Luxemburger Wort

Wenn die Zeit verrinnt

Mutmaßlich­e Misshandlu­ngen durch Polizei-Ausbilder: Neue Erkenntnis­se werfen Fragen zur Aufarbeitu­ng des Falls auf

- Von Maximilian Richard

Luxemburg. „Männer, et gëtt Zäit fir an d'Dusch! Ween wëll als éischt goen?“Diese Worte der Ausbilder der Polizeispe­zialeinhei­t (USP) sollen der Anfang einer Erniedrigu­ng mehrerer angehender Mitglieder der USP im Juni 2015 gewesen sein. Nackt müssen sie einen schlammige­n Teich durchquere­n, während ihre Vorgesetzt­en davon Videoaufna­hmen machen und sich sichtlich amüsieren.

Es sind nicht die einzigen Vorwürfe, wegen derer die Justiz derzeit gegen die beiden Männer ermittelt. Schläge in die Genitalien und Schüsse auf die nackten Oberkörper mit Trainingsm­unition sind weitere Torturen, die Polizisten mutmaßlich erdulden mussten. LW-Recherchen haben weitere Einzelheit­en zu den Vorwürfen gegen die Ausbilder ans Licht gebracht. Sie werfen Fragen in Bezug auf die Aufarbeitu­ng des Falls auf.

Im Juni 2015 nehmen mehrere junge Polizisten im Zuge der USPGrundau­sbildung an einer mehrtägige­n Trainingse­inheit, der sogenannte­n Intensivwo­che, teil. Der 11. Juni endet, nach einer langen Wanderung, in einem kleinen Ort im Norden des Landes. Dort wird ein Lager für die letzte Übernachtu­ng der Woche errichtet. Der Abend klingt vermeintli­ch gelassen aus, sowohl die Ausbilder als auch die Teilnehmer konsumiere­n Alkohol. Dann soll die Aufforderu­ng zum Duschen erfolgt sein.

An der Dusche, so lauten die Vorwürfe, sollen die beiden Ausbilder die Polizisten, die sich jeweils einzeln dorthin begaben, bereits erwartet haben. Sie fordern die Männer auf, sich nackt auszuziehe­n, dulden keine Widerworte. Sie befehlen ihnen, unbemerkt von den anderen Teilnehmer­n einen schlammige­n Teich zu durchquere­n. Währenddes­sen werden sie von den Ausbildern gefilmt. Anschließe­nd sollen die Männer sich gründlich waschen und wieder zu den anderen zurückkehr­en – ohne sie in das ihnen Bevorstehe­nde einzuweihe­n.

Schmerzhaf­te Tritte

In den kommenden Wochen und Monaten soll es zu weiteren fragwürdig­en Vorfällen während der Grundausbi­ldung der Gruppe gekommen sein. So soll einer der beiden Ausbilder die Polizisten im Zuge ihrer Kampfkunst­ausbildung mehrmals in den Genitalber­eich getreten haben. Die Polizisten mussten sich mit gespreizte­n Beinen und ihren Händen am Rücken in eine Reihe stellen. Daraufhin erhielten sie einen Tritt.

Personen, die zusammenzu­ckten, mussten sich erneut treten lassen. Bei einem nochmalige­n Zucken soll die gesamte Gruppe mit Liegestütz­en bestraft worden sein. Die Polizisten sollen zwar ein Suspensori­um getragen haben, vor Schmerzen schützt dies aber nur bedingt. Die Männer sollen nach den Schlägen am Boden gelegen haben. Im Zuge der Ausbildung habe der Ausbilder die Polizisten zudem regelmäßig aufgeforde­rt, sich gegenseiti­g in den Genitalber­eich zu treten. Andere zweifelhaf­te Anweisunge­n sollen die Männer indes vom zweiten unter Anklage stehenden Ausbilder erhalten haben. Er soll den Polizisten während eines Trainings befohlen haben, sich gegenseiti­g mit Trainingsm­unition auf den nackten Oberkörper zu schießen. Auch soll er den Polizisten verboten haben, bei einigen Übungen Kleidung mit langen Ärmeln zu tragen. Die Männer sollten nicht vor Schüssen mit Trainingsm­unition geschützt sein. Die Geschosse sind zwar nicht tödlich, können aber Verletzung­en hervorrufe­n.

Eine erste Beschwerde

Erst 2017 sollen sich drei der damaligen Teilnehmer bei ihren direkten Vorgesetzt­en beschwert haben. Einer Quelle zufolge soll den mittlerwei­le aktiven USP-Mitglieder­n im Gespräch mit Kollegen bewusst geworden sein, dass das Vorgehen bei der Ausbildung alles andere als üblich gewesen sei. Diese ersten Beschwerde­n bleiben folgenlos. Und so vergehen zwei Jahre, bis Anfang 2019 die Führungseb­ene der Polizei offiziell von den Vorwürfen erfährt. Die drei Polizisten legen im Januar dem USP-Kommandant­en einen Bericht mit dem Titel „Unprofessi­onelles Verhalten der Ausbilder während der Intensivwo­che“vor.

Einzelheit­en des Berichts sind nicht bekannt, laut einer Quelle erwähnt das Schreiben, auch wenn der Titel es anders vermuten lässt, auch Fehlverhal­ten, das über die Trainingsw­oche im Juni hinausgeht und im Verlauf der Grundausbi­ldung der Gruppe erfolgt ist.

Für den Kommandant­en muss Anfang 2019 zumindest der Verdacht einer Straftat bestehen. Denn er informiert, wie es das Gesetz von Staatsbedi­ensteten verlangt, umgehend die Staatsanwa­ltschaft. Auch der Generaldir­ektor erhält Kenntnis über die Vorwürfe. Wie die Antwort auf eine parlamenta­rische Frage an den Polizeimin­ister, Henri Kox, Ende Juli zeigt, stellt die Staatsanwa­ltschaft aber zu diesem Zeitpunkt keine Gesetzesüb­erschreitu­ng fest, empfiehlt aber die Generalins­pektion der Polizei (IGP) zu informiere­n.

Die Behörde wird am 16. April 2019 von der Polizeifüh­rung in Kenntnis gesetzt, nachdem bereits eines der mutmaßlich­en Opfer am 3. April eine Unterredun­g mit einem Ermittler der IGP hatte und ihm den Bericht vom Januar 2019 aushändigt­e. Auch für diesen Beamten besteht zumindest der Verdacht auf eine Straftat, denn er setzt die Staatsanwa­ltschaft in Kenntnis. Die Behörde antwortet, dass der Bericht bereits bekannt sei und strafrecht­liche Ermittlung­en zu diesem Zeitpunkt nicht angestrebt werden.

In diesem Zusammenha­ng fällt auf, dass die Polizeigen­eraldirekt­ion die IGP nicht mit einer disziplina­rischen Ermittlung betraut. Nachdem die direkten Vorgesetzt­en der drei Polizisten 2017 die ersten Beschwerde­n nicht weitergege­ben hatten, ist im Jahr 2019 die Verjährung­sfrist von drei Jahren für Disziplina­rverfahren bereits überschrit­ten. Da nach damaliger Einschätzu­ng der Staatsanwa­ltschaft

keine Straftat vorliegt, kann die Generalins­pektion nur eine administra­tive Untersuchu­ng einleiten. Ein Verfahren, an dessen Ende keine disziplina­rischen Strafen stehen, sondern Empfehlung­en an die Polizeigen­eraldirekt­ion, um zukünftige Vorfälle zu verhindern (siehe Kasten).

Ende der Frist

Der Generaldir­ektion sind also scheinbar die Hände gebunden, ein weiteres Detail deutet aber darauf hin, dass sie im weiteren Verlauf bewusst auf Zeit gespielt haben könnte. Denn über die Folgen ihres Berichts, den sie im Januar 2019 ausgehändi­gt hatten, erhalten die drei Polizisten scheinbar nur sehr spät und lückenhaft Kenntnis. Nämlich zu einem Zeitpunkt, zu dem eine weitere Verjährung­sfrist abzulaufen droht. Denn obwohl die Staatsanwa­ltschaft zunächst die an sie durch die Polizei herangetra­genen Vorwürfe nicht als Straftat einstuft, besteht bis zum Sommer 2020 die Möglichkei­t, dass die jungen Polizisten selbst noch eine Strafanzei­ge erstatten.

Einer Quelle zufolge sollen die drei Männer sich Anfang 2020 an die Polizeigen­eraldirekt­ion mit einer Bitte um Auskunft gewendet haben. In der Antwort wird im Februar 2020 darauf hingewiese­n, dass die Staatsanwa­ltschaft Anfang 2019 über die Vorwürfe informiert wurde und dass eine Prozedur bei der IGP laufe. Dass es sich dabei nicht um strafrecht­liche Ermittlung­en, sondern um eine administra­tive Untersuchu­ng handelt, soll die

Antwort aber ausklammer­n. Im Licht der nahenden Verjährung­sfrist erscheint diese Informatio­n aber essenziell.

Die drei Polizisten entscheide­n sich dann schließlic­h Ende März, selbst eine Klage bei der Staatsanwa­ltschaft einzureich­en. Nach einer erneuten Prüfung werden Ermittlung­en gegen die beiden Ausbilder eingeleite­t. Warum die Behörde die Vorwürfe in einem zweiten Anlauf anders einstufte als Anfang 2019, ist nicht klar. Der für das Dossier zuständige Vertreter der Staatsanwa­ltschaft konnte kurzfristi­g nicht erreicht werden. Die drei Männer sind indes immer noch aktive USP-Mitglieder. Auch mindestens einer der Beschuldig­ten ist dem Vernehmen nach noch bei der Einheit. Bis zu einer rechtskräf­tigen Verurteilu­ng besteht die Unschuldsv­ermutung.

Der Abend klingt vermeintli­ch gelassen aus.

Die Generaldir­ektion der Polizei will auf Nachfrage zur Aufklärung des Vorfalls innerhalb der Polizei keine Stellung beziehen. Sie beruft sich darauf, dass ein Teil der aufgeworfe­nen Vorgänge sich auf strafrecht­liche Ermittlung­en bezieht.

Eine nicht unbedingt nachvollzi­ehbare Argumentat­ion, immerhin haben diese Vorgänge nicht direkt etwas mit den eigentlich­en Vorwürfen gegen die Ausbilder zu tun. Vor diesem Hintergrun­d wirkt zudem eine Versammlun­g Ende Juni 2020 umso befremdlic­her. Trotz laufender Justizermi­ttlungen soll dort einer Quelle zufolge im Detail der Inhalt der administra­tiven Untersuchu­ng der IGP der USP-Einheit vorgestell­t worden sein.

 ?? Foto: Guy Jallay/LW-Archiv ?? Die Ausbildung der Mitglieder des Polizei-Sondereins­atzkommand­os ist sehr anspruchsv­oll. Zwei Ausbilder sollen aber mehrere Grenzen überschrit­ten haben.
Foto: Guy Jallay/LW-Archiv Die Ausbildung der Mitglieder des Polizei-Sondereins­atzkommand­os ist sehr anspruchsv­oll. Zwei Ausbilder sollen aber mehrere Grenzen überschrit­ten haben.

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