Luxemburger Wort

Die letzte Chance

- Von Dani Schumacher

Die gewaltige Explosion im Hafen von Beirut hat einen Großteil der Stadt zerstört. Doch bevor die halbe libanesisc­he Hauptstadt in die Luft geflogen ist, hatte die politische Elite das Land konsequent in den Abgrund manövriert. Die Libanesen machen ihre Regierung daher zurecht für die Katastroph­e verantwort­lich.

Die Explosion ist nur der letzte Tropfen, den das Fass unwiderruf­lich zum Überlaufen gebracht hat. Am vergangene­n Dienstag ging nämlich viel mehr zu Bruch als Ziegelstei­ne, Beton und Glas: Die Bevölkerun­g hat den allerletzt­en Rest an Vertrauen in die Regierung verloren. Die Demonstrat­ionen der letzten Wochen und Monate waren nur ein Vorgeschma­ck, auf das, was noch kommen wird. Denn die Libanesen haben nichts mehr zu verlieren. Der Geist ist endgültig aus der Flasche, einen

Weg zurück in die „Normalität“gibt es nicht mehr. Wenn Regierungs­chef Hassan Diab nun Neuwahlen ankündigt, ist dies bestenfall­s ein Versuch, die eigene Haut und die seiner Mitstreite­r zu retten. Auch der vielleicht ehrlich gemeinte Rücktritt von Informatio­nsminister­in Manal Abdel Samad ist nicht das Papier wert, auf dem sie ihr Gesuch niedergesc­hrieben hat. Solch halbherzig­e Gesten vermögen nichts, aber auch gar nichts gegen die Wut und den Zorn der Libanesen auszuricht­en. Dazu ist es viel zu spät.

Der Libanon muss sich neu erfinden. Der Fehler liegt nämlich im System. Damit es im multikonfe­ssionellen Zedernstaa­t einigermaß­en ruhig bleibt, gilt im politische­n Machtappar­at seit jeher ein religiöser Proporz. Was theoretisc­h als Ausgleich gedacht war, gibt in Wirklichke­it den verschiede­nen Religionen und ihren jeweiligen „Schutzmäch­ten“Raum, um ihren politische­n Einfluss zu zementiere­n. Ein Teufelskre­is. Die konstante Einmischun­g von außen geht einher – und ist eng verzahnt – mit den Machtanspr­üchen der einzelnen Clans. Sie teilen sich seit Jahren die Institutio­nen ungeniert untereinan­der auf und bereichern sich auf Kosten der Bürger. Die Korruption und das politische Versagen sind nicht nur Schuld an der aktuellen Katastroph­e, sie sind auch der Grund, weshalb der libanesisc­he Staat seit langem den Grundbedür­fnissen seiner Bürger nicht mehr gerecht wird, Beispiel Gesundheit­ssystem, Strom- und Wasservers­orgung.

So lange es einigermaß­en ruhig war, hat die internatio­nale Staatengem­einschaft dem Treiben im Libanon tatenlos zugeschaut. Nun läuft die Hilfsmasch­inerie an. Der Libanon braucht Soforthilf­e, damit die Toten begraben, die Verletzten versorgt und die Obdachlose­n untergebra­cht werden können. Der Libanon braucht Hilfe, um seine zerstörte Hauptstadt nach dem Bürgerkrie­g bereits zum zweiten Mal in nur 30 Jahren wieder aufzubauen. Der Libanon braucht aber auch langfristi­g Hilfe, um das marode politische System zu reformiere­n.

Die Bereitscha­ft der Staatengem­einschaft, dem Zedernstaa­t mit vielen Millionen Euro unter die Arme zu greifen ist da. Doch es bleibt ein fauler Beigeschma­ck: Angesichts der grassieren­den Korruption stellt sich die Frage, ob die Gelder auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden.

In Beirut ging viel mehr zu Bruch als Ziegelstei­ne, Beton und Glas

Kontakt: danielle.schumacher@wort.lu

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