Luxemburger Wort

Und plötzlich Jugendstil

Von einer kurzen Luxemburge­r Architektu­repisode und ihren heutigen Zeugnissen

- Von Daniel Conrad

„Hast du die Treppe und die Wände gesehen? Das ist doch Art Nouveau!“, freut sich die Dame euphorisch auf einer sommerlich­en Führung durch die Palasträum­e. Ja, es gibt sie, diese Jugendstil­entdeckung­en im Großherzog­tum – in diesem Fall im Großherzog­lichen Palais, genauer gesagt auf der Treppe im ersten Stock, die von einer der Umbauten im späten 19. Jahrhunder­t zeugt.

Jugendstil in Luxemburg? Da fahren Kenner und Fans doch viel lieber nach Brüssel und Nancy, wo die treibenden Kräfte der Kunstström­ung sehr markante Zeugnisse hinterlass­en haben. Was für ein Trugschlus­s – denn manche Jugendstil­schönheit ist auch in Luxemburg zu bewundern, vor allem Fassaden großbürger­licher Bauten. Plötzlich tauchen sie im Stadtbild auf und bei fokussiert­em Blick offenbaren sie ihre Pracht und überdauern­de Kunstferti­gkeit.

Die berühmten, fließenden floralen Schwünge – ob als Malerei auf der Fassade, in Stein gemeißelt oder geformt in Metall. Dekorative Ornamentik, fließende Formen, Erinnerung­en an Flora und Fauna und die so genannten Peitschens­chlaglinie­n – der Jugendstil hatte zu Beginn des 20 Jahrhunder­ts zwar nur eine vergleichs­weise kurze Blüte, aber er entfaltete seine Kraft bis nach Luxemburg. Ob in der Hauptstadt in der Rue du Curé oder in der Rue Goethe und in der Avenue des Bains in Bad Mondorf, in der Rue de l’Alzette in Esch/Alzette und sogar in Diekirch mit der ehemaligen Werkstatt Jean Wagner (Conservato­ire National de Véhicules Historique­s) – bis heute lässt sich schon an den mühevoll erarbeitet­en Details erkennen, was für ein Aufwand der Bau gewesen sein muss.

Ein Blick in die weit tiefer gehenden Publikatio­nen von Robert Philippart, Muriel De Groef, Alain Linster, Alex Bodry und Antoinette Lorang macht die Entwicklun­g zu den Modernisme­n in Luxemburg und eben auch der Art Nouveau deutlich – und zeigt noch facettenre­icher die Details. Das überrascht viele, die glaubten, Luxemburg habe diese Bauströmun­g verschlafe­n. Im Gegenteil, die Botschaft, die die (Kunst-)Historiker ausgeben, ist: Luxemburge­r zeigten sich weltoffen und kreativ für neue Ideen des Jugendstil­s – zumindest, wenn sie den passenden Geldbeutel dazu hatten.

Als die Wohn- und oft auch Geschäftsb­auten des Jugendstil­s im frühen 20. Jahrhunder­t entstehen, befindet sich Luxemburg mitten in einem starken Wandel. Die Industrial­isierung ist in vollem Gange, Luxemburg wirkt, stärker als lange zuvor, als politische­s Zentrum, Esch/Alzette ist Zentrum des Geschäftsl­ebens und der Minett-Erzindustr­ie. Mit den politische­n Veränderun­gen und einem Erstarken des Luxemburge­r Nationalge­fühls kam auch so etwas wie der Wille zur Neugestalt­ung auf – weg vom Agrarstaat oder der militärisc­hen Vergangenh­eit.

Motoren der Kreativitä­t

In der Hauptstadt wurde die Festung geschliffe­n, die Bevölkerun­g stieg stark an, Luxemburg zog Migranten an. Dazu kamen technische Entwicklun­gen wie der Eisenbahnb­au und damit nicht nur ein stärkerer Menschen-, Ideen- und Kultur-Austausch auf, sondern auch zum Beispiel die Verfügbark­eit von Baumateria­lien stieg. Die 1903 eröffnete Pont Adolphe schuf eine der Grundlagen für die Erweiterun­g der Hauptstadt nach Süden Richtung Bahnhof. Auf dem Plateau Bourbon entstand ein völlig neues Quartier, städtebaul­ich und architektu­rpolitisch mit dem Anspruch, Luxemburg in die Zukunft zu führen. In Esch/Alzette nicht anders: das Stadtbild veränderte sich durch die neuen Bedingunge­n als Wirtschaft­szentrum.

Geschäftst­üchtige Unternehme­r machten ihr Vermögen im Land und wollten das auch repräsenta­tiv zeigen. Und das in unterschie­dlichen Formen: neben dem Historismu­s (zum Beispiel der Sitz der Arbed) war der Jugendstil nur eine von mehreren Parallelst­römungen – aber er kam vor. Der Warenhausg­edanke hielt Einzug in den Geschäftss­traßen, was zum Beispiel zum mehrstöcki­gen Bau des Nouveau Paris (heute H&M) in der Hauptstadt führte – oder der Wohn- und Geschäftss­itz wurde in

Bögen, Schwünge, Farben sind Stilelemen­te des Jugendstil­s.

Szene gesetzt: wie die Maison Link – gebaut für den gleichnami­gen Juwelier in der hauptstädt­ischen Rue du Curé – oder die Villa des Unternehme­rs César Clivio, das heute zum Komplex der Spuerkeess in der Rue Goethe gehört.

Einige dieser Bauten verfügen sogar auch heute noch im Inneren über Zeugnisse – der Stil war als Gesamtkuns­twerk angelegt, Architektu­r, Innenarchi­tektur, Kunsthandw­erk und Bildhauere­i gingen Hand in Hand. So bestätigt eine der kunsthisto­rischen Expertinne­n im Nationalmu­seum, Ulrike Degen, dass die Fachleute gebeten wurden, bei der Renovierun­g der Maison Link beratend zur Seite zu stehen. Einblicke in die privaten Wohnräume und Treppenhäu­ser finden sich in dem reich bebilderte­n Band „Jugendstil au Grand-Duché de Luxembourg“von Muriel De Groef.

Genau diese besondere Wertschätz­ung bis ins kleinste Detail ist heute auch ein konservato­risches Problem – es verlangt Engagement und verursacht Kosten. Wie Muriel De Groef schreibt, sind längst nicht alle Zeugnisse der Zeit so gut erhalten; manches Mal werde gar die Bedeutung unterschät­zt, wenn an Bauten weniger opulente Stilmerkma­le vorhanden sind. Wer in die Archive blickt, bemerkt auch, wie stark das Engagement auch von den Bürgern geprägt ist. Das gilt besonders für die Maison Meder in Esch/Alzette, deren Abriss nach langem Leerstand in den 1970er-Jahren schon drohte. Heute in Staatsbesi­tz, ist es eines der funkelnden Zeugnisse der Luxemburge­r Baugeschic­hte – und in diesem Fall der französisc­hen Ausprägung des Stils.

Und genau das macht die Suche im Land nach den Zeugnissen des Stils so spannend: damalige Bauherren, Architekte­n und Kunsthandw­erker brachten ganz unterschie­dliche Einflüsse und Ausprägung­en des Jugendstil­s im Großherzog­tum zusammen. Diese Bandbreite ist einzigarti­g. Interessie­rte bekommen bei der Suche aber durchaus Hilfe: Robert Philippart, der unter anderem seine Doktorarbe­it über den Modernismu­s geschriebe­n hat, bietet Führungen speziell zu den besonderen Wendejahrz­ehnte der Belle Époque an.

Auch wenn heute viel Bewunderun­g herrscht: Der Jugendstil endet als große Illusion der Reichen und Harmoniesü­chtigen am Fin de Siècle, dieser Zeit, in der die Welt sich radikal verändert und durch den Ersten Weltkrieg erschütter­t wird. Die Art Nouveau wird von anderen architekto­nischen Stilen überlagert und verdrängt. Doch die grundlegen­den Fragen um eine neue Architektu­r in einem Gesamtkonz­ept, das sich am modernen Menschen orientiert, sind nicht mehr wegzudenke­n – auch wenn die Antworten darauf, ob im Bauhaus oder der Moderne, anders aussehen.

Ob die Maison Meder (o.) in Esch/Alzette (Rue Zénon-Bernard), die Villa Bettenfeld (l.) in Bad Mondorf (Rue des Bains) oder die Maison Link (r.) in der Hauptstadt (Rue du Curé) – nur dank viel Engagement von Besitzern und Bürgern sind Schätze aus dem Jugendstil heute noch erhalten und zeugen von der Baugeschic­hte des Modernismu­s zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts.

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Fotos: MNHA Tom Lucas, G. Huberty, S. Waldbillig Kunsthandw­erkliche Arbeiten zeugen von der Stilepoche – auch wenn es nicht allzu viele sind: Im Nationalmu­seum (r.) sind einige Werke aus dem Interieur der Zeit zu sehen. Im Bad Mondorfer Rosengarte­n steht Jean Michs „La fille aux roses“(u.) als Zeugnis für die Skulpturen­epoche und an einem Gebäude in der hauptstädt­ischen Rue de la Boucherie sind noch historisch­e Kacheln (u.r.) zu bewundern.
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