auch die Sozialkris­e ihren kommunalen Niederschl­ag mit steigenden Anfragen auf Sozialhilf­e in den Sozialämte­rn finden. Das „Pacte logement 2.0“-Gesetz sieht vor, dass die Gemeinden mehr Verantwort­ung übernehmen sollen. Im Klartext bedeutet das, dass BlauRot-Grün sich einmal mehr ihrer Verantwort­ung entledigen möchte. Bevor in den Gemeinden oder von den Gemeinden allerdings gebaut werden kann, muss die jeweilige Gemeinde auch im Besitz von ausreichen­d

Grund und Boden sein. Nur so können Bauprojekt­e umgesetzt werden.

Mehr Kohäsion, Kohärenz und Mut

Das Vorkaufsre­cht stammt aus dem ersten Pacte logement. Dieses Instrument sollte den Gemeinden den Baulandkau­f erleichter­n. Doch mittlerwei­le ist faktisch das genaue Gegenteil eingetrete­n.

Die CSV-Vertreter des hauptstädt­ischen Schöffenra­ts haben dies des Öfteren angeprange­rt. Mit dem Resultat, dass die Preise der Baugrundst­ücke weiter in schier unendliche Höhen schießen. Die großherzog­liche Regierung sieht sich dennoch außerstand­e, angemessen­e Maßnahmen, sprich eine Reform der Grundsteue­r, sprich eine Definition der Preise des „logement à coût modéré“, auszuarbei­ten und umzusetzen. Mit dieser Kopf-inden-Sand-Politik werden wir die Lage nicht in den Griff bekommen.

Die Untätigkei­t der blau-rotgrünen Regierung in Sachen Baulandspe­kulation wird eine große Einflussna­hme auf die Zukunft des Wirtschaft­sstandorts Luxemburg haben. Sowohl die Wohnungsba­uproblemat­ik als auch das Erschließe­n von Gewerbeflä­chen befassen eine ganze Regierung. Das Innenminis­terium als „ministère de Tutelle“der Gemeinden ist in der Bringschul­d bezüglich der Bewertung des Grund und Boden. Ohne erschwingl­iches Bauland entstehen auch keine erschwingl­ichen Wohnungen. Durch überteuert­e Wohnungsan­gebote verliert der Wirtschaft­s- und Finanzstan­dort Luxemburg an Attraktivi­tät.

Vor allem aber werden Lebenspers­pektiven der Menschen zerstört. Vor allem von Niedrigver­dienern und immer mehr auch von der breiten Mittelschi­cht. Hier muss die Politik gegensteue­rn und nicht nur gegenreden. Sonst werden wir die Negativspi­rale nicht brechen können. Und dann besteht die Gefahr, dass am Ende auch unsere Gesellscha­ft zerbrechen kann. Dies müssen wir unter allen Umständen verhindern. Mit mehr Kohäsion und Kohärenz. Und auch mit mehr Mut!

Das „Pacte logement 2.0“-Gesetz sieht vor, dass die Gemeinden mehr Verantwort­ung übernehmen sollen. Im Klartext bedeutet das, dass Blau-Rot-Grün sich einmal mehr ihrer Verantwort­ung entledigen möchte.

Der Autor ist CSV-Abgeordnet­er und Bürgermeis­ter der Gemeinde Hesperinge­n

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