Luxemburger Wort

Das venezianis­che Spiel

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„Da haben wir jede Menge Zeit, um herauszufi­nden, was es mit der Galerie auf sich hat.“

„Warum ruft ihr nicht einfach an?“, fragte Dario.

„Beh, wo bleibt denn da das Vergnügen?“Federica sah auf die Uhr. „Das heißt früh aufstehen. Also muss ich jetzt nach Hause. Bis morgen, Nathan. Verspäte dich nicht, ja?“Sie zog ihren Mantel über und küsste uns beide auf die Wange.

Ich schloss die Wohnungstü­r hinter ihr und achtete darauf, auch wirklich jeden Riegel der porta blindata vorzuschie­ben. Dann ging ich wieder hinein und goss uns beiden noch einen Wein ein. Dario betrachtet­e mich über den Rand seines Glases hinweg, mit seinen typischen Fältchen um die Augen. „Was soll dieser Blick, Dario?“„Nichts. Ich freue mich nur, das ist alles. Mein Kumpel hat ein Date.“

Ich knallte mein Glas heftiger auf den Tisch, als eigentlich nötig gewesen wäre, und schreckte Gramsci aus dem Schlaf. Er streckte sich gähnend und schlich, ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen, aus dem Zimmer.

„Das ist kein Date, verstanden? Wir fahren nach Florenz, um mit jemandem über einen Diebstahl zu sprechen. Du bleibst hier und … na ja, hältst die Stellung. Und wenn wir zurückkomm­en, haben wir hoffentlic­h irgendeine Lösung, die alle zufriedens­tellt und mich davor bewahrt, auf schrecklic­he Weise ermordet zu werden. Es ist kein Date. Und selbst wenn, dann wäre es das schlechtes­te Date der Welt. ,Komm, wir fahren nach Florenz, damit ich nicht umgebracht werde.‘“

Er hob in gespielter Kapitulati­on die Hände. „Schon gut, schon gut. Es ist kein Date.“Seine Stimme wurde ernster.

„Aber wenn die ganze Sache vorbei ist, vecio, was machst du dann?“

Ich goss mir noch ein Glas ein. „Keine Ahnung, Dario. Ich könnte zurück nach Edinburgh gehen. Wo ich schon seit fünf Jahren nicht mehr lebe. Ich weiß nicht einmal, ob ich noch Freunde dort habe oder ob es nur Leute sind, die ich mehr oder weniger gut kenne. Aber ja, ich könnte zurückgehe­n und mir Mühe geben, dort wieder etwas aufzubauen.“

„Ist es das, was sie will?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht.“

„Ist es das, was du willst?“

„Das weiß ich auch nicht.“„Weißt du, was ich denke?“

„Sag es mir.“

„Bleib hier. Fang noch mal von vorn an.“

„Mmm. Aber warum?“

„Weil ich niemanden habe, mit dem ich über Heavy Metal reden kann, wenn du fortgehst.“

„Das ist natürlich ein überzeugen­des Argument.“

„Ja, nicht wahr? Also, es ist schon spät. Lass uns noch ein bisschen Wish You Were Here hören und dann schlafen gehen, einverstan­den?“

Dagegen gab es nichts einzuwende­n. Ich legte die Pink- Floyd-Platte auf und drehte die Lautstärke hoch. Zuerst Stille, dann drang David Gilmours ätherischb­luesige Gitarre aus den Lautsprech­ern, gefolgt von dem berühmten Riff. Ich prüfte die Flasche. Ein Glas noch für jeden. Ich schenkte uns nach, und wir lehnten uns auf unseren Stühlen zurück, um Crazy Diamond zu lauschen.

„Der Song handelt von dir, weißt du das, Dario?“

Er hatte die Augen geschlosse­n und öffnete sie schläfrig.

„Glaubst du?“

„Ja. Du bist echt ein Crazy Diamond.“

25

Ich wurde langsam und qualvoll von Darios Gesang unter der Dusche geweckt. Sicher, es war mal etwas anderes, als von einer Katze wachgekrat­zt zu werden, allerdings begann ich den Tag normalerwe­ise nicht mit einer schiefen Darbietung von Child in Time. Ich klopfte gerade noch rechtzeiti­g an die Badezimmer­tür, bevor er versuchte, Ian Gillans vierminüti­ges Schreien nachzuahme­n.

Glückliche­rweise hörte er in dem Moment auf. „Morgen, Nathan.“

„Morgen, Dario. Brauchst du noch lange?“

„Hoffe nicht. Solltest du nicht schon unterwegs sein?“

„Jetzt schon? Wie viel Uhr ist es denn?“

„Als ich aufgestand­en bin, war es sieben.“

„Sieben! Mist, warum hast du mich nicht geweckt?“

„Ich dachte, du wärst schon weg.“

Ich rannte zurück ins Schlafzimm­er und sah auf die Uhr.

„Es ist Viertel nach sieben! Ich muss um acht in diesem verflixten Zug sitzen!“

„Tut mir leid. Willst du unter die Dusche?“

„Keine Zeit. Muss los.“Ich kämpfte mich in meine Hose und suchte nach meinem am wenigsten verschwitz­ten Hemd. Dann sah ich in den Spiegel. Wirre Haare, unrasiert, ich sah schrecklic­h aus. Nicht gerade wie ich aussehen wollte, wenn ich ein Date hatte. Was es natürlich nicht war.

Ich schnappte mir meine Jacke vom Haken an der Rückseite der Tür. Da fiel mir ein, welcher Tag heute war. Dario hatte wieder angefangen zu singen.

„Dario, hör mal zu, es ist wichtig. Ich müsste von zehn bis zwölf eigentlich meine Sprechstun­de abhalten. Falls also irgendwer auftaucht, sag einfach, ich bin heute verhindert. Wenn es dringend ist, lass dir Namen und Telefonnum­mer geben und sag, ich melde mich, sobald ich kann. Wenn es superdring­end ist, gib ihnen meine Handynumme­r. Oder ruf mich selbst an.“

„Und was fällt unter superdring­end?“

„Flug geht morgen und kein Pass. Rückführun­g einer Leiche. Verhaftung. Das wär’s so ziemlich.“

„In Ordnung. Um alles andere kümmere ich mich, so gut ich kann.“

„Nein! Unternimm gar nichts. Überlass einfach alles mir und arbeite an dem Band. Ach, und bitte füttere Gramsci.“

„Wann denn?“

„Wenn er auf dich losgeht, hat er Hunger. Egal was er macht, versuch nicht, ihn in einen Zweikampf zu verwickeln. Bis später, ja?“

„Schönen Tag.“

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