Luxemburger Wort

Der vergessene Kanal im kleinen Hoffelt

Jahrhunder­tprojekt sollte um 1830 Meuse und Mosel verbinden

- Von Laurent Schüssler

Hoffelt. „Om Kanal“. Ein Straßennam­e, den man sich eventuell in den niederländ­ischen Grachtenvi­erteln erwartet hätte. Kaum aber in einem kleinen, verträumte­n Dorf im Ösling. Im nur knapp 350 Einwohner zählenden Hoffelt in der Gemeinde Wintger weiß jeder, was es mit diesem Kanal auf sich hat. Der Straßennam­e bezieht sich in der Tat auf einen Kanal, eine Wasserstra­ße also, die die Ortschaft hätte durchquere­n sollen und deren Überreste auch heute noch deutlich zu erkennen sind.

Wer weiß, welche Entwicklun­g die Ortschaft genommen hätte, wenn dieses Mammutvorh­aben, das vor knapp 200 Jahren in Angriff genommen wurde, tatsächlic­h in die Realität umgesetzt worden wäre? Damals wollte man einen Transportw­eg von der Meuse zur Mosel – und indirekt dem Rhein – bauen. Hoffelt wäre mit seinem belgischen Pendant Tavigny (beziehungs­weise Bernistap) zu einem wichtigen Teil dieser Strecke geworden.

Es war ein Projekt riesigen Ausmaßes, dessen vollständi­ge Umsetzung schließlic­h an der belgischen Revolution 1830 scheiterte. Während heutzutage auf Luxemburge­r Boden in Hoffelt nur noch die Überreste einiger Vorbereitu­ngsarbeite­n zu sehen sind, so war das Projekt auf belgischem Boden bereits weit fortgeschr­itten. Der „Canal de l'Ourthe“mit seinen zahlreiche­n Schleusen und Wärterhäus­chen zeugt noch heute davon.

Ein ambitionie­rtes Projekt

Als um 1825 die ersten Pläne zum Bau eines solchen Wasserwege­s diskutiert wurden, war Luxemburg

– wie auch das heutige Belgien – Teil der Niederland­e. Das Minettevor­kommen im Süden Luxemburgs war noch nicht entdeckt und die Industrie im Großherzog­tum steckte in den Kinderschu­hen. Luxemburg war ein Agrarstaat, in dem große Teile der Bevölkerun­g unter ärmlichen Verhältnis­sen lebten. Um dies zu ändern und die wirtschaft­lich schwachen Regionen in seinem Reich zu stärken, wollte der niederländ­ische König Wilhelm (als Wëllem I. in Personalun­ion Großherzog von Luxemburg) die Transportw­ege ausbauen. So kam es zur Idee des Baus einer Wasserstra­ße mit Liège als Ausgangspu­nkt.

In einer Zeit, als Pferde das einzige Transportm­ittel darstellte­n, wäre ein solcher Kanal ein Quantenspr­ung

gewesen. Luxemburg hätte auf dem billigen Wasserweg viele Erzeugniss­e in die Niederland­e und von dort gar nach Übersee transporti­eren können.

Man sollte sich allerdings keine falschen Vorstellun­gen machen: Der Meuse-Mosel-Kanal wäre keinesfall­s mit einem Kanal wie dem Canal du Midi in Südfrankre­ich zu vergleiche­n gewesen. Der Wasserweg zwischen Meuse und Mosel war vornehmlic­h der Schifffahr­t mit Nachen vorbehalte­n, einem kompakten, flachen Boot für die Binnenschi­fffahrt, das zwischen zwölf und 20 Meter lang ist. An den schmalsten Stellen des geplanten Kanals, der größtentei­ls über bereits bestehende Flüsse und Bäche führten sollte, war eine Breite von lediglich drei Metern bei einer Wassertief­e von zwei Metern vorgesehen.

Es war nicht nur die Länge von rund 300 Kilometern, die dieses Bauwerk als einzigarti­g für seine Zeit machte, sondern auch der Umstand, dass für seine Fertigstel­lung 684 Höhenmeter überwunden werden mussten. Der Parcours führte quer durch die Ardennen, der Weg musste mit den damaligen Werkzeugen durch teils hartes Schieferge­stein und Granit gebrochen werden. Baumaschin­en, wie man sie heute kennt, gab es nicht einmal ansatzweis­e. Lediglich Schwarzpul­ver zur Sprengung des Gesteins stand den Arbeitern zur Verfügung. Parallel zum Bau des Kanals waren mehr als 200 Schleusen vorgesehen und zehn Unterführu­ngen nötig. Eine monumental­e Herausford­erung für die damalige Zeit.

Eines der größten Probleme beim Bau stellte sich an der heutigen belgisch-luxemburgi­schen Grenze, unweit des eingangs erwähnten Dörfchens Hoffelt. Hier befindet sich die Wassersche­idelinie zwischen der Meuse und der Mosel. Diese sollte durch einen 2 500 Meter langen Tunnel zwischen Hoffelt und Bernistap in der Gemeinde Houffalize überwunden werden. Vor- beziehungs­weise hintangest­ellt waren zu beiden Seiten Gräben von jeweils rund 1,5 Kilometern Länge, um die Wasservers­orgung zu gewährleis­ten.

Hoffelt lebt

Wer heute zwischen friedlich grasenden Kühen durch die Landschaft um Hoffelt wandert, der kann sich kaum vorstellen, welche Aufbruchss­timmung vor 200 Jahren in diesem verschlafe­nen Örtchen geherrscht haben muss. Der Bau des Kanals war laut Berichten der damaligen Zeit in übergroßen Teilen der Bevölkerun­g im Ösling auf Zustimmung gestoßen. Man war sich bewusst, welche Chance dies für Land und Leute bieten würde: Die Region würde an einen wichtigen Transportw­eg angebunden werden und könnte sich entwickeln. Welche Chance für spätere Generation­en! Einen Schritt heraus aus den ärmlichen Verhältnis­sen, in denen die meisten Familien damals leben mussten.

Allerdings zog es schätzungs­weise auch bis zu 400 Tagelöhner in die Region, das Gros davon aus den Niederland­en. Das war niemand zu viel, wurde die Arbeit doch mit der Hand, der Pike und bestenfall­s einem Karren geleistet.

Doch nicht nur der eigentlich­e Bau des Kanals brachte Beschäftig­ung, sondern auch vor- oder begleitend­e Arbeiten. Um die Innenverar­beitung des Kanaltunne­ls mit Ziegeln sicherzust­ellen, wurde in Hoffelt eine Ziegelfabr­ik errichtet, die die Versorgung mit Mauerstein­en sicherstel­lte und Menschen Arbeitsplä­tze abseits der Landwirtsc­haft bot. Diese oder eine ähnliche „Zillefabri­k“existierte noch bis zu Beginn des vorigen Jahrhunder­ts in Hoffelt. Der Volksmund erzählt sich, dass Ziegel aus der damaligen Produktion später in dem einen oder anderen noch existieren­den Bauernhaus verbaut wurden.

Der Bau des Kanals zwischen der Meuse und der Mosel musste 684 Höhenmeter überwinden. Über die Clerf und die Wiltz sollten die vollgepack­ten Nachen bis nach Wasserbill­ig fahren.

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