Luxemburger Wort

„So einen Druck gab es noch nie“

Die in Luxemburg lebende Demo-Organisato­rin Lali Maisuradze über die Lage in ihrem Heimatland Belarus

- Interview: Michael Merten

Auch in Luxemburg gehen Menschen regelmäßig auf die Straße, um gegen das belarussis­che Regime zu demonstrie­ren. Die 30-jährige Weißrussin Lali Maisuradze, die seit sechs Jahren in Luxemburg lebt und im Bankenwese­n arbeitet, ist die Organisato­rin der Kundgebung­en. Die nächste findet am Sonntag, um 16 Uhr, an der Gëlle Fra statt.

Frau Maisuradze, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen.

Natürlich, sehr gerne. Ich bin seit zwei Wochen nur mit Belarus beschäftig­t.

Das heißt, Sie sind binnen kürzester Zeit zur politisch aktiven Person geworden?

Ja. Ich habe mich zwar immer für Politik interessie­rt, aber ich war nie diejenige, die etwas organisier­t. Ich bin jetzt sehr aktiv und habe mir diese Woche Urlaub genommen, um mich ganz auf diese Sache konzentrie­ren zu können.

Wie reagiert die belarussis­che Community auf die Aktionen?

Die hiesige Community ist recht klein, aber zu unserer größten Versammlun­g sind etwa 60 Personen gekommen. Es gibt eine Gruppe von etwa 20 Leuten, die immer da sind. Wir sind letzten Sonntag zu fünft nach Den Haag gefahren, um dort eine große Kundgebung mit 700 Teilnehmer­n zu unterstütz­en. Und es gibt natürlich auch Weißrussen in Luxemburg, die zufrieden mit dem bestehende­n Zustand sind; die kommen nicht zu unseren Demos.

Was sind denn Ihre zentralen Forderunge­n?

Das sind drei Dinge. Wir wollen, dass Präsident Lukaschenk­o abtritt. Wir wollen, dass neue, unabhängig kontrollie­rte Wahlen angesetzt werden. Und wir wollen unbedingt erreichen, dass alle Leute, die sich wegen unterschie­dlicher Meinungen zum Regime in politische­r Haft befinden, freigelass­en werden. Seit der Präsidents­chaftswahl am 9. August sind mehr als 6 000 Leute festgenomm­en worden. 80 davon sind verschwund­en – das bedeutet, sie sind tot. Die Menschen, die jetzt verhaftet worden sind, werden sehr schlecht behandelt. Frauen werden vergewalti­gt, Männer zusammenge­schlagen; die Ärzte zeigen Bilder und erzählen darüber, was gerade vorfällt. Viele Frauen werden nie mehr Mutter sein können. Alle Leute, die das getan haben und noch immer tun, müssen identifizi­ert und bestraft werden!

Glauben Sie, dass es angesichts des hohen Drucks aus In- und Ausland zu Neuwahlen in Weißrussla­nd kommen wird?

Ich will positiv bleiben. Die EU hat offiziell erklärt, Lukaschenk­o nicht als Präsidente­n anzunehmen und Sanktionen gegen seine hohen Regierungs­vertreter zu erlassen. Ich hoffe, dass es zu Veränderun­gen kommt. So einen Druck wie jetzt gab es in Weißrussla­nd noch nie: Alle Bereiche der Gesellscha­ft gehen raus auf die Straße, die Schulen, die Fabriken, die Theater. Die EU unterstütz­t die Proteste finanziell und politisch, daher fühlen sich die Leute etwas sicherer. Aber jetzt hat Lukaschenk­o angekündig­t, dass er das Bankenwese­n unter seine Kontrolle bringen will und keine Überweisun­gen aus dem Ausland mehr möglich sein sollen. Ich habe das vorausgese­hen. Deshalb habe ich meiner Schwester schon letzte Woche Geld überwiesen, das sie abgehoben hat, damit sie die nächsten drei Monate Bargeld hat und ruhig leben kann.

Machen Sie sich Sorgen um Ihre Familie, die in Weißrussla­nd lebt?

Ja, natürlich. Sie sind momentan in Sicherheit, aber man weiß trotzdem nie, wie das ausgehen wird. Wenn eine neue Regierung gewählt wird, wird meine Familie sicher ein gutes Leben haben. Aber wenn alles so bleibt ... Ich denke aber, das kann nicht sein, denn diese Sache ist sehr internatio­nal geworden. Lukaschenk­o wird genau beobachtet; er kann nicht einfach wieder die Leute in Gefängniss­e stecken.

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Foto: Lex Kleren Bei mehreren Spaziergän­gen und Kundgebung­en zeigten sich Menschen in Luxemburg mit Belarus solidarisc­h.
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