Ungewisse Zukunft
Warum der Militärputsch in Mali die gesamte Region destabilisieren könnte
Vier Tage nach dem Putsch in Mali ist die Lage in dem westafrikanischen Unruhestaat verblüffend entspannt: Die Straßen der Hauptstadt Bamako sind wie immer belebt, die Bevölkerung geht ihren Geschäften nach. In krassem Gegensatz dazu die Atmosphäre in den Machtzentralen der Nachbarstaaten: Dort wächst die Sorge, dass der neuerliche Coup ein ähnliches Chaos wie sein Vorgänger vor acht Jahren auslösen könnte.
Damals folgte dem Putsch ein Machtvakuum und schließlich der Einmarsch Tausender islamistischen Extremisten im Norden des Landes. Sorge bereitet den benachbarten Staatschefs außerdem, dass der malische Machtwechsel auch in ihren Ländern Schule machen könnte. In drei Mitgliedsländern des westafrikanischen Staatenbundes Ecowas finden noch in diesem Jahr Wahlen statt. Kein Wunder, dass der Staatenbund Feuer speit. Ihr gestürzter Amtskollege Ibrahim Boubacar Keïta müsse sofort wieder eingesetzt werden, fordern die westafrikanischen Staatschefs. Der Coup sei ein „hinterhältiger Akt“gewesen, kocht Nigerias Präsident Muhammadu Buhari.
Sturz von Bevölkerung bejubelt
Dass ihr nervöser Zorn in Mali Konsequenzen haben wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Keïtas Sturz wurde in der Bevölkerung mit Freudenfesten aufgenommen – die Generäle nahmen bereits Gespräche mit der Opposition auf. Sie wollen so schnell wie möglich eine Übergangsregierung einsetzen, die auch von einem zivilen Übergangspräsidenten geleitet werden könne. Nach Auffassung des Mali-Kenners Denis Tull vom französischen „Institut de recherche stratégique de l’Ecole militaire“(IRSEM) könnte der Putsch durchaus Bewegung in die malische Misere bringen.
In seiner siebenjährigen Amtszeit vermochte Keïta der explosiven Lage im von sezessionistischen Tuaregs bevölkerten Norden des Landes nicht Herr zu werden. Genauso wenig konnten er und seine Streitkräfte die Anschläge der Extremisten einschränken, die in der ersten Hälfte dieses Jahres bereits mehr Menschen das Leben gekostet haben als im ganzen vergangenen Jahr. Schließlich machte sich Keïta mit einer wachsenden Zahl von Korruptionsskandalen unbeliebt.
Die Rolle europäischer Streitkräfte Nicht mit Ruhm bekleckert haben sich auch die europäischen Streitkräfte, die ebenfalls seit Jahren die malische Armee trainieren. Sie konnten weder verhindern, dass die malische Armee ihre Frustration über ihr wirkungsloses Vorgehen gegen die Extremisten regelmäßig an der eigenen Bevölkerung austobt. Noch, dass die Offiziere jetzt die Demokratie lahmlegten. Würde es nach dem Willen einer Mehrheit der malischen Bevölkerung gehen, würden die ausländischen Soldaten ohnehin so schnell wie möglich nach Hause geschickt. Viele Bewohner der im Süden des Landes gelegenen Hauptstadt nehmen die fremden Militärs nicht als „Schutzmacht“sondern als Störenfried wahr. Im Gegensatz zu den von den Umtrieben der Extremisten stärker betroffenen Nordmaliern: Sie wissen die Präsenz der ausländischen Truppen eher zu schätzen.
Dass die malischen Putschisten die fremden Soldaten nach Hause schicken werden, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Offiziere versicherten bereits, an der Kooperation mit den „Partnern“festzuhalten. Deshalb fielen die Reaktionen auf den Putsch in Paris, Berlin und Washington denn auch auffällig gelassen aus: Die Vorgänge in Mali hätten auf die Stationierung der Bundeswehrsoldaten keinen Einfluss, sagte Bundeskanzlerin Merkel. In Europa fürchtet man nichts mehr als eine Schwächung des Kampfs gegen den Terror.
Noch sei es zu früh, in dem Putsch auch eine Chance zu sehen, meint Mali-Kenner Tull: Erst einmal müsse sich herauskristallisieren, wer künftig die Fäden zieht. Weiterhin die seit Jahrzehnten hilflos und korrupt regierende politische Elite? Oder, ganz undemokratisch, die Generäle? Oder die erstarkenden Islamisten unter dem populären Imam Mahmoud Dicko mit ihrem strengen Antikorruptionskurs?