Es muss nicht alles logisch sein!
Mit den BIP-Zahlen zum zweiten Quartal haben wir die Bestätigung: Noch nie zuvor in der modernen Wirtschaftsgeschichte ist die globale Konjunktur so stark eingebrochen wie in den letzten Monaten. Die Lockdown-Maßnahmen rund um Covid-19 haben tiefe Spuren in den Statistiken hinterlassen. Und die Börsen? Die haben das Virus offensichtlich schon abgehakt. Ganze 173 Tage hat es gedauert, ehe die US-Börsen einen neuen historischen Rekordstand verbuchen konnten. Und das, obwohl die US-Neuinfektionszahlen weiterhin sehr hoch ausfallen. Nun kann man sich verwundert die Augen reiben und den Börsianern ihre Urteilskraft absprechen. Oder sich etwas intensiver mit den Treibern dieser Entwicklung beschäftigen.
Da sind zunächst einmal die weiter gesunkenen Zinsen. Sie sind ein wesentlicher Faktor hinter dem Kursaufschwung. Denn das um 2-Prozent-Punkte niedrigere Zinsniveau weltweit rechtfertigt bei gleichen Rahmenbedingungen 25 Prozent höhere Aktienkurse. Zudem haben viele Unternehmen überraschend gute Gewinnberichte
in der Krise geliefert. Drei Schlüsselbranchen – Technologie, Gesundheit und Versorger – konnten ihre Gewinne in der Krise sogar ausbauen. Das bedeutet zwar nicht, dass alles rosarot ist und man Aktien deshalb bedenkenlos kaufen kann. Aber die oft gehörte Meinung, dass der Aufschwung am Aktienmarkt völlig überzogen ist und die Basis für den nächsten heftigen Kurseinbruch bildet, ist vielleicht genauso unbegründet.
Der Autor ist Chef-Anlagestratege der Commerzbank AG.