Der Bonsai ist gewachsen
Die französischen Grünen treten nach ihrem Erfolg bei den Kommunalwahlen mit neuem Selbstbewusstsein auf
Mit einem Bonsai hat die frühere Parteivorsitzende Cécile Duflot die Grünen einmal verglichen. Ein sensibles Zwerggewächs, das gar keine Berufung dazu hat, größer zu werden. Doch in den vergangenen anderthalb Jahren ist aus dem Bonsai ein echter Baum geworden, der mitten in der politischen Landschaft Frankreichs steht. Bei den Kommunalwahlen im Juni gewannen Europe Écologie Les Verts (EELV) zusammen mit den Sozialisten und anderen Verbündeten fast alle Großstädte.
Von einer „grünen Welle“ist bereits die Rede. Vor allem, nachdem die Grünen schon bei den Europawahlen im vergangenen Jahr überraschend gut abgeschnitten hatten und hinter den Rechtspopulisten und der Partei von Präsident Emmanuel Macron auf dem dritten Platz gelandet waren. Zusammen mit den Sozialisten sehen sie sich nun in der Lage, das sich abzeichnende Duell zwischen Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen 2022 mit einem eigenen Kandidaten zu durchbrechen.
Die Wiederauferstehung des linken Lagers
Dank den Grünen erlebt das linke Lager eine Art Wiederauferstehung, nachdem der sozialistische Staatschef François Hollande es nach seiner Amtszeit 2017 in Trümmern zurückgelassen hatte. Der Parti Socialiste (PS) präsentierte sich damals als völlig zerrütteter Haufen, dem der linke Flügel aus Protest gegen die sozialliberale Politik des Präsidenten den Rücken kehrte. Nur mühsam wurde mit Olivier Faure ein neuer Parteichef gefunden, nachdem keiner der früheren Minister den Job übernehmen wollte.
Der sozialdemokratisch orientierte Politiker versucht seither, neuen Streit über die Identität der Partei zu vermeiden und setzt auf das Thema Ökologie als kleinsten gemeinsamen Nenner. Bei den Kommunalwahlen wagte er ein Bündnis mit den Grünen, in dem der PS in vielen Städten ohne Murren die undankbare Rolle des Zweiten übernahm.
„Eine vereinte Linke bildet sich heraus“, kommentiert der Politologe Frédéric Dabi vom Meinungsforschungsinstitut Ifop. „Das kann durchaus auch Bedeutung haben für die Präsidentschaftswahlen.“Wer in diesem neuen grün-roten Block das Sagen hat, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Zwar sehen die Grünen sich nach ihrem Erfolg bei den Kommunalwahlen bereits auf dem Weg ins Präsidentenamt
und haben dafür auch schon ein erstes, positives Signal der Sozialisten erhalten. „Ich bin bereit, mich hinter demjenigen einzureihen, der den sozial-ökologischen Block verkörpert“, schloss Faure am Wahlabend den Verzicht auf eine eigene Kandidatur des PS nicht aus.
Allerdings ist seine Partei für die Präsidentschaftswahlen organisatorisch deutlich besser aufgestellt als die Grünen mit ihren 8 000 Mitgliedern und vier fest angestellten Mitarbeitern. Ein Blick auf das Kommunalwahlergebnis zeigt auch, dass EELV in den mittelgroßen Städten zwischen 30 000 und 100 000 Einwohnern kaum vorkommt. Kein Wunder also, dass prominente Sozialisten bereits gegen die mögliche Unterstützung eines grünen Kandidaten 2022 protestierten. Eine gemeinsame „Sommeruniversität“, das traditionelle Parteitreffen zum Ende der Sommerpause, kam nicht zustande. Statt dessen tagen die Grünen seit Donnerstag in der Pariser Vorstadt Pantin und die Sozialisten später in Blois.
Das Treffen von EELV, sonst kaum beachtet, bietet in diesem Jahr Gelegenheit für einen Schlagabtausch der beiden potenziellen Präsidentschaftskandidaten. Der
Spitzenkandidat bei den Europawahlen, Yannick Jadot, macht aus seinen Ambitionen schon lange keinen Hehl mehr. Konkurrenz bekommt er vom wiedergewählten Bürgermeister der Stadt Grenoble, Eric Piolle. Echte Chancen hat bisher keiner der beiden: Eine IfopUmfrage ergab für Jadot, den bekanntesten EELV-Politiker, vor einigen Wochen nur acht Prozent. Mehr Chancen hätte im grün-roten Lager die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, die mit einem stark ökologisch geprägten Programm wiedergewählt wurde. Bisher schließt die 61-Jährige allerdings eine Präsidentschaftskandidatur aus.
Inhaltliche und personelle Schwächen der Grünen
Die Grünen, die in Frankreich weiter links stehen als in Deutschland oder Österreich, zeigen nicht nur personell, sondern auch inhaltlich Schwächen. Zwar konnte die in der Vergangenheit heillos zerstrittene Partei mit ihrem Programm für mehr Grün in den Innenstädten und den Ausbau des Nahverkehrs punkten. In der Außen- und der Wirtschaftspolitik fehlt ihr allerdings das Profil, das für eine Regierungspartei nötig ist. Auf Unverständnis stieß beim Arbeitgeberverband Medef die Forderung des neuen Bürgermeisters von Bordeaux nach einem Moratorium für den neuen Mobilfunkstandard 5G.
Auch die Entscheidung der Grünen in Rennes, die Tour de France wegen der Abfallberge im nächsten Jahr nicht in der bretonischen Stadt starten zu lassen, sorgte für Empörung. Dazu kamen deplatzierte Bemerkungen von grünen Bürgermeistern, beispielsweise zur Polizeigewalt. „Diese Entgleisungen drohen den Wiederaufbau einer Linken komplizierter zu machen“, sagt der Politologe Pascal Perrineau im Magazin „Express“. „Die Grünen müssen erst noch ihr Diplom bekommen, dass sie regierungsfähig sind.“