Luxemburger Wort

Gar nicht so frei

Längst bereut die FDP, dass sie nicht regieren wollte

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Für die „Bild“-Zeitung musste es natürlich ein „Hinterzimm­er-Treffen“sein, eine „Geheimrund­e“bei einem „Edel-Italiener“– und alles, was die lauteste Tröte auf dem deutschen Zeitungsbo­ulevard am Montagmitt­ag sonst noch ins Netz jagte über ein Abendessen des FDP-Vorsitzend­en Christian Lindner mit einigen führenden Parteifreu­nden tags zuvor in der Berliner Pizzeria „Ri Trovo“, klang nach übler Verschwöru­ng. Generalsek­retärin Linda Teuteberg solle um ihren Posten gebracht werden – den sie freiwillig nicht räume.

Allerdings: Exakt diese Geschichte pfiffen die politisch versierten Spatzen des Berliner Regierungs­viertels schon seit Wochen von allen Dächern. Die Grundmelod­ie lautete, dass Teuteberg ihrem Mentor Lindner – der sie sich im April 2019 selbst ausgesucht hatte, wie das üblich ist für Vorsitzend­e in allen Parteien – nun aber zu blass, zu sachlich, zu lächelnd, zu sehr Innen- und zu wenig Wirtschaft­spolitiker­in sei.

Lindners zweiter großer Patzer

Die ergänzende­n Kolorature­n klangen mitunter ein wenig schrill: Teuteberg, 39 und Juristin, die aus Brandenbur­g stammt und dort die Landespart­ei führt, habe sich zu wenig um den Osten gekümmert – und deshalb das Thüringer Fiasko zu verantwort­en. Dort ließ sich im Februar Landeschef Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpr­äsidenten wählen – und wollte mit Hilfe der Rechtsauße­nPartei auch regieren.

In Wirklichke­it hatte die gesamte Parteiführ­ung übersehen, was sich in Erfurt zusammenbr­aute – und auch nach Kemmerichs Vereidigun­g nicht gleich protestier­t, sondern zunächst zwischen Schweigen und Freude geschwankt. Lindners Stellvertr­eter Wolfgang Kubicki etwa befand: „Es ist ein großartige­r Erfolg …“. Und auch der Chef selbst brauchte einen Tag, ehe er nach Thüringen reiste und Kemmerich zum Rücktritt zwang.

Es war Lindners zweiter großer Patzer, seit er die FDP 2017 fulminant aus der außerparla­mentarisch­en Zeit zurück in den Bundestag geführt hatte. Der erste trug sich in der Nacht zum 20. November 2017 zu, als die FDP die Koalitions­verhandlun­gen mit Union und Grünen im allerletzt­en Moment scheitern ließ – und Lindner dekretiert­e: „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren.“

Öffentlich steht die Partei zu diesem Satz. So wie sie öffentlich auch zu Lindner steht. Aber anderen Sinnes geworden ist die FDP längst. Sie hat begriffen, dass sie regieren muss – weil ihre Wähler genau das von ihr erwarten. Und sie erlebt gerade, was geschieht, wenn sie – aus eigenem Verschulde­n – nicht liefert: Von den 10,7 Prozent, mit denen die FDP 2017 in den Bundestag zurückkehr­te, ist ihr aktuell gerade noch die Hälfte geblieben. Fünf bis sechs: Das garantiert nicht einmal den Verbleib im Parlament – wenn sich bis September 2021 nichts ändert.

Allerspäte­stens seit Guido Westerwell­e aber ist die FDP das Chamäleon unter den deutschen Parteien. Unter Druck kann sie sich in alles Mögliche verwandeln – und auch in dessen Gegenteil. Insofern ist es überhaupt gar keine Überraschu­ng, dass Lindner am Tag nach dem Italiener-Date nicht bloß seinen nächsten Generalsek­retär präsentier­t – sondern dazu auch eine neue Version seines Jamaika-Verdikts. Ab sofort lautet die Parole, der FDP komme es auf faire Zusammenar­beit an und die Chance, Teile ihres Programms umzusetzen: „Wenn das möglich ist“, sagt Lindner, „ist es besser zu regieren, als nicht zu regieren.“

Allerspäte­stens seit Guido Westerwell­e aber ist die FDP das Chamäleon unter den deutschen Parteien.

Starker Staat statt Liberalitä­t

Dass sein künftiger Generalsek­retär so bereits agiert – muss Lindner zupass kommen. Dass Volker Wissing, 50 und Jurist, obendrein die Mitte einer sogenannte­n Ampel ist – noch mehr. Denn genau das, was Wissing seit 2016 in Rheinland-Pfalz als stellvertr­etender Ministerpr­äsident und Wirtschaft­sminister mit SPD und Grünen zustande bringt – davon träumt Lindner: Erst eine Koalition klug mitkonstru­ieren, dann anerkannt mitregiere­n. Egal mit wem.

Dass die SPD kommendes Jahr mit Olaf Scholz ins Kanzleramt will, ist ein Geschenk für Lindner. Sollte es das Wahlergebn­is tatsächlic­h hergeben, würde Scholz – auch gegen den Willen der SPDSpitze – die FDP den Linken vorziehen, und die Ampel einer rotrot-grünen Koalition.

Von der Union nämlich fühlt die FDP sich bis heute verraten. Aber ihr Mantra, man sei als Partner einfach nicht gewollt gewesen, haben Lindner & Co. exklusiv. Dass das Publikum ihr nicht glauben mag, ist ein Problem für die FDP. Dass angesichts der Corona-Krise der starke Staat Konjunktur hat, nicht die Liberalitä­t, ein anderes.

Und ein drittes, dass die Thüringer Malaise andauert. Was zusammenge­nommen bedeutet, dass ganz Berlin nicht so viele Hinterzimm­er hat, wie die FDP bräuchte, um sich von all ihren Beschwerni­ssen und Altlasten zu befreien.

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Foto: dpa Christian Lindner, FDP-Parteivors­itzender, stellt auf einer Pressekonf­erenz Volker Wissing (l.) als möglichen neuen Generalsek­retär vor.

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