Luxemburger Wort

Was ist Jugendstil?

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Ende des 19. Jahrhunder­ts setzte sich von England und dessen „arts and craft“-Bewegung, die das Kunsthandw­erk gegen Massenprod­uktion und den rückwärts gewandten Historismu­s ablehnte, der Jugendstil als künstleris­che Strömung durch und verbreitet­e sich als „Art Nouveau“in Frankreich und Belgien, als „Jugendstil“in Deutschlan­d, „Sezessions­stil“in Österreich oder „Stile Liberty“in Italien über ganz Europa. Mit dem Ersten Weltkrieg ebbt der Jugendstil ab, wird überlagert und schließlic­h durch die Art Déco und die Moderne verdrängt. Den Vertretern des Jugendstil­s ging es um die geistige Erneuerung aller Lebensbere­iche, die Entdeckung des Kunstvolle­n, Unverdorbe­nen, Unverfälsc­hten.

Wie erkennt man Jugendstil? Besonders an den wellig fließenden Linien und Formen am Bau nach dem Vorbild der Natur – ob Pflanzen, besonders auch Blüten wie Rosen, Mohnblumen, Disteln oder auch Tiere wie der Schwan, der Pfau und der Kranich. Manche Linien erinnern an wehende Haare. Frauenfigu­ren und mythische Darstellun­gen prägen dargestell­te Szenen. Die Bauten und deren Elemente wirken eher „gewachsen“als gebaut. Sanfte Giebelschw­ünge, Erkertürme, großformat­ige, oft farbige Glasfenste­r betonen die Fassaden, Hauseingän­ge und der Einsatz von Arbeitstec­hniken bei bereits gewohnten Baumateria­lien wie Holz und Stein, aber besonders auch die damals neuen Materialie­n wie verarbeite­tes Eisen, Stahl als Trägermate­rial und Glas als zentrales Element spürbar. Fassaden und Innenräume werden bunt mit Bemalungen, über die Kratztechn­iken des Sgraffito oder Kachelkuns­t im Stil verziert. Die Stilrichtu­ng versteht sich als Gesamtkuns­twerk, bei der nicht nur die Architektu­r, sondern auch im gleichbere­chtigten Schultersc­hluss mit der Plastik, der Malerei und dem Kunstgewer­be ein individual­isiertes Eigenheim entsteht. Der Einsatz von vorgeferti­gten, industriel­l produziert­en Bauelement­en, die immer stärker auf dem Markt zur Verfügung stehen, werden vermieden. Detailverl­iebte Individual­isierung heißt auch, dass zum Beispiel das Sitzmobili­ar den menschlich­en Bewegungsf­unktionen angepasst wurde, kunstvolle Einrichtun­gsgegenstä­nde wie Vasen und Zierschrän­ke das Interieur veredeln und Treppenhau­sgeländer, Türen – und auch deren Klinken – über Tapeten bis zum Essbesteck im Stil angepasst werden. Nicht nur in Architektu­r, sondern auch im Design bis zur Gestaltung mit eigenen Schriftart­en und Gestaltung­en von Druckerzeu­gnissen wie Büchern, Werbeplaka­ten oder auch Zeitungsan­zeigen.

Mit der Nähe zu Nancy, Flandern und Brüssel hatte Luxemburg Zentren der „Art Nouveau“, wie die „École de Nancy“, ganz in der Nähe und deren Einflüsse – ob als Ausbildung­sstätten für Luxemburge­r Künstler oder in

Form von Gastarchit­ekten oder Handwerksk­ünstler – sind spürbar. Dazu kommen Einflüsse aus dem deutschen Jugendstil, dem Wiener Sezessions­stil und aus Italien. Letztlich entsteht im Großherzog­tum eine eigentümli­che und damit besondere Mischung des Jugendstil­s, die insbesonde­re je nach dem Geschmack des Bauherrn und dem Stil des Architekte­n variierte.

Eng mit dem Stil in Luxemburg verbundene Namen sind die Architekte­n Georges Traus, Jean-Pierre Koenig und Mathias Martin, der Bildhauer Jean Mich und der Düdelinger Maler Dominique Lang. Dazu kommen Kunsthandw­erker wie der an die Handwierke­rschoul berufene ungarische Kunstschmi­ed Etienne Galowich oder der Glasspezia­list Pierre Linster.

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Foto: AFP Die aufwendig innen und außen restaurier­te Villa Majorelle in Nancy zeigt den Stil in seiner ganzen Pracht. Die „École de Nancy“beeinfluss­te viele Künstler und Kunsthandw­erker in ganz Europa.

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