„So einen Druck gab es noch nie“
Die in Luxemburg lebende Demo-Organisatorin Lali Maisuradze über die Lage in ihrem Heimatland Belarus
Auch in Luxemburg gehen Menschen regelmäßig auf die Straße, um gegen das belarussische Regime zu demonstrieren. Die 30-jährige Weißrussin Lali Maisuradze, die seit sechs Jahren in Luxemburg lebt und im Bankenwesen arbeitet, ist die Organisatorin der Kundgebungen. Die nächste findet am Sonntag, um 16 Uhr, an der Gëlle Fra statt.
Frau Maisuradze, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen.
Natürlich, sehr gerne. Ich bin seit zwei Wochen nur mit Belarus beschäftigt.
Das heißt, Sie sind binnen kürzester Zeit zur politisch aktiven Person geworden?
Ja. Ich habe mich zwar immer für Politik interessiert, aber ich war nie diejenige, die etwas organisiert. Ich bin jetzt sehr aktiv und habe mir diese Woche Urlaub genommen, um mich ganz auf diese Sache konzentrieren zu können.
Wie reagiert die belarussische Community auf die Aktionen?
Die hiesige Community ist recht klein, aber zu unserer größten Versammlung sind etwa 60 Personen gekommen. Es gibt eine Gruppe von etwa 20 Leuten, die immer da sind. Wir sind letzten Sonntag zu fünft nach Den Haag gefahren, um dort eine große Kundgebung mit 700 Teilnehmern zu unterstützen. Und es gibt natürlich auch Weißrussen in Luxemburg, die zufrieden mit dem bestehenden Zustand sind; die kommen nicht zu unseren Demos.
Was sind denn Ihre zentralen Forderungen?
Das sind drei Dinge. Wir wollen, dass Präsident Lukaschenko abtritt. Wir wollen, dass neue, unabhängig kontrollierte Wahlen angesetzt werden. Und wir wollen unbedingt erreichen, dass alle Leute, die sich wegen unterschiedlicher Meinungen zum Regime in politischer Haft befinden, freigelassen werden. Seit der Präsidentschaftswahl am 9. August sind mehr als 6 000 Leute festgenommen worden. 80 davon sind verschwunden – das bedeutet, sie sind tot. Die Menschen, die jetzt verhaftet worden sind, werden sehr schlecht behandelt. Frauen werden vergewaltigt, Männer zusammengeschlagen; die Ärzte zeigen Bilder und erzählen darüber, was gerade vorfällt. Viele Frauen werden nie mehr Mutter sein können. Alle Leute, die das getan haben und noch immer tun, müssen identifiziert und bestraft werden!
Glauben Sie, dass es angesichts des hohen Drucks aus In- und Ausland zu Neuwahlen in Weißrussland kommen wird?
Ich will positiv bleiben. Die EU hat offiziell erklärt, Lukaschenko nicht als Präsidenten anzunehmen und Sanktionen gegen seine hohen Regierungsvertreter zu erlassen. Ich hoffe, dass es zu Veränderungen kommt. So einen Druck wie jetzt gab es in Weißrussland noch nie: Alle Bereiche der Gesellschaft gehen raus auf die Straße, die Schulen, die Fabriken, die Theater. Die EU unterstützt die Proteste finanziell und politisch, daher fühlen sich die Leute etwas sicherer. Aber jetzt hat Lukaschenko angekündigt, dass er das Bankenwesen unter seine Kontrolle bringen will und keine Überweisungen aus dem Ausland mehr möglich sein sollen. Ich habe das vorausgesehen. Deshalb habe ich meiner Schwester schon letzte Woche Geld überwiesen, das sie abgehoben hat, damit sie die nächsten drei Monate Bargeld hat und ruhig leben kann.
Machen Sie sich Sorgen um Ihre Familie, die in Weißrussland lebt?
Ja, natürlich. Sie sind momentan in Sicherheit, aber man weiß trotzdem nie, wie das ausgehen wird. Wenn eine neue Regierung gewählt wird, wird meine Familie sicher ein gutes Leben haben. Aber wenn alles so bleibt ... Ich denke aber, das kann nicht sein, denn diese Sache ist sehr international geworden. Lukaschenko wird genau beobachtet; er kann nicht einfach wieder die Leute in Gefängnisse stecken.