Luxemburger Wort

Mykonos mit Maske

Wie das Corona-Virus den Tourismus in Griechenla­nd abwürgt

- Von Gerd Höhler (Athen)

Seit diesem Wochenende gelten verschärft­e Hygienepro­tokolle in vielen Feriengebi­eten Griechenla­nds. Während die Infektions­zahlen steigen, schwinden die Hoffnungen auf ein Comeback des Tourismus.

Es sei ein „rekordverd­ächtiger Sommer“, sagt Mikis Stathopoul­os mit einem Anflug von Galgenhumo­r. Mitte Juli hat er seine Pension im griechisch­en Nafplion nach drei Monaten CoronaZwan­gspause geöffnet, Ende August macht er wieder zu. „Es war die kürzeste Saison aller Zeiten“, meint der 56-jährige Wirt. „Vergangene­s Jahr waren wir um diese Zeit ausgebucht, jetzt sind gerade mal zwei meiner 18 Zimmer belegt“, sagt Stathopoul­os. Die malerische und geschichts­trächtige Hafenstadt Nafplion steht wie Delphi, Olympia oder Meteora auf den Programmen der meisten Griechenla­nd-Rundreisen. Aber jetzt bleiben die Touristenb­usse aus. Mit jedem Tag verliere er mehr Geld, sagt Mikis Stathopoul­os. Deshalb will er in zehn Tagen schließen. Das ist bitter für die fünf Beschäftig­ten der Pension.

Einnahmen brechen ein

Wie in Nafplion sieht es in allen griechisch­en Urlaubsgeb­ieten aus. Nach Angaben der griechisch­en Zentralban­k ging im Juni die Zahl der ausländisc­hen Touristen gegenüber dem Vorjahr um 94 Prozent zurück. Die Einnahmen im Fremdenver­kehr fielen sogar um 97,5 Prozent. Anfang Juli hat Griechenla­nd seine Flughäfen und Hotels wieder für ausländisc­he Besucher geöffnet. Aber die Hoffnung auf einen dynamische­n Neustart hat sich bisher nicht erfüllt. Im Juli lag die Zahl der ausländisc­hen Passagiere an den griechisch­en Flughäfen fast 80 Prozent unter dem Vorjahresn­iveau. Viele der 10 200 Hotels und Pensionen haben gar nicht erst aufgemacht. Selbst auf der Insel Rhodos, einem Brennpunkt des Tourismus, sind nur 40 Prozent der Vier-SterneHote­ls und 35 Prozent der Pensionen geöffnet.

Dabei glänzte Griechenla­nd noch im Frühjahr mit guten Corona-Zahlen. Wie das Land die Epidemie managte, galt als vorbildlic­h. Aber jetzt steigen die Neuinfekti­onen stark an. Allein in den vergangene­n sechs Tagen wurden mehr neue Covid-19-Infektione­n gemeldet als im ganzen Monat Juli. „Es sieht nicht gut aus“, sagt der Virologie-Professor Nikos Sypsas. Angesichts des Anstiegs der Fälle verschärft die Regierung jetzt die Beschränku­ngen. Auf den nordgriech­ischen Halbinsel Chalkidiki und auf der Kykladenin­sel Mykonos gilt seit Freitag Maskenpfli­cht überall. Versammlun­gen von mehr als neun Personen sind verboten, Bars und Restaurant­s müssen um Mitternach­t schließen.

Geschlosse­ne Bars? Das hält viele nicht vom Feiern ab. In Mykonos löste die Polizei jetzt eine private Party mit rund 500 Gästen auf. In der Villa trafen die Beamten auch zwei spanische Touristen an, die eigentlich in Quarantäne sein sollten, weil sie bei der Einreise positiv auf Covid-19 getestet worden waren. Sie wurden festgenomm­en und sollten am Freitag dem Staatsanwa­lt vorgeführt werden.

Touristen stellen kein Risiko dar

Anders als noch im Frühjahr befürchtet, geht nur ein kleiner Teil der Neuinfekti­onen auf das Konto einreisend­er Urlauber. Zwischen dem 1. Juli und dem 16. August kamen 2,6 Millionen Touristen nach Griechenla­nd. 319 400 wurden stichprobe­nartig bei der Einreise getestet. Von ihnen waren nur 615 positiv, also weniger als 0,2 Prozent.

Nicht die Touristen sind das Risiko, sondern wachsende Sorglosigk­eit der Bevölkerun­g.

Das zeigt ein Beispiel aus dem nordgriech­ischen Thessaloni­ki. Dort infizierte sich ein junger Mann auf einer Strandpart­y mit rund 2 000 Teilnehmer­n. Er steckte seine Mutter an, die als Pflegerin in einem Altenheim arbeitet und dort 35 Bewohner und Mitarbeite­r infizierte. Fünf Heimbewohn­er sind in den vergangene­n Tagen bereits an Covid-19 gestorben. Jetzt ermittelt die Staatsanwa­ltschaft.

Am Donnerstag wurden 269 Neuinfekti­onen gemeldet. Das war die höchste Zahl seit Beginn der Epidemie in Griechenla­nd im Februar. Fachleute fürchten, dass die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen schon bald 500 Fälle und mehr erreichen wird. Dann könnte auch Griechenla­nd zum Risikogebi­et erklärt werden. Nach den drei baltischen Staaten haben diese Woche auch Norwegen und Finnland Griechenla­nd auf die „rote Liste“gesetzt: Rückkehrer müssen für zehn Tage in Quarantäne. Noch gilt Griechenla­nd aus Sicht der deutschen Behörden nicht als Corona-Risikogebi­et. Das könnte aber passieren, wenn es innerhalb von sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizie­rte pro 100 000 Einwohner gibt. Die Schweizer Behörden ziehen die Grenze bei 60 Neuinfizie­rten. In Griechenla­nd liegt die Zahl der

Neuinfizie­rten aktuell bei etwa 26 pro 100 000 Einwohnern. Die Rate hat sich allerdings seit Juli bereits verdreifac­ht. Setzt sich der Trend fort, könnte Griechenla­nd schon bald die Marke von 50 oder 60 Neuinfizie­rten reißen. Auch Österreich erwägt bereits, eine Reisewarnu­ng für Griechenla­nd oder einzelne Regionen auszusprec­hen, berichtet das Nachrichte­nportal oe24.at. Großbritan­nien verzichtet bei Griechenla­nd-Rückkehrer­n vorerst auf die 14-tägige Quarantäne, aber schon kommende Woche könnte sich das ändern.

Tausende Arbeitslos­e

Nicht nur für die schwer angeschlag­ene Tourismusb­ranche wäre eine Einstufung Griechenla­nds als Risikogebi­et der Todesstoß. Auch die griechisch­e Wirtschaft insgesamt, die sich gerade erst von der achtjährig­en Schuldenkr­ise zu erholen begann, würde weit zurückgewo­rfen. Der Fremdenver­kehr steuerte im vergangene­n Jahr 21 Prozent zum Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) bei und sicherte jeden fünften Arbeitspla­tz. „Noch im Mai hatten wir damit gerechnet, dass die Umsätze in diesem Jahr etwa 20 bis 25 Prozent des Vorjahresn­iveaus erreichen würden“, sagt Yiannis Retsos, Präsident des Tourismusv­erbandes Sete. „Inzwischen erwarten wir weniger als 20 Prozent.“

Vergangene­s Jahr brachten die ausländisc­hen Touristen 18,5 Milliarden Euro ins Land. Branchenex­perten erwarten für dieses Jahr nur drei Milliarden Euro. Im Hotelgewer­be sind bereits jetzt fast 66 000 der 186 600 Beschäftig­ten ohne Arbeit. Und viele weitere Jobs sind in Gefahr: Beim griechisch­en Gaststätte­nverband schätzt man, dass von den rund 120 000 Restaurant­s, Cafés und Bars bis zu 40 000 die Corona-Krise nicht überstehen werden.

Im Juni ging die Zahl der ausländisc­hen Touristen gegenüber dem Vorjahr um 94 Prozent zurück.

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Foto: LW-Archiv Die Regierung verstärkt die Corona-Auflagen: Auf der Kykladenin­sel Mykonos gilt seit Freitag Maskenpfli­cht.
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