„Die alte Zora bin nicht ich …“
Zora del Buono erzählt in ihrem neuen Roman „Die Marschallin“von einem Familienverhängnis
Die 1962 geborene Schweizer Architektin, Autorin, Mitbegründerin der Meeres-Zeitschrift Mare und Kulturredakteurin Zora del Buono hat eine illustre Familiengeschichte. In ihrem neuen, gerade im Verlag C. H. Beck erschienenen Roman „Die Marschallin“erzählt sie auf packende Weise davon – von ihrer slowenischen Großmutter Zora Ostan, die mit ihrem Ehemann, dem Radiologie-Professor Pietro del Buono in Bari ein Leben als großbürgerliche Kommunistin im Widerstand gegen den Faschismus Mussolinis führt.
Zora del Buono, in Ihrem neuen Buch berichten Sie von Ihrer Großmutter und einem großen Verhängnis, einem Raubmord, der bis heute nachwirkt. Ist es schwieriger, über die eigene Familie zu berichten als über einen anderen Stoff?
Es ist immer schwierig, Verborgenes herauszuschälen oder Geheimnisse aufzudecken. Was dabei herauskommt, gefällt nicht jedem. Und wenn es die eigene Familie ist, wird es besonders heikel. Denn so, wie ich die Geschichte erzähle, würden meine Verwandten sie nicht erzählen. Deswegen bin ich froh, dass meine Lieblingscousine gesagt hat: „Ich sehe viele Dinge anders, aber du hast das gut gemacht, brava!“
In dem Buch beschreiben Sie die Charakterzüge Ihrer Großmutter, die den gleichen Vornamen wie
Sie trug und ein auf den ersten Blick paradoxal anmutendes Leben als großbürgerliche Kommunistin führte. Erkennen Sie sich in der Frau wieder, die Sie als durchaus strenge „Herrscherin der Familie“beschrieben haben?
Ich habe mich früh schon mit ihr identifiziert. Sicher auch wegen des Namens. Was mir immer gefiel: Dass sie dieses riesige Haus selbst entworfen hat. Manchmal denke ich, ich bin nur wegen dieses Hauses Architektin geworden, immer auf der Suche nach solchen Räumen. Und auch, wie sie es geführt hat: Es war ein offenes Haus, oft haben da verlorene Gestalten mit gewohnt, die gerade in der Not waren. Das mochte ich immer: Leute aufnehmen, sie ein wenig auf ihrem Weg begleiten und sie dann wieder verabschieden. Ich wohne in einer großen Wohngemeinschaft in Berlin, das gefällt mir. Im Gegensatz zu meiner Großmutter habe ich aber keine Familie, weder Geschwister noch Kinder. Ich bin also der Abschluss dieser Linie. Auch das gefällt mir. Man muss nicht alles weiterführen. Denn diese Macht und den Druck, den sie auf die Familie ausgeübt hat, war letztlich grauenhaft. Als Kind habe ich das nicht gespürt, aber für die Söhne und Schwiegertöchter war das schon schwer.
Ihre 1980 verstorbene Großmutter war eine Bewunderin des Partisanenmarschalls Josip Broz Tito und hat versucht, ihm Waffen zu liefern. Ihr Mann rettete dem späteren jugoslawischen Minister- und Staatspräsidenten als Radiologe sogar das Leben – hier kulminiert
Zeitgeschichte, wie auch in dem langen Schlussmonolog Zoras deutlich wird. Inwieweit ragen die Geschehnisse für Sie persönlich noch in die Gegenwart?
Die Familienerzählung, dass mein Großvater Tito das Leben gerettet hat, wurde etwas überhöht. Aber es zeigt sehr schön, wie die Großeltern an das Ideal des kommunistischen Jugoslawien geglaubt haben. Die Idee der Gleichheit war ihnen wichtig. Ich habe dem Buch auch das Motto eines spanischen Intellektuellen vorangestellt: „Kommunismus ist Aristokratie für alle“. Obwohl sie ausgesprochen großbürgerlich lebten, wollten sie, dass es allen Menschen so gut geht wie ihnen. Eine etwas naive Idee, die mich aber geprägt hat. Die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, die wir Tag für Tag erleben müssen, sind deprimierend. Und dagegen anzukämpfen, ist wichtig. ich und durch das Schreiben wuchs die Distanz noch.
Wie recherchierten Sie den Stoff zu diesem Buch? Und wie nah bleiben Sie an der Realität?
Kurz gesagt: Lesen, rumreisen, zuhören. Es gibt hervorragende Biografien über Mussolini und Tito, die habe ich sehr genau gelesen. Sachbücher zu europäischer Geschichte. Der Roman spielt zwischen 1919 und 1980, ich habe beim Schreiben parallel immer Bücher aus der Zeit gelesen, gerne auch Tagebücher, von Italo Calvino, Cesare Pavese, Paul Parin, Elsa Morante, auch Hemingway. Der erlebte die Isonzo-Schlachten als Sanitäter, so wie mein Großvater sie als Arzt erlebte. Aber wichtig waren vor allem die Gespräche mit meiner Tante, die in einer schwachen Minute auch das Familiengeheimnis lüftete, was sie sofort bereute. Und ich habe fast alle Schauplätze wieder besucht, wo ich ja schon als Kind war. Ich habe mit den Leuten geredet wie eine Reporterin. Ich versuchte, so viel Realität wie möglich einzubauen und dort, wo ich es nicht genauer wusste, es gut zu erfinden. Wie mein Großvater sagen würde: „Se non è vero è ben trovato.“Tito zum Beispiel war bei uns im Haus, das ist belegt. Nur wann genau, das wusste keiner. Also habe ich in der Biografie nachgeforscht und kam zu dem Schluss: Es muss an einem Vormittag im Juni 1944 gewesen sein.
„Die Marschallin“ist ein dickes Buch – deutlich umfangreicher als Ihre bisherigen Bücher. Wie lange haben Sie daran gearbeitet?
So dick ist es nicht, 370 Seiten, aber ja, eigentlich lese ich am liebsten dünne Bücher und schreibe auch gerne knapp. Ein Jahr lang habe ich recherchiert und den Plot im Kopf entwickelt, dann noch etwa anderthalb Jahre geschrieben.
...wichtig waren vor allem die Gespräche mit meiner Tante, die in einer schwachen Minute auch das Familiengeheimnis lüftete, was sie sofort bereute. Zora del Buono, Schriftstellerin
Wie wichtig sind Ihnen Ihre italienischen Wurzeln – und was können wir heute noch von Italien lernen?
Meine italienischen Wurzeln sind mir so wichtig wie meine schweizerischen und so wichtig wie die Würzelchen, die ich in Deutschland geschlagen habe. Alle drei Länder bilden einen Teil meiner Identität. Aber Italien ist ein schwieriges Land. Die Berlusconi-Jahre haben viel Unheil angerichtet, ähnlich wie die TrumpJahre in Amerika. Die Vetternwirtschaft ist grauenhaft. Die Bürokratie ein Albtraum. Das Leben in Italien ist sehr umständlich. Viele moderne und innovative junge Italiener ziehen weg und das Land blutet weiter aus. Was wir von Italien lernen können? Dass man auch im totalen Chaos noch singen kann.
Zora del Buono: „Die Marschallin“, Verlag C. H. Beck, 382 Seiten, 24 Euro.