Wie politisch war diese Kunst?
Zeichnungen machten Keith Haring in den 1980er-Jahren bekannt: Museum Folkwang zeigt warum
Essen. Haring, der Pop-Art-Künstler, der politische Aktivist, der Aids-Mahner: Mitnichten hat Haring nur bellende Hunde, fliegende Untertassen oder lebensfrohe Babys gezeichnet und gemalt. Bei ihm von Früh- oder Spätwerk zu sprechen, bringt nicht viel: Schon mit 31 Jahren stirbt der Pop-ArtKünstler 1990 – nach nur etwa elf Jahren Schaffenszeit. Seit gestern präsentiert eine große Retrospektive im Essener Museum Folkwang das Werk des Amerikaners.
Schon sein Elternhaus fördert seine Leidenschaft für das Comiczeichnen. 1978 kommt Haring dann als „Landei“nach New York, sagt Museumsdirektor Peter Gorschlüter. Zwei Jahre habe seine frühe Phase gedauert, in der er zu der Überzeugung gekommen sei, dass Kunst unmittelbar, unvoreingenommen und zugänglich für alle sein müsse.
Haring bemalt in der New Yorker U-Bahn unvermietete Werbeflächen und lässt dies fotografieren. Die Medien werden auf ihn aufmerksam. Schnell wird er Teil der New Yorker Künstler-, Clubund Schwulenszene und baut sich ein Netzwerk auf. Im legendären Club 57, einem Künstlertreffpunkt und Veranstaltungsort, organisiert er Shows und Ausstellungen. Haring wird bald zu internationalen Ausstellungen eingeladen, 1982 etwa zur Documenta.
Unter dem Motto „Party of Life“feiert er Geburtstagspartys im Nachtclub Paradise Garage. „Sie werden Mitte der 1980er-Jahre zu einem Fixpunkt der Szene in Downtown Manhattan“, schreiben die Ausstellungsmacher. 1983 lernt er Andy Warhol kennen, der sich schnell zum Mentor Harings entwickelt.
Haring und seine Bildsprache in Zeiten der Aids-Krise
„Mitte der 1980er-Jahre hatte sich Haring zu einem Medienphänomen entwickelt, dessen Name und Bilder auf der ganzen Welt bekannt waren“, heißt es im Ausstellungskatalog. Haring reist viel und bemalt mehr als 50 öffentliche Mauern.
In New York und Tokio eröffnet er sogenannte Pop Shops, in denen er seine Kunst als erschwingliche Merchandising-Artikel verkauft. In der Kunstwelt sei er dafür zum Teil stark kritisiert worden. „Man findet ihn zu kommerziell und Sammler fürchten den Wertverlust seiner Kunst“, schreibt das Museum.
Haring nimmt auch politisch Stellung: etwa im Kampf gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Sein in der Ausstellung gezeigtes Riesenposter „Free South Africa“zeigt 1985 eine schwarze Figur, die von einer viel kleineren weißen Figur an der Leine geführt wird – und dieser weißen Figur einen Tritt versetzt.
Im gleichen Jahr nimmt auch die Aids-Krise wachsenden Einfluss auf sein Leben und sein Umfeld. „Er nutzt seine zugängliche Bildsprache sowie seine öffentliche Präsenz, um eine Debatte über das Thema anzustoßen und ein Bewusstsein
für Safer Sex zu schaffen“, schreibt das Museum. Auf einem Plakat hält etwa eine fröhlich lachende Comicfigur in der einen Hand ein Kondom, die andere zeigt auf den Slogan: „Safe Sex!“. Die Comicfigur ist ein erigierter Penis.
1988 stellt er in einer zehnteiligen Serie das HI-Virus als eine Art „Teufelsspermium“dar. Zusammen mit dem Autor William S. Burroughs entwickelt er eine 20-teilige Serie mit dem Titel „Apocalypse“, in der es um eine alles vernichtende Zerstörung geht. Die Serie wurde vom Museum Folkwang neu erworben und wird bei der Ausstellung erstmals gezeigt. 1989 macht Haring sein Schwulsein öffentlich. 1990 stirbt er 31-jährig an den Folgen von Aids.
In Essen werden rund 200 Exponate gezeigt, darunter auch Videoarbeiten, Fotografien und noch nie gezeigtes Archivmaterial. Seine Werke und Aussagen seien auch heute noch „erstaunlich aktuell“etwa bei den Themen Rassismus oder nukleare Bedrohung, findet Gorschlüter. Als Performer, Aktivist und Netzwerker habe Haring mit seinem Streben nach einer gerechteren Gesellschaft nichts an Innovation und Relevanz eingebüßt. LW
Bis zum 29. November im Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen. Geöffnet dienstags bis sonntags, von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags, bis 20 Uhr. Der Eintritt in die HaringAusstellung kostet 10 und 6 Euro (ermäßigt). Zeitfenster für den Besuch können vorab im Internet gebucht werden, müssen aber nicht.
www.museum-folkwang.de