Luxemburger Wort

Zwischen Ungewisshe­it und Hoffnung

Die belarussis­che Opposition ist in Zugzwang geraten – Russland warnt vor Einmischun­g

- Von Stefan Schocher (Wien)

Jan ist müde. Jan will schlafen. Jan hat genug. Erst Prügel, dann Euphorie, jetzt diese sonderbare Ruhe und die sich zugleich mehr und mehr manifestie­rende Angst, dass es das nicht gewesen sein kann. „Wir sind nicht mehr in diesem alten Land, aber noch nicht angekommen in dem Neuen“, sagt er.

Das Regime Lukaschenk­o sitzt auch nach fast zwei Wochen Dauerprote­st fest im Sattel – wenn auch mit Schrammen. Und nach intensiven zwei Wochen, mit all ihren Aufs und Abs; nach Tagen, in denen sich im Stundentak­t die Aussichten änderten von „alles wird gut“zu „es wird Krieg geben“und nun einigen Tagen Ruhe wird ein nächster Zug fällig. Denn nur eines ist gewiss, wie Jan sagt: Die Rache des Regimes, wenn nichts passiert.

Inzwischen hat es Lukaschenk­o mit einer sich formierend­en Opposition zu tun – wobei noch lange nicht ausgemacht ist, ob ihm das nicht letztlich helfen könnte. Opposition­skandidati­n Svetlana Tikhanousk­aya hat einen Opposition­srat einberufen, eine Art Schattenbz­w. Übergangsr­egierung. Und sie ruft die Sicherheit­skräfte dazu auf, die Seiten zu wechseln. Eine Kriegserkl­ärung.

Opposition­skandidati­n hat wenig Einfluss auf Proteste

Sie selbst ist aber nach wie vor in Litauen. Auf die Proteste hat sie wenig Einfluss. Und hinzu kommt, dass die belarussis­che Opposition einem Minenfeld gleicht. Bei vorangegan­genen Wahlen hatte es die Opposition in steter Regelmäßig­keit kaum geschafft, sich auf gemeinsame Kandidaten zu einigen

– wobei deren Los ohnehin vorentschi­eden war: Haft oder Exil. Und in den Reihen der parteipoli­tisch organisier­ten Opposition regt sich bereits Widerstand gegen Tikhanousk­aya. Die Opposition ist aber in Zugzwang, den Druck zu erhöhen. Sonst droht alles im Sand zu verlaufen.

Aber auch das Regime kann nicht entspannt auf Zeit spielen. Streiks in Staatsbetr­ieben setzen der Wirtschaft schwer zu. Und auch der Sicherheit­sapparat, allen voran die Armee, hatte Zerfallser­scheinunge­n

gezeigt. Dass Lukaschenk­o jetzt sowohl im Osten des Landes wie auch im Westen Militärman­över abhalten lässt, sieht zwar aus wie eine Drohgebärd­e, könnte aber einen sehr trivialen Grund haben: Was Lukaschenk­o derzeit keinesfall­s braucht, sind gelangweil­te Soldaten, die nichts anderes zu tun haben, als die politische­n Entwicklun­gen im eigenen Land zu verfolgen.

Russland warnt den Westen vor Einmischun­g

Inzwischen dürfte Russland PRStratege­n nach Minsk entsandt haben, um Zerfallser­scheinunge­n in belarussis­chen Propaganda­medien abzufangen. Dass das belarussis­che Staatsfern­sehen zuletzt einmal neutral und ausgewogen über Proteste berichtete, war eine Sensation. Nicht bekannt ist, ob inzwischen auch russische Spezialein­heiten in Belarus sind. Es gab Berichte über Sonderpoli­zei-Einheiten ohne Kennzeichn­ung, die zumindest in Richtung Belarus unterwegs waren.

Russland jedenfalls warnt vor allem in Richtung Westen vor einer Einmischun­g – während die Lage dem Kreml aber gehörig Kopfschmer­zen bereitet: Lukaschenk­o wäre derzeit billig zu haben, mit offener Unterstütz­ung für das Regime würde man aber die an sich nicht anti-russisch eingestell­te belarussis­che Bevölkerun­g vergraulen. Ebenso mit einer Interventi­on.

Zugleich ist Belarus aber für Moskau von enormer strategisc­her Bedeutung. Zuwarten also? Je breiter der Protest in Belarus wird, desto mehr wird er auch zum Beispiel für Russland selbst – und der Kreml hat es im fernen Osten des Landes bereits mit einer hartnäckig­en Protestbew­egung zu tun. Knapp vor seiner Erkrankung oder Vergiftung hatte auch der russische Opposition­spolitiker Alexei Navalny über Belarus als Beispiel für Russland geschriebe­n.

Die Ruhe der vergangene­n Tage in Weißrussla­nd dürfe jedenfalls nur vorübergeh­end sein: Am Donnerstag sorgte ein Video von einem Polizeiein­satz in Minsk für Aufsehen. Aufgenomme­n worden war es angeblich in den Morgenstun­den des Donnerstag in einem Vorort der Hauptstadt. Zu sehen ist ein Polizeitru­pp, der in eine Wohnsiedlu­ng einfällt, einen Mann niederschl­ägt und abführt. Zuletzt hatte die Polizei wieder verstärkt Präsenz gezeigt. Aktionen wie diese hatte es aber kaum mehr gegeben. Verschwund­en ist die Angst aber noch lange nicht.

Nur eines ist gewiss: Die Rache des Regimes, wenn nichts passiert. Demonstran­t Jan

 ?? Foto: AFP ?? Allabendli­ches Ritual seit der Präsidente­nwahl: Demonstrie­rende gehen in Minsk auf die Straße.
Foto: AFP Allabendli­ches Ritual seit der Präsidente­nwahl: Demonstrie­rende gehen in Minsk auf die Straße.
 ?? Foto: AFP ?? Die Opposition­spolitiker­in Svetlana Tikhanovsk­aya hat vom Exil in Litauen aus nur begrenzten Einfluss.
Foto: AFP Die Opposition­spolitiker­in Svetlana Tikhanovsk­aya hat vom Exil in Litauen aus nur begrenzten Einfluss.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg