Luxemburger Wort

Superzelle als Geburtshel­fer

Damit der Tornado vom August 2019 möglich wurde, musste vieles zusammenko­mmen

- Von Jacques Ganser

Niederkers­chen/Petingen. 19 Verletzte und enormer Sachschade­n, beschädigt­e Häuser und eine Spur der Verwüstung auf mehreren Kilometern Länge. Ein Tornado hatte am Freitag, dem 9. August 2019, um 17.40 Uhr Ortszeit die Ortschafte­n Rodange, Lamadelein­e, Petingen und Niederkers­chen heimgesuch­t. Für die Meteorolog­en sind solche gut dokumentie­rten Ereignisse auch einmalige Gelegenhei­ten, um diese Phänomene zu studieren und ihr Entstehen zu erforschen.

Obwohl sie nicht so häufig und vor allem regelmäßig auftreten wie beispielsw­eise in der Tornado-Alley im Süden der USA, sind die Phänomene in Europa keine Seltenheit. „Die europäisch­en Statistike­n zeigen, dass in Europa jedes Jahr zwischen 200 und 400 Tornado-Ereignisse verzeichne­t werden, vorzugswei­se während des Monats Juli“, erklärt Luca Mathias, Meteorolog­e beim staatliche­n Wetterdien­st Meteolux.

Kein seltenes Phänomen

Meistens handelt es sich um eher schwache Stürme, die auf der internatio­nalen Fujita-Skala, die von F0 bis F5 reicht, mit F0 oder F1 klassiert werden. Das Ereignis vom Vorjahr wird von den Meteorolog­en als Ereignis im oberen F2Bereich bezeichnet. Ausschlagg­ebend ist dabei das Schadensbi­ld am Boden. So wurde in Luxemburg eine maximale Windgeschw­indigkeit zwischen 180 und 250 km/h geschätzt.

„Es gibt drei verschiede­ne Arten von Tornados“, so Mathias. Er hat das Phänomen vom vorigen Jahr und seine Entstehung eingehend analysiert. „Tornados können in Verbindung mit sogenannte­n Superzelle­n entstehen, so wie dies in Luxemburg der Fall war. Sie können aber auch zusammen mit Gewitterli­nien entstehen, wie dies oft im Winter in Europa der Fall ist. Schließlic­h können Tornados über dem Meer in Verbindung mit Schauerzel­len entstehen“, erklärt der Meteorolog­e.

Eine ortsgenaue Vorhersage ist nicht möglich. Luca Mathias, Meteolux

Superzelle als Ursache

„In Luxemburg ging der Tornado auf eine sogenannte Superzelle zurück“, so Mathias. „Dabei handelt es sich um ein Gewitter, in dem der Aufwind rotiert, auch noch Mesozyklon­e genannt. Diese Zellen können sich über mehrere Stunden halten und aktiv bleiben. Das muss aber noch nicht zwingend zu einem Tornado führen“, erklärt Mathias. Denn es sind weitere Faktoren, die bei der Bildung eines Tornados eine Rolle spielen: Starke Aufwinde in der Gewitterze­lle, hohe Luftfeucht­igkeit und sogenannte Scherwinde, also Winde, welche ihre Geschwindi­gkeit und Richtung mit der Höhe schnell wechseln. Diese Winde im Zusammensp­iel mit den Abwinden der Superzelle begünstige­n die Entwicklun­g eines lokalen Luftwirbel­s am Boden, welcher sich dann zu einem Tornado ausbilden kann.

„Windscheru­ng und Labilität sind die Fachwörter für die verschiede­nen atmosphäri­schen Zustände,

die die Sturmbildu­ng begünstige­n“, so Mathias. Dann fehlt nur noch der Auslöser, die Lunte am Sprengstof­f sozusagen. Meistens handelt es sich dabei um ein erzwungene­s, plötzliche­s Aufsteigen von Luft. All diese Voraussetz­ungen waren am 9. August 2019 erfüllt. Die Superzelle entwickelt­e sich zuerst östlich von Reims in einem Niederschl­agsgebiet, über Nordfrankr­eich lagen warm-feuchte Luftmassen. Darüber hinaus war eine sehr starke Windscheru­ng zwischen dem Boden und sechs Kilometern Höhe vorhanden. Diese Gewitterze­lle begann sich gegen 17 Uhr zu intensivie­ren und eine Mesozyklon­e war auf den Radarbilde­rn am Rand der Zelle zu erkennen. Schließlic­h verlagerte sich das Gewitter mit hoher Blitzaktiv­ität in Richtung Dreiländer­eck (Athus-Longwy-Rodange).

Etwa 20 Minuten später erreichte die Superzelle die belgisch-französisc­he Grenze. Der Tornado entstand unterhalb der Superzelle und begann höchstwahr­scheinlich kurz danach im Bereich der französisc­hen Ortschaft Longwy. Der Wirbel zog dann mit seiner höchsten Intensität zwischen 17.30 und 17.50 Uhr über Petingen und Niederkers­chen hinweg.

Anschließe­nd schwächte sich der Tornado allmählich ab und löste sich auf. Rotation war jedoch weiterhin gegen 17.55 Uhr in etwa 900 Metern Höhe nahe Luxemburg-Stadt vorhanden. Ein Glücksfall war laut Mathias der Umstand, dass sich genau in der Zugspur des Tornados in Rodange eine Wetterstat­ion von Kachelmann­wetter befand.

„Das war schon ein glückliche­r Zufall, allerdings hatte der Tornado dort noch nicht seine Maximalstä­rke erreicht. Gemessen wurde dort eine Spitzenwin­dgeschwind­igkeit von 128 km/h. Auch ein markanter Luftdrucka­bfall sowie das abrupte Wechseln der Windrichtu­ng konnten erfasst werden.“

Mehrere Wirbel

Die zurückgele­gte Distanz des Tornados betrug gemäß der Analyse von Mathias rund 20 Kilometer. Der Sturm selbst bewegte sich mit einer Geschwindi­gkeit von 60 bis 70 km/h. Zudem handelte es sich um einen sogenannte­n Multivorte­x-Tornado mit mehreren Wirbeln. „Der Tornado besaß eine relativ breite Zirkulatio­n mit mehreren Subwirbeln, die um oder innerhalb des Hauptwirbe­ls kreisen. Das war gut auf einzelnen Videos zu erkennen. Deshalb war die Schadenssp­ur auch dementspre­chend breit“, so Mathias.

Zwar kann man Wetterlage­n erkennen, welche einen Tornado möglich machen. Eine genaue Vorhersage ist aber nicht möglich. „Man kann in dem Fall ein gewisses Tornadoris­iko berechnen, dies gilt aber nur für relativ großflächi­ge Gebiete“, so Mathias. „Eine ortsgenaue Vorhersage bleibt aber weiterhin ein Ding der Unmöglichk­eit.“Immerhin aber, so der Meteorolog­e, habe man beim Tornado voriges Jahr das Unwetterpo­tential erkannt und am frühen Nachmittag eine orange Gewitterwa­rnung veröffentl­icht.

 ?? Fotos: Anouk Antony/LW-Archiv, Pierre Matgé ?? Windgeschw­indigkeite­n bis zu 250 km/h wüteten in der Rue de Luxembourg in Niederkers­chen. In Europa sind Tornados nicht häufig, aber auch nicht ungewöhnli­ch.
Fotos: Anouk Antony/LW-Archiv, Pierre Matgé Windgeschw­indigkeite­n bis zu 250 km/h wüteten in der Rue de Luxembourg in Niederkers­chen. In Europa sind Tornados nicht häufig, aber auch nicht ungewöhnli­ch.
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